„So lasset uns ... den Staub von den Schuhen schütteln und sagen: Wir sind unschludig an Eurem Blut“. Richard A. HuthmacherЧитать онлайн книгу.
Unter Berufung auf eine (vermeintlich resp. angeblich) höhere, ungleich größere, sehr viel umfassendere Macht (Gottes)?
Ist Luther „nur“ ein angstgeplagter, von Zweifeln zerrissener, nach einem Ausweg aus seiner Verwirrung suchender Psychopath oder ein durchaus bewusst handelnder intellektueller Brandstifter? Oder beides?
Fragen über Fragen. Zu deren Beantwortung. Liebste, unser Briefwechsel beitragen will – abweichend von der offiziösen Lesart, die von einem „Re-formator“ statt von einem „Re-stitutor“ (der alten in einer neuen, humanistisch-aufgeklärten Zeit) spricht: Bisweilen ist der Herren Dank der Herren Diener gewiss.
Und weiterhin: Spielten Luther und die „Reformation“ an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit eine ähnliche Rolle wie die Französische Revolution und deren Ausgeburt, Napoleon, beim Übergang vom Feudalismus zum Bürgertum? Gebiert, mithin, jede Zeit resp. Zeitenwende die Ungeheuer, die sie verdient? Ungeheuer, die Not und Tod verursachen, obwohl sie (angeblich) für die „Freiheit eines Christenmenschen“ resp. für „liberté, égalité, fraternité“ angetreten sind.
[Anmerkung des Herausgebers: Und gebären – derart, zwangsläufig und folgerichtig – nicht auch Kapitalismus und Neoliberalismus ihre eigenen Ungeheuer: einen Rotschild und einen Rockefeller, einen Gates und einen Sorros, einen Drosten und einen Tedros Adhanom, also neue Herren und deren Adlati, Diener und Vollstrecker? Am Übergang zu einer („neuen“) post-faktischen Zeit. Einer neuen Irrationalität. Im Zeitalter der Pseudo-Wissenschaftlichkeit. Deren, letzterer, Aufgabe es ist, die Interessen derer, die sie, die sog. Wissenschaften, bezahlen, zu legitimieren. Wie irrational die „wissenschaftlichen“ Begründungen auch sein mögen. Beispielsweise dann, wenn man ein Husten- und Schnupfen-Virus als neue Pestilenz verbrämt.]
Ergo und notabene: Newspeak ist keine Erfindung Orwells, Neusprech nicht die des Neoliberalismus´!
Und bedienen die „Protagonisten“ solcher Übergänge (doppelzüngig allemal, bisweilen inkonsistent in ihrer Haltung) nicht immer die Interessen derer, denen am Bestand alter [resp. „neuer alter“ Unterdrückungs-]Strukturen und Herrschaftsverhältnisse gelegen ist?
Wären sie, die vermeintlichen Vorkämpfer, andernfalls nicht längst in der Mottenkiste der Geschichte verschwunden?
Denn, bekanntlich, ist die je herrschende Geschichtsschreibung die Geschichtsschreibung der Herrschenden. Und diese, letztere, setzen sich keine Laus in den Pelz. Ansonsten würden sie nicht herrschen. Sondern wären längst von der Bühne der Geschichte abgetreten.
Sind die – vermeintlichen – Protagonisten einer neuen mithin nicht oft, vielleicht gar meist die Restauratoren der alten Zeit? Ansonsten sie, allenfalls, als Deutera- oder Tritagonisten eine unbedeutende, längst vergessene Rolle in der Tragödie spielen würden, die man der Menschen Geschichte heißt und die in immer gleicher Szenenfolge aufgeführt wird – mit jeweils anderen Darstellern. Von denen, die in der Tat die Macht haben, das Schauspiel zu inszenieren, das sich Historie nennt, indes nichts anderes als das Kaschperl-Theater kennt. Mit Marionetten (wie Luther), die an den Fäden der tatsächlich Mächtigen hängen. Wiewohl die Puppenfiguren bisweilen eine Eigendynamik entfachen (wie beispielsweise der Wittenberger die Bauern- und Religionskriege), die nicht im Sinne der Herrschenden sein mögen, vielmehr als „Kollateralschäden“ zu betrachten und als Nebenwege der Geschichte (von Herrschaftssicherung und Machterhalt) zu erachten sind. [Anmerkung: Ist auch Donald Trump ein solcher „Betriebsunfall“ im Machtspiel der Herrschenden? Der, Trump, eine Eigendynamik entwickelt, welche die Ranküne der im Hintergrund Herrschenden zu durchkreuzen droht. Oder ist auch er nur die – geschickte – Inszenierung des alten Spiels, das in hegelscher Dialektik vermeintliche Thesen und Antithesen anbietet, um dann, in der jeweiligen Synthese, die Pläne der tatsächlichen Macht-Haber – aktuell The New World Order – zu verwirklichen?]
Jedenfalls repräsentiere, so Luther, Gott selbst (in „sua natura et majestate“, seiner Natur nach und in all seiner Macht) das Irrationale, das Abstruse, das Dunkle und Gewalttätige, das Maß- und Zügellose, auch das Triebhafte: „Er [Gott] ist ohne Maß, Gesetz und Ziel und betätigt sich im ganz Paradoxen.“
Ist nicht auch hier, wiederum, die Nähe eines despotischen Gottes zur Willkürherrschaft von Klerus und Adel zu erkennen? Schuf Luther Gott nach dem Ebenbild seiner („christlichen“ wie weltlichen) Herren?
Ist Gott (in Luthers Vorstellung) nichts anderes als seine, Luthers, Projektion eines gewalttätigen Vaters und einer vergrämten und freudlosen Mutter: „Wie aus einem Vaterkonflikt der Konflikt mit der Mutter Kirche entstand: Als junger Mann durchlief Luther eine dramatische Identitätskrise: Er rebellierte gegen seinen dominanten Vater, weigerte sich[,] zu heiraten und Jurist zu werden; stattdessen trat er ins Kloster ein und ließ sich zum Priester weihen – bis er sich im Alter von 34 Jahren dann … gegen die Autoritäten von Papst und Kirche stellte. Luther hatte damit eine Lösung für seine persönliche Krise gefunden, die gleichzeitig einschneidende Umwälzungen für die gesamte christlich-westliche Welt bedeuteten.“
Jedenfalls: Luther hatte Angst. Und schuf Angst. Sicherlich auch im Sinne seiner Oberen: „Bedrohlich ist das Volk für die Herrschenden, wenn es ohne Furcht ist“, wusste schon Tacitus. Und nicht erst der Neoliberalismus. [Der werte Leser erlaube nochmals eine Anmerkung des Herausgebers: Was wäre die „Corona-Krise“ ohne die – wohlgemerkt: vollkommen irrationale – Angst vor einem banalen Erkältungs-Infekt?]
Luther hatte viel Angst. Zuvörderst vor dem Teufel. „Der quält ihn körperlich … [Luthers] Ohrgeräusche geben in den ersten Jahren der Ehe … Ruhe, … als später [jedoch] sein Vater stirbt, fühlt er … [geradezu] Donnerschläge im Kopf. In seinen antisemitischen Hetztiraden stellt er sich vor …, wie Juden die Exkremente des Teufels … verzehren … Gegen den Teufel helfen … [so Luther:] Sex, … Essen, Trinken, Witzemachen …
Er [Luther] sieht ihn [den Teufel] nicht, er hat kein Bild von ihm, doch er hört ihn und spürt ihn. [P]hysisch … [Er] zeigt sich in ´Anfechtungen´, die Luther überfallen. Als Grübeln. Als Melancholie. Als Zweifel. Der Teufel raubt … den Schlaf … Er sorgt für Verstopfung. Er lässt die Körperflüssigkeiten stocken. Er will … das Witzemachen austreiben. Er ist … ein Spielverderber …
Luthers Überzeugung, die ihn von … Zeitgenossen unterscheidet, lautet: Nur wer vom Teufel ständig angegriffen wird und sich ihm stellt, entwickelt den stärksten Glauben, und im Glauben allein ist der Weg zu … Gott …
´Ich kenne ihn genau, und er kennt mich …´, sagt Luther, man … [möchte glauben], er meint Gott … [Doch er meint den Teufel.] Luther verlagert das Böse … nach innen …, der Teufel ist nicht ein anderer. [Außerhalb.] … [Und er] wirkt, wo er will.“ Innerhalb. In ihm. In Luther. Als Gegenentwurf. Zu Luthers Gottesbild.
Das, gleichwohl, noch viel schrecklicher als das des Teufels erscheint. Denn Luther projiziert seine eigene gewalttätige Natur, seine Grobheit, seine Triebhaftigkeit, seine Zügellosigkeit in eben diesen Gott. „Bis an die Grenze der Gemütskrankheit“ zeichnet Luther sein „irrationales Erleben eines tief irrationalen transzendenten Objektes, das sich fast der Bezeichenbarkeit … ´Gott´ entzieht. Und dies ist die dunkle Folie für das gesamte Glaubensleben Luthers. An unzähligen Stellen seiner Predigten, Briefe, Tischreden wird diese Folie sichtbar.“
Mithin: Gott ist böse. Der Teufel ist böse. Und Luther kämpft gegen das Böse. Oder doch, nur, gegen seinen psychotischen Wahn?
Allein durch die Gnade Gottes, nicht durch seine Taten und Verdienste sei der Mensch gerechtfertigt, so Luther; ein Gedanke, der nur schwer zu ertragen sei und deshalb, auch heute noch, den Christen lutherischen Glaubens nicht verkündet werde.
Gleichwohl: Aufgrund solch ekklesiogener, d.h. durch die lutherischen Lehre verursachter Neurosen seien unter evangelischen Pfarrern und deren Frauen, unter evangelischen Religionslehrern und Theologiestudenten 10-mal mehr Verzweifelte und Lebensmüde zu finden als in der Normalbevölkerung. So jedenfalls der Theologe, Arzt und Psychotherapeut Klaus Thomas („So erschöpfend und mit so viel innerem pastoralem Engagement ist wohl das Selbstmordproblem