„So lasset uns ... den Staub von den Schuhen schütteln und sagen: Wir sind unschludig an Eurem Blut“. Richard A. HuthmacherЧитать онлайн книгу.
Philosophie in Deutschland“) schreibt:
„Ruhm dem Luther! Ewiger Ruhm dem teuren Manne, dem wir die Rettung unserer edelsten Güter verdanken, und von dessen Wohltaten wir noch heute leben! Es ziemt uns wenig, über die Beschränktheit seiner Ansichten zu klagen ... Es ziemt uns noch weniger, über seine Fehler ein herbes Urteil zu fällen; diese Fehler haben uns mehr genutzt als die Tugenden von tausend andern. Die Feinheit des Erasmus und die Milde des Melanchthon hätten uns nimmer so weit gebracht wie manchmal die göttliche Brutalität des Bruder Martin.“
Bei aller Liebe zu Heine: Auf Luthers „göttliche Brutalität“ lässt sich verzichten!
Ungleich kritischer als „der letzte Romantiker“ sah (der vom jüdischen Glauben zum evangelischen Christentum konvertierte) Ludwig Börne Luther: dieser sei dafür verantwortlich, dass Deutschland – nach der grausamen Niederschlagung der Bauernaufstände – über Jahrhunderte hinweg in Rückständigkeit und permanenter Restauration verharrte; später vertraten auch Nietzsche, Thomas Mann und Hugo Ball ähnliche Ansichten.
Letzterer führt aus: „Das ´Heilige Römische Reich Deutscher Nation´ wurde von Luther zerstört. Luthers robust gewaltige Persönlichkeit ist geschichtlich nur zu verstehen, wenn man den Kampf zwischen Kaiser und Papst sich vergegenwärtigt. Luther trennte Deutschland von Rom und schuf damit die Voraussetzung für die Unabhängigkeit des heutigen deutschen Feudalismus ... Von Luther an beginnt sich ein neuer Universalstaat vorzubereiten, in dessen Zentrum nicht mehr die ganz klerikale, sondern die ganz profane Gewalt steht. In den großen Bauernkriegen von 1524/25 handelte es sich darum, ob die uralte Feudaltradition Deutschlands gebrochen werden könne oder nicht. Jene deutsche Revolution … mißglückte. Der Feudalismus erhob sich gestärkt.“
Mit anderen Worten: Martin Luther – ein treuer Diener seiner Herren. Der Fürsten. Nicht des Papstes. Auch nicht des Kaisers.
„… [W]eit entfernt davon, ein Freiheitskämpfer zu sein, trat Luther … für die Unterwerfung der Untertanen unter die Obrigkeit ein … Der weltlichen Macht sei grundsätzlich Gehorsam geschuldet. Mit solchen Proklamationen verlieh Luther, so urteilt [Hugo] Ball, ´regierenden Autokraten das absolute Gewissen, macht er die Deutschen zum geflissentlich unterwürfigen Volk …Er hat Gott verraten an die Gewalt …´
Luther rechtfertigt in seiner Schrift ´Ob Kriegsleute auch im seligen Stande sein können´ (1526) auch die Beteiligung an Kriegen: wenn die Obrigkeit Krieg befiehlt, müsse gehorcht, gekämpft, gebrannt und getötet werden …
Geschätzt 100.000 Bauern wurden nach seinem Aufruf auf teilweise bestialische Weise hingerichtet. Dazu bekannte er sich in einer abstoßenden Mischung aus Stolz, Heuchelei und Blasphemie in einer seiner Tischreden: ´Ich habe im Aufruhr alle Bauern erschlagen; all ihr Blut ist auf meinem Hals. Aber ich schiebe es auf unseren Herrgott; der hat mir befohlen, solches zu reden.´
Ein Punkt, den Ball in seinen Argumentationen übergangen hat, ist Luthers extremer Judenhass. Die einschlägige Kampfschrift trägt den Titel ´Von den Juden und ihren Lügen´ (1543) und enthält alle Versatzstücke neuzeitlicher europäischer antisemitischer Dekrete: die Annahme einer jüdischen Weltverschwörung, die Behauptung, die Juden seien der Christen Unglück, nicht nur Wucherer, sondern auch Brunnenvergifter oder Kindsentführer, kurz: Teufel.
Luthers Anordnungen, was mit den Juden zu tun sei, nämlich Enteignung, Verpflichtung zur Zwangsarbeit, Vertreibung und Liquidierung, lesen sich nach der historischen Erfahrung der Schoah besonders schrecklich ...
[Zudem: Zuvor benannte Scheußlichkeiten] können nicht als ‚Ausrutscher‘ eines Mannes mit einem aufbrausenden, zu maßlosem Zorn neigenden Charakter abgetan werden. Zu Grunde liegt ihnen viel mehr ein spirituelles … Defizit, auf das bereits der Frühromantiker Novalis in seiner Rede ´Die Christenheit oder Europa´ (1799) hinwies …“
OBITER DICTUM: „MARTINUS LUTHER, DASS IHR´S WISST, DER ZU WITTENBERG AUGUS-TINER IST, DER HAT ERWECKT UNS VON DER NACHT“ – WIE LUTHER LITERARISCH REZI-PIERT WURDE“ (TEIL 1)
Liebster!
Zwar schreibt Hölderlin, gigantisch in der Sprache, neben der Sache in vermeintlicher Erkenntnis:
„Ja! in seinem Namen will ich beten,
Und du zürnst des Beters Erdewünschen nicht,
Ja! mit freiem, offnem Herzen will ich vor dich treten,
Sprechen will ich, wie dein Luther spricht.
Bin ich gleich vor dir ein Wurm, ein Sünder –
Floß ja auch für mich das Blut von Golgatha –
O! ich glaube! Guter! Vater deiner Kinder!
Glaubend, glaubend tret ich deinem Throne nah.“
Doch gab es In Aufklärung und Klassik m. E. nur eine einzige literarisch bedeutende Auseinandersetzung mit Luther – die von Kleist im Michael Kohlhaas. Und, ausgehend von Novalis´ Schrift Die Christenheit oder Europa, kehrte sich das Lutherbild in und seit der (deutschen) Romantik ins Negative; denn nicht nur Heine (dieser, s. zuvor, durchaus positiv, fast lobhudelnd), sondern auch (s. ebenfalls zuvor) Börne und namentlich Feuerbach, der sich spaßeshalber „Luther II“ nannte, sowie Marx setzten sich im (18. und) 19. Jhd. mit Luther, ihrerseits sehr wohl kritisch, auseinander: „Es ist Feuerbachs Verdienst, die in der christlichen Theologie herrschende Einseitigkeit mit der paulinisch-lutherischen Lehre von der Rechtfertigung aus Glauben alles allein auf den Glauben zu stellen, neu überdacht und korrigiert zu haben.“
Zutreffend, mehr noch: mit intellektueller Brillanz schreibt Marx: „Deutschlands revolutionäre Vergangenheit ist theoretisch, es ist die Reformation. Wie damals der Mönch, so ist es jetzt der Philosoph, in dessen Hirn die Revolution beginnt. Luther hat allerdings die Knechtschaft aus Devotion besiegt, weil er die Knechtschaft aus Überzeugung an ihre Stelle gesetzt hat. Er hat den Glauben an die Autorität gebrochen, weil er die Autorität des Glaubens restauriert hat. Er hat die Pfaffen in Laien verwandelt, weil er die Laien in Pfaffen verwandelt hat. Er hat den Menschen von der äußern Religiosität befreit, weil er die Religiosität zum innern Menschen gemacht hat.“
Im deutschen Kaiserreich (nach 1871) waren es dann Schranzen wie Conrad Ferdinand Meyer – der heute, Liebster, sicherlich mit dem Nobelpreis geehrt würde, da ich lob ich mir gar einen Bob Dylan –, welche die deutsche Sprache, inhaltlich wie formal, zu Luthers Lob und vermeintlich Ehr´ missbrauchten:
„Herr Luther, gut ist Eure Lehr,
Ein frischer Quell, ein starker Speer:
Der Glaube, der den Zweifel bricht,
Der ewgen Dinge Zuversicht,
Des Heuchelwerkes Nichtigkeit!
Ein blankes Schwert im offnen Streit! –
Ihr bleibt getreu trotz Not und Bann
Und jeder Zoll ein deutscher Mann.“
Oder auch:
„Er trug in seiner Brust den Kampf verhüllt,
Der jetzt der Erde halben Kreis erfüllt …
Er fühlt der Zeiten ungeheuren Bruch
Und fest umklammert er sein Bibelbuch.“
Und der Historiker Heinrich von Treitschke – Verfasser von: „Die Juden sind unser Unglück“ – verklärte Luther zum Vereiner von Deutsch- und Christentum: „Luther wurde … zur Ikone der Einheit von Deutschtum und Christentum im werdenden deutschen Nationalstaat. Treitschkes Rede zum 400. Geburtstag Luthers 1883 vollendet diesen Prozess. Luther sei ´Blut von unserem Blute. Aus den tiefen Augen dieses urwüchsigen deutschen Bauernsohnes blitzte der alte Heldenmut der Germanen, der die Welt nicht flieht, sondern sie zu beherrschen sucht durch die Macht des sittlichen Willens.´“
Derart führt „[e]ine kontinuierliche Linie von preußischen Historikern über protestantische ´Kriegstheologen´ von 1914-18