Physikalische Chemie. Peter W. AtkinsЧитать онлайн книгу.
Abb. 4-12 Schematische Darstellung der Temperaturabhängigkeit des chemischen Potenzials der festen, flüssigen und gasförmigen Phase eines Stoffs (in Wirklichkeit sind die Linien gekrümmt). Die Phase mit dem jeweils niedrigsten chemischen Potenzial ist bei einer gegebenen Temperatur die stabilste. Bei den Übergangstemperaturen (TSm und TS) sind die chemischen Potenziale der beiden betreffenden Phasen gleich groß.
Die Druckabhängigkeit des Schmelzpunkts
Bei den meisten Stoffen erhöht sich unter Druck die Schmelztemperatur. Die Ursache dafür ist, dass durch Druckausübung die Bildung der flüssigen Phase, deren Dichte geringer ist als die der festen Phase, verhindert wird. Eine der Ausnahmen ist Wasser, dessen flüssige Phase dichter ist als Eis: Druckerhöhung begünstigt hier den Schmelzvorgang, daher sinkt die Erstarrungstemperatur.
Dieses Verhalten können wir wie folgt erklären: Die Druckabhängigkeit des chemischen Potenzials ist nach Gl. (3-53) durch
gegeben; die Steigung der Funktion μ(T) ist folglich proportional zum molaren Volumen des betreffenden Stoffs. Da Vm > 0 ist, nimmt das chemische Potenzial jeder Substanz mit steigendem Druck zu. In den meisten Fällen gilt außerdem Vm(l) > Vm(s), sodass nach Gl. (4-2) das chemische Potenzial der flüssigen Phase bei steigendem Druck stärker zunimmt als das der festen Phase. Die Folge ist, wie wir in Abb. 4-13a sehen, dass die Schmelztemperatur etwas ansteigt. Für Wasser gilt dagegen Vm(l) < Vm(s); ein Druckanstieg bewirkt hier für die feste Phase eine stärkere Zunahme des chemischen Potenzials als für die flüssige Phase. Dadurch sinkt die Schmelztemperatur ein wenig (Abb. 4-13b).
Beispiel 4-1 Der Einfluss des Drucks auf das chemische Potenzial
Berechnen Sie, wie sich das chemische Potenzial von Wasser und Eis (jeweils bei 0°C) ändert, wenn der Druck von 0.10 MPa auf 0.20 MPa ansteigt. Gegeben sind die Dichten von Wasser und Eis unter diesen Bedingungen, 0.999 g cm–3 bzw. 0.917 g cm–3.
Vorgehen Aus Gl. (4-3) ist die Druckabhängigkeit des chemischen Potenzials eines nahezu inkompressiblen Stoffs bekannt: Δμ = Vm Δp. Zur Lösung der Aufgabe müssen wir daher zunächst die Molvolumina beider Phasen kennen; wir erhalten sie aus der Dichte ρ und der Molmasse M gemäß Vm = M/ρ.Die gesuchte Beziehung lautet dann Δμ = MΔp/ρ.
Antwort Die molare Masse von Wasser beträgt 18.02gmol–1 (1.802 × 10–2kg mol–1); beim Einsatz aller Zahlenwerte erhalten wir somit
Dieses Resultat ist wie folgt zu interpretieren: Das chemische Potenzial von Eis nimmt mit steigendem Druck schneller zu als das von Wasser; wenn sich beide Phasen bei 0.10 MPa im Gleichgewicht befinden, schmilzt das Eis bei 0.20 MPa.
Übung 4-1
Wiederholen Sie die Rechnung für die feste und die flüssige Phase von Kohlendioxid (Molmasse 44.0 g mol–1), die sich miteinander im Gleichgewicht befinden. Gegeben sind die Dichten, 2.35 g cm–3 bzw. 2.50 g cm–3.
[Δ μ(l) = +1.87Jmol–1, Δμ(s) = +1.76 J mol–1; feste Phase wird gebildet]
Abb. 4-13 Die Druckabhängigkeit des chemischen Potenzials eines Stoffs ist durch das molare Volumen der jeweiligen Phase gegeben. Die Druckabhängigkeit der chemischen Potenziale von fester und flüssiger Phase ist schematisch durch Geraden angedeutet (in Wirklichkeit sind die Linien gekrümmt); darunter sehen Sie die entsprechende Darstellung für die Schmelztemperatur. (a) Das Molvolumen der festen Phase ist kleiner als das der flüssigen Phase; daher steigt μ(s) weniger stark an als μ(l); die Schmelztemperatur nimmt zu. (b) Das Molvolumen des Feststoffs ist größer als das der Flüssigkeit (wie bei Wasser), μ(s) steigt stärker an als μ(l); die Schmelztemperatur wird erniedrigt.
Die Druckabhängigkeit des Dampfdrucks
Wenn auf eine kondensierte Phase Druck ausgeübt wird, steigt ihr Dampfdruck, weil Moleküle aus ihr „heraus gedrückt“ werden und als Gas entweichen. Der erforderliche Druck kann mechanisch oder mithilfe eines unter Druck stehenden Inertgases ausgeübt werden (Abb. 4-14); im letzten Fall ist der Dampfdruck der Partialdruck der gasförmigen Phase, die sich mit der kondensierten Phase im Gleichgewicht befindet. Wenn Letztere eine Flüssigkeit ist, muss man mit einer Komplikation rechnen, die wir hier nicht weiter diskutieren wollen: Das Inertgas kann sich in der Flüssigkeit lösen und so deren Eigenschaften verändern. Weitere Probleme entstehen durch zwischenmolekulare Anziehungskräfte der Spezies in der Gasphase, wodurch der Flüssigkeit Moleküle entzogen werden können (diesen Effekt nennt man Gassolvatation).
Abb. 4-14 Verschiedene Methoden, auf eine kondensierte Phase Druck auszuüben: (a) die kondensierte Phase selbst wird komprimiert, (b) der Druck wird durch ein Inertgas erzeugt. Mit steigendem Druck nimmt der Dampfdruck der kondensierten Phase zu.
Wie wir in der nachfolgenden Begründung zeigen werden, lautet die quantitative Beziehung zwischen dem Dampfdruck p unter einem Druck ΔP und dem Dampfdruck p* ohne zusätzlichen äußeren Druck
Die Gleichung spiegelt die Zunahme des Dampfdrucks einer kondensierten Phase bei steigendem Druck wider.
Begründung 4-2 Der Dampfdruck einer Flüssigkeit unter äußerem Druck
Zur Berechnung des Dampfdrucks einer unter Druck stehenden Flüssigkeit gehen wir davon aus, dass die chemischen Potenziale von flüssiger und gasförmiger Phase gleich sind: μ(l) = μ(g). Bei jeder Zustandsänderung, bei der das Gleichgewicht aufrecht erhalten wird, muss die Änderung von μ(l) genau der von μ(g) entsprechen: dμ(l) = dμ(g). Wenn der auf die Flüssigkeit wirkende Druck um dP zunimmt, ändert sich das chemische Potenzial dieser Phase um dμ(l) = Vm(l) dP und das chemische Potenzial der Gasphase um dμ(g) = Vm (g) dp. Dabei ist dp die Änderung des Drucks p der Gasphase,