Dr. Norden (ab 600) Jubiläumsbox 4 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
Inhalt
Hat sich alles gegen mich verschworen?
»Das ist ja sehr interessant!« Nur mit Mühe unterdrückte Janine Merck einen Stoßseufzer. Seit geraumer Zeit stand ein gut gekleideter Mann vor ihr am Tresen und redete unentwegt auf sie ein. Als ihr Chef Dr. Daniel Norden zu ihnen trat, sandte sie ihm einen hilfesuchenden Blick.
»Wenn Sie wollen, erkläre ich Ihnen das bei einem Abendessen genauer«, erwiderte der Pharmareferent Sebastian Klotz und lächelte Janine strahlend an.
Obwohl sich der Mann noch gar nicht bei Dr. Norden vorgestellt hatte, wusste der Arzt sofort, dass es sich nur um den Vertreter einer medizinischen Firma handeln konnte. Das erkannte er an dem festgefrorenen Lächeln, das der Besucher mit der ledernen Aktentasche auch nach halbstündiger Wartezeit noch an den Tag legte.
Inzwischen waren Besuche dieser Art seltener geworden. Das lag an den Verträgen, die die Krankenkassen mit den Medikamentenfirmen abschlossen. Doch hin und wieder versuchte trotzdem einer der Herren sein Glück bei dem Allgemeinmediziner. Allerdings war sich Daniel Norden nicht ganz sicher, ob Sebastian Klotz‘ oberstes Interesse wirklich dem Vertrieb seiner Produkten galt. Vielmehr hatte er den Eindruck, dass der Referent es auf die hübsche, mädchenhafte Assistentin Janine Merck abgesehen hatte. Ihr hilfesuchender Blick mahnte Daniel, sie endlich zu befreien.
»Guten Tag, Herr Klotz«, sprach er den Mann an, der Janine förmlich mit Blicken verschlang. »Mein Name ist Daniel Norden. Sie wollten mich sprechen?«
Der Pharmareferent hatte ihn nicht kommen gehört und fuhr erschrocken herum.
»Oh, hallo Herr Dr. Norden«, stammelte er verlegen und streckte Daniel die Hand hin. »Mein Name ist Sebastian Klotz«, wiederholte er überflüssigerweise.
»Das hat mir meine Assistentin bereits gesagt«, klärte Daniel ihn milde lächelnd auf. »Was kann ich für Sie tun?«
»Vielleicht könnten Sie …«, Sebastian sah wieder zu Janine hinüber, »… ich meine … Ihre Assistentin ist bezaubernd. Vielleicht könnten Sie ein gutes Wort für mich einlegen.«
»Habe ich mich nicht deutlich ausgedrückt?«, fuhr Janine ungehalten dazwischen, und auch Daniel war über diese Dreistigkeit erstaunt.
»Sie sind doch bestimmt aus geschäftlichen Gründen hier, nicht wahr?«, erinnerte er den Vertreter fast streng.
Sebastian Klotz nickte mit Nachdruck.
»Ja, natürlich. Ich habe ein paar sagenhafte Medikamente zur Behandlung von Hepatitis C für Sie im Gepäck. Es handelt sich um einen völlig neuen Therapieansatz mit hochmodernen Wirkstoffen. Die Präparate haben wesentlich weniger Nebenwirkungen als die bisher eingesetzten Mittel.«
Er hielt inne, um Atem zu schöpfen.
Diese Gelegenheit nutzte Janine, um sich zu rechtfertigen.
»Ich will wirklich nicht mit diesem Herrn zum Essen gehen«, versicherte sie in Richtung ihres Chefs. »Und das liegt nicht nur an Wendys köstlichen Sandwiches von heute Mittag.«
Dr. Norden wusste, was seine Assistentin damit andeuten wollte. Auch er schätzte solche Einladungen ganz und gar nicht, und Janine wollte auf keinen Fall den Eindruck erwecken, seine Anweisungen zu ignorieren.
»Bitte entschuldigen Sie, Frau Merck.« Sebastian Klotz sah Janine flehend an, während Wendy, die am Schreibtisch nebenan saß, die Augen verdrehte. »Ich wollte Ihnen wirklich nicht zu nahe treten.«
»Warum verstehen Sie dann die Bedeutung des Wörtchens »nein« nicht?«
In diesem Moment konnte sich die langjährige Assistentin von Dr. Norden nicht mehr zurückhalten. Sie war um einige Jahre älter als Janine, eine aparte Erscheinung, die aber mit Sicherheit nicht in das Beuteschema des Vertreters fiel.
»Wenn Sie wollen, gehe ich mit Ihnen essen«, machte Wendy sich einen Spaß daraus, ihn in Verlegenheit zu bringen.
»Oh!« Schlagartig entgleisten Herrn Klotz die Gesichtszüge, und es gelang ihm nicht, seinen Widerwillen zu verbergen.
Wendy registrierte es belustigt.
»Ich kenne ein schickes kleines Restaurant ganz in der Nähe. Wenn ich mich nicht irre, hat der Koch soeben einen Stern bekommen.«
Sebastian Klotz räusperte sich und starrte verlegen auf seine blank geputzten Schuhspitzen.
»Ich glaube, Ihr Chef heißt das nicht gut.«
»Das ist allerdings richtig«, erklärte Daniel, wurde aber von Janine unterbrochen. Ihre Augen funkelten wütend.
»Ach, das ist ja interessant. Und warum haben Sie es dann bei mir versucht?«
»Weil … na ja … ich …« Sebastian Klotz fehlten die Worte. In seiner Not konzentrierte er sich wieder auf den Grund seines Besuchs. Er bückte sich und öffnete den Aktenkoffer. Mit beiden Händen griff er hinein und drückte Daniel Norden kurzerhand ein paar Schachteln seines neuen Arzneimittels in den Arm. »Hier, bitteschön. Probieren Sie es aus. Ich lasse Ihnen meine Karte da. Wenn Sie überzeugt sind, melden Sie sich bei mir. Ja?« Plötzlich schien er es eilig zu haben. »Auf Wiedersehen, die Herrschaften.«
Hastig legte Sebastian Klotz eine Visitenkarte auf den Tresen und verließ dann fluchtartig die Praxis.
Ungläubig starrten ihm Janine, Wendy und nicht zuletzt Daniel nach. Als die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, brachen sie gleichzeitig in amüsiertes Gelächter aus.
»Bitte nehmen Sie diese Medikamente ins Verzeichnis auf und verstauen Sie sie im Medikamentenschrank«, bat Dr. Norden seine Assistentin Wendy, als er sich von seiner Verwunderung erholt hatte. Dann wandte er sich ab, um kopfschüttelnd ins Wartezimmer zu gehen und den nächsten Patienten aufzurufen.
*
Zurück im Sprechzimmer, setzte er sich an seinen Schreibtisch und klappte die Patientenkarte von Michael Ostermann auf. Der ältere Herr hatte ihm gegenüber Platz genommen und sah seinen Arzt aufmerksam an.
»Wie fühlen Sie sich heute?«, richtete Dr. Norden seine Aufmerksamkeit schließlich auf seinen langjährigen Patienten, der nach einer überstandenen Grippe seit einiger Zeit unter unerklärlichen Erschöpfungszuständen litt. Verschiedene Versuche, um das Immunsystem zu stärken, hatten keine wirkliche Besserung gebracht.
»Ich will ja wirklich nicht jammern, Herr Doktor«, begann Herr Ostermann, zurückhaltend, wie es seine Natur war. »Aber seit ein paar Tagen hab ich jetzt auch noch so einen schrecklichen Juckreiz. Ich könnte mich die ganze Zeit nur kratzen.«
Diese neue Entwicklung alarmierte Dr. Norden.
»Darf ich mir das mal ansehen?«, bat er den älteren Herrn und begleitete ihn ins Behandlungszimmer. Michael Ostermann machte seinen Oberkörper frei, dabei stöhnte er leise auf. »Haben Sie Schmerzen?«, erkundigte sich der Arzt besorgt.
»Langsam muss ich mich wohl an den Gedanken gewöhnen, dass ich alt werde«, seufzte der Rentner. »Jetzt krieg ich auch noch Gicht oder Rheuma oder wie das Zeugs alles heißt.«
»Na na, Sie dürfen die Flinte nicht gleich ins Korn werfen«, versuchte Daniel, ihm Mut zu