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Gehen, um zu bleiben. Klaus MullerЧитать онлайн книгу.

Gehen, um zu bleiben - Klaus  Muller


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knechten müssen, es wurde aber dennoch höchst anstrengend, dabei jedoch äußerst einträglich – dies sei voraus gesagt.

      Nach einigen Wochen hatte ich einen Saisonvertrag als Buffethaftungsleiter auf der MS SEEBAD WARNEMÜNDE, beginnend am 3. Mai 1981, im Briefkasten. Das Schiff sollte in Wolgast liegen und auch von dort seine Tagesfahrten unternehmen.

      Die MS SEEBAD WARNEMÜNDE war ein alter Eisenschlorren von ca. 350 tons und wurde wie ein stolzes Hochseeschiff mit vierzehn Mann ganz seemännisch betrieben. Der Kapitän war ein großer, dicker Mann von Mitte fünfzig, der in den 60ern einmal Erster Offizier auf der VÖLKER-FREUNDSCHAFT gewesen war. Schließlich hatte das Schiff zwei nautische Offiziere an Bord, von denen einer mehrere Jahre bei der Hochseefischerei der DDR als Steuermann gefahren war. Er war an Bord der erfahrenste Mann. Dann gab es noch zwei Mann für die Maschine, einen Offizier und einen Assistent. Die acht Matrosen führte ein Bootsmann. Für die Verpflegung der Passagiere und der Mannschaft waren eine Küchenmeisterin, zwei Kellner und ich, der die Getränkelast unter sich hatte, zuständig. Alle achtzehn Menschen lebten auf dem Schiff, die Offiziere im Oberdeck, die Matrosen achtern und die Gastronomen im Bug.

      Bei der ersten Verholreise mit dem noch leeren Schiff von Stralsund nach Wolgast bekam ich meinen ersten nautischen Hinweis, hatte beim Besuch auf der Brücke die Luvtür geöffnet – der Bootsmann brüllte mich an: „Luvdöör tau!“

      Mit bis zu 130 Fahrgästen begannen in den nächsten Tagen die Törns, die Peene abwärts, durch den Greifswalder Bodden und aus der Landtiefrinne hinaus in die Ostsee, wo die Reise über die Prorer Wieck nach Saßnitz ging. Bei starkem oder steifem Wind aus östlichen Richtungen holte das Schiff gewaltig über. So dicht vor der Küste der Halbinsel Stubnitz und des Mönchguts baute sich dann eine eklige Kreuzsee auf. Das Schiff hatte keinerlei Stabilisatoren, hätte, um das Schlingern zu dämpfen, gegen den Ostwind angehen müssen, doch dort wollten wir nicht hin. Für die Kellner, die das Mittagessen schon im ruhigen Peenestrom mittels ausgegebener Essenmarken kassiert hatten, war die Schlingerfahrt des Schiffes natürlich eine fette Beute, die sie mit der Köchin teilten, da keiner der Gäste mehr Appetit verspürte.

      Bei Schlechtwetter fuhren wir oft leer nach Wolgast zurück, da die Landratten lieber mit dem Zug von Saßnitz aus in ihre Quartiere in Zinnowitz oder in den „Kaiserbädern“ zurückfuhren.

      Manchmal führte der Törn auch aus dem Osttief hinaus, um die beiden winzigen Inseln Greifswalder Oie und Ruden zu umrunden und dann auf der Rückfahrt durch das Landtief wieder in den Greifswalder Bodden hinein. Wir schipperten dann nur noch einige Meilen durch den Bodden, das waren allerdings nur Halbtagsfahrten. Wobei die Fahrwässer, die hier Tiefs oder Rinnen genannt werden, nicht nur betonnt, sondern auch regelmäßig ausgebaggert werden mussten. Dieser Archipel war vor wenigen Jahrhunderten noch zusammenhängendes Land. 1629 landete hier Gustav Adolf mit seinem aus über 10.000 Mann bestehenden Schwedenheer, um von Wolgast aus das „Heilige Römische Reich deutscher Nation“ fast zur Gänze zu erobern. Im Frühmittelalter hatten Rügen und Usedom noch eine gemeinsame Landbrücke, so dass die Peene erst westlich von Stralsund bei Hiddensee in die Ostsee mündete. Die Gewässer waren daher denkbar flach und die Ausfahrten schmal, brachten potenzielle Grenzdurchbrecher daher, besonders bei diesigem Wetter, notgedrungen auf kühne Gedanken.

      Daher waren unter den Fahrgästen auch oft Leute, die von ihrem Auftreten und ihrem Gehabe sowie von ihren Fragestellungen her für mich als Stasileute erkennbar wurden. Den Matrosen waren diese Leute schon bekannt. Sie berichteten von der Furcht der Stasi vor Schiffsentführungen, wie sie angeblich kurz nach dem Mauerbau auf der Ostsee von einer Greifswalder Abiturklasse versucht worden sei. Damals fuhr die „Weiße Flotte“ noch bis kurz vor Bornholm, machte aber nicht mehr im Hafen von Nexø fest, was jene Abiturklasse aber mit Gewalt angeblich hatte erzwingen wollen. Die Möglichkeit eines Grenzdurchbruchs mit einem Seebäderschiff der Weißen Flotte oder überhaupt einem Passagierschiff war für die SED-Machthaber seither ein Horror in ihrer Gedankenwelt., Deshalb auch die überdimensionierte Besatzung auf dem kleinen Schiff ‘, dachte ich.

      Bei mir hatte sich nun aber schon der Gedanke festgesetzt: , Über die See geht der Weg, um einmal den Käfig von außen zu betrachten.‘

      Die offene See mit dem freien Blick zum Horizont, der die Freiheit verheißt, oder zu Schiffen, die an der Kimm deutlich auftauchen, sind für Insassen in einem eingemauerten Land natürlich sehr verführerisch – heute ist das kaum noch zu verstehen. Diese permanenten Gedanken der Insassen nach draußen korrespondierten mit der permanenten Arbeit der Wächter oder der Teilhaber des Käfigs an der Verschlusssicherheit ihrer Anstalt.

      Wie gesagt, war der Job höchst anstrengend. Morgens um fünf Uhr ging der Bootsmann durchs Schiff und brüllte jedem, der noch nicht aus der Koje war, sein „Reise, reise!“ ins Ohr. Um sechs Uhr war Dienstbeginn, obwohl wir dann zumeist noch beim Frühstück saßen. Bis zur Abfahrt mit den Tagespassagieren, zumeist zwischen sieben und acht Uhr, musste die Ware beschafft und eingelagert werden, dann ging die Arbeit mit mehreren Stunden Mittagspause im Zielhafen bis gegen 21 Uhr fort, was uns, an sechs Tagen pro Woche, immerhin neunzig Arbeitsstunden brachte. Jeden Freitag aber war Ruhetag für Schiff und Leute.

      Jeden zweiten Ruhetag ersparte ich mir die 250 Kilometer auf mecklenburgischen Landstraßen nach Rostock und wieder zurück nach Wolgast, blieb an Bord. Diesen einzigen freien Tag alle zwei Wochen verbrachte ich dann zumeist in den Badeorten des nördlichen Usedom, in Zinnowitz oder Koserow.

      Und hier hatte ich im Hochsommer 1981 ein berichtenswertes Erlebnis. Es war die Zeit des ultrarechten, francistischen Putschversuches in Spanien, über den auch im DDR-Fernsehen berichtet wurde, speziell über die Pistolenattacke jenes francistischen Majors in den Cortez, wo jener gestiefelt und gespornt in vollem Wichs die Parlamentarier mit Schüssen in die Decke unter die Tische trieb und nur die Tapfersten auf den Bänken sitzenblieben, wie ich mich noch entsinne.

      Just an einem dieser freien Tage, ich saß zum Dinner im „Hotel am Strande“ in Zinnowitz, stiefelte der hiesige ABV mit seinem Gehilfen im Gleichschritt durch die Gasträume. Sie wollten gewiss nur ihr Personalessen einnehmen. Obwohl die beiden, mitten im Sommer, ihre leichte Sommerdienstuniform hätten anlegen können, lärmten sie aber gestiefelt, lederbekoppelt, mit Pistolentaschen und Sturmriemen-Dienstmütze, mürrischen Gesichts durch den Raum. Es wirkte geradezu albern, ich konnte mir ein feixendes Kopfschütteln nicht verkneifen. Ein älteres Ehepaar, das soeben die Mahlzeit beendet hatte und sich auf den Weg machen wollte, duckte sich aber nun verschüchtert und saß noch einen Moment stumm am Tisch. Als sie sich dann aber doch auf den Weg machten, sagte der Herr noch zu mir: „Für Sie, junger Mann, sind diese Leute wohl spaßig, wir haben sie aber noch in anderer, weniger spaßiger Erinnerung!“

      Die Sommersaison bei der „Weißen Flotte“ ging Mitte Oktober zu Ende. Es war eine schwere Arbeit getan, die mir kaum Zeit gelassen hatte, die Geschehnisse in der Welt zu verfolgen. Die Ermordung von Präsident Sadat im Sommer wurde nur beiläufig erwähnt, die persönliche Verbindung nach Polen war bereits im Vorjahr durch die Stornierung der Visumsfreiheit durch die DDR-Behörden unterbrochen worden. Mir war klar, dass ich einen solchen Knochenjob nicht wieder annehmen durfte, wenn ich mein Ziel verwirklichen wollte. Die Schinderei auf dem Schiff hatte meine Liquidität aber noch einmal gewaltig aufgefrischt.

      Erst nach unserem Jahresurlaub, den ich mit Penelope wieder im „Tal der Ahnungslosen“, in Rosenthal, verbrachte, kam die Lage in Polen deutlicher in mein Bewusstsein. Hier hatte die Solidarność das kommunistische Regime arg in Schwierigkeiten gebracht.

      Im Dezember 1981 stellte der Präsident der Volksrepublik Polen sein Land unter Kriegsrecht. Man vermutete, dass er zu dieser Maßnahme gegriffen hatte, um die Sowjetunion von einem militärischen Eingreifen in seinem Land abzuhalten, was zweifellos zu einem blutigen Krieg mitten in Europa geführt hätte.

      Unglücklicherweise befand sich Bundeskanzler Schmidt zu diesem Zeitpunkt gerade bei Erich Honecker in dessen Gästehaus in der Schorfheide zu Besuch. Er konnte aber auch nicht so einfach aus Protest abreisen, wollte ja noch in Güstrow die Barlach-Gedenkstätte besuchen und auf der Orgel


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