Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
wie zuvor.
Trotzdem konnte Enno nicht so recht froh werden. Erst als er in das glückselige Gesicht von Pieter blickte, der seinem Auto jubelnd entgegengelaufen kam, vergaß er seinen Kummer.
»Endlich, Vati!«, rief Pieter und umarmte ihn. »Ich hatte schon solche Angst, dass du wieder nicht kommen würdest. Aber wo ist denn die liebe Frau van Arx?«, fragte er. »Du hast doch gesagt, sie kommt auch mit.«
»Sie lässt dich herzlich grüßen, Pieter. Weißt du, es ist etwas dazwischengekommen.« Enno hielt es für besser, dem sensiblen Kind nichts von dem Unfall zu erzählen. »Wie ich sehe, geht es dir gut.«
»Ja, Vati. Und wo ist mein Teddy?«
»Nur mit der Ruhe, mein Sohn«, erwiderte Enno lachend und holte die große Tragetüte aus dem Wagen.
»Oh, und dort ist auch der Teddy. Armer lieber Teddy. Nicht wahr, Teddy, du warst sehr einsam ohne mich?« Glücklich drückte der Junge das Stofftier an seine Brust. »Vati, und das ist meine beste Freundin Heidi. Wir spielen immer so schön zusammen. Und wenn ich mal groß bin, heirate ich sie«, fügte er stolz hinzu.
Heidi machte einen Knicks vor dem netten großen Herrn. Im Stillen beneidete sie Pieter ein bisschen, weil er noch einen Vati hatte – und noch dazu einen so lieben. Ihr Vati war nicht ganz so lieb gewesen, weil er so oft mit ihrer Mutti gestritten hatte. Nun aber lagen beide nebeneinander in dem Grab auf dem Wildmooser Friedhof.
»Ich habe dir auch etwas mitgebracht«, sagte Enno und griff in seine Sakkotasche, um eine Konfektschachtel herauszuholen, die eigentlich für Julia bestimmt gewesen war. In seiner Enttäuschung über ihr seltsames Wesen hatte er vergessen, sie ihr zu geben. Morgen würde er ihr eine neue kaufen.
»Oh, ist die aber schön.« Heidi strahlte vor Freude über ihr reizendes Gesichtchen. »Haben Sie denn gewusst, dass Pieter mein Freund ist?«, fragte sie erstaunt.
»Ja, Heidi, das habe ich gewusst.«
Nun erschienen auch die übrigen Kinder und die beiden großen Hunde, um Enno zu begrüßen. Danach gingen alle gemeinsam ins Haus, wo Frau Rennert und Schwester Regine in der Halle auf Pieters Vater warteten.
»Frau von Schoenecker wird in ein paar Minuten hier sein«, sagte die Heimleiterin nach der Begrüßung.
»Vati, kommst du mit auf mein Zimmer?«, fragte Pieter aufgeregt. »Ich muss dir so vieles zeigen.«
»Natürlich, mein Sohn. Hoffentlich habe ich dir auch die richtigen Spielsachen mitgebracht.«
»Die Hauptsache ist, dass ich meinen Teddy wiederhabe.« Mit dem Bär im Arm lief Pieter vor seinem Vater die Treppe hinauf. Heidi trippelte außer Atem hinter ihm her. Lächelnd folgte Enno den Kindern, die es kaum erwarten konnten, ihm ihre Zimmer zu zeigen.
Enno verbrachte einen unvergesslichen Nachmittag in Sophienlust. Nun lernte er auch die einzelnen Kinder etwas näher kennen und wunderte sich über sich selbst. Nie hätte er gedacht, dass er einen so guten Kontakt zu Kindern finden würde. Sie zeigten ihm deutlich, wie sehr sie ihn mochten. Und sein kleiner Sohn war mächtig stolz auf ihn. Bei jeder Gelegenheit stellte er glücklich fest: »Nicht wahr, mein Vati ist sehr lieb?«
Ganz ohne Tränen ging es diesmal bei Pieter nicht ab, als Enno sich von ihm und den Sophienlustern verabschiedete. »Ich komme am nächsten Wochenende wieder, Pieter«, versprach er.
»Darüber würden wir uns alle freuen«, ergriff Denise das Wort.
»O ja, kommen Sie recht bald wieder!«, rief Henrik aufgeregt.
»Ja, es wäre sehr nett, wenn Sie uns tatsächlich bald wieder besuchen würden«, sagte nun auch Nick als zukünftiger Hausherr.
»Ich komme bestimmt.« Seit langem hatte sich Enno nicht mehr so leicht und unbeschwert gefühlt wie an diesem Tag. Kinder sind wirklich ein Jungbrunnen für Menschen, die sonst nichts weiter im Kopf haben als ihre Geschäfte, dachte er, als er in seinen Wagen stieg.
Die Kinder und Hunde liefen noch ein Stückchen hinter ihm her und winkten ihm nach. Noch einmal erblickte er im Rückspiegel die fröhliche Schar und auch das Herrenhaus mit der Freitreppe, auf der die Erwachsenen standen und ihm ebenfalls nachschauten. Dann bog er auf die Landstraße ein. Als er später die Autobahn entlangfuhr, empfand er seine Einsamkeit nach dem fröhlichen Trubel in Sophienlust doppelt schwer.
Enno hatte sich diesen Abend ganz anders vorgestellt. Er hatte gehofft, ihn zusammen mit Juba in deren gemütlichem Appartement verbringen zu dürfen. Aber das Schicksal hatte allem Anschein nach nichts Gutes mit ihm im Sinn.
*
Am nächsten Morgen rief Enno im Sanatorium in der Eifel an und wurde sogleich mit Betty verbunden. Ihre klagende Stimme zerrte an seinen Nerven. Sie beschwerte sich über die Ärzte und das Personal und flehte ihn an, sie so schnell wie möglich wieder abzuholen.
»Betty, du musst vernünftig sein«, redete er ihr zu. »Vier bis sechs Wochen musst du auf alle Fälle bleiben. Sonst wäre die Kur umsonst.« Dass der Professor ihm erklärt hatte, sie benötige vermutlich einen Aufenthalt von mehr als einem Vierteljahr, wagte er ihr nicht zu sagen. »Sobald ich es einrichten kann, besuche ich dich. Gestern war ich bei Pieter in Sophienlust. Er hat sich bereits gut in dem Kinderheim eingelebt. Du würdest den Jungen kaum wiedererkennen. Er …«
»Ach, rede nicht so viel von dem Jungen«, unterbrach sie ihn in dem ihm so gut bekannten gereizten Ton. »Du denkst immer nur an das Kind. Ich wünschte, ich hätte ihn nie …«
»Bitte, Betty, versündige dich nicht!«, rief er ärgerlich.
»Ich hasse das Kind! Ja, ich hasse es! Ihm habe ich mein ganzes Leid und Elend zu verdanken! Nur ihm!«, schrie sie und legte auf.
Enno seufzte tief auf. Bettys Zustand scheint sich noch nicht gebessert zu haben, dachte er und fühlte sich so ausgehöhlt wie ein morscher Baum.
Am Nachmittag besuchte er Julia im Krankenhaus. An diesem Tag war sie nicht mehr ganz so abweisend. Trotzdem spürte er deutlich, dass plötzlich etwas Fremdes zwischen ihnen stand.
Mühsam schleppte sich ihre Unterhaltung dahin. Enno war fast froh, als er sich verabschieden durfte. »Ich wünsche Ihnen weiterhin gute Besserung«, sagte er leise und verließ dann das Zimmer.
Julia brach in Tränen aus. So verlassen wie an diesem Tag hatte sie sich auch damals nach Wims Tod gefühlt. Sie verstand sich selbst nicht mehr. Weshalb war sie so abweisend zu Enno gewesen? Es war doch möglich, dass weder er noch seine Frau etwas von dem Kindestausch wussten. Vielleicht war ihre Vermutung auch nur ein Hirngespinst von ihr. Sie durfte keinen unnötigen Wirbel machen, da sie keine Beweise hatte. Sie musste sich zwingen, mit beiden Füßen auf dem Boden der Realität zu bleiben. Gleich nach der Entlassung aus dem Krankenhaus würde sie nach Amsterdam fliegen und mit dem Arzt, der sie damals von ihrem Kind entbunden hatte, sprechen. Wenn sie sich doch nur an seinen Namen entsinnen könnte … Aber ja, jetzt wusste sie ihn wieder, Dr. Claus Aarhof. Sie hatte sich von Anfang an gut mit ihm verstanden. Er hatte ihr geholfen, ihre Depressionen zu überwinden. Später allerdings, als ihr Baby gestorben war, hatte sie ihn nicht mehr gesehen.
Aber auch das passte irgendwie zu ihrem Verdacht. »Mein Gott, ich werde noch wahnsinnig«, flüsterte sie. »Ich laufe immer im gleichen Kreis herum, ohne einen Ausweg aus dem Dilemma meiner Gedanken zu finden.«
*
Seit einigen Tagen fühlte sich Betty bedeutend wohler. Die Nervenaufbaumittel schienen eine frappante Wirkung auf ihren Allgemeinzustand zu haben. Auch hatte sie inzwischen einen Brief an Claus Aarhof geschrieben. Danach hatte sie neuen Mut gefasst. Es erschien ihr unvorstellbar, dass Claus auf ihre flehenden Worte nicht im guten Sinne reagieren würde.
Betty schloss die Augen und rief sich die Zeit ins Gedächtnis zurück, in der sie den jungen Arzt kennengelernt hatte. Claus hatte damals gerade seine Examina hinter sich gehabt, und sie war nicht viel älter als achtzehn und ein bildhübsches Mädchen gewesen, das großen Erfolg bei Männern gehabt hatte.
Claus Aarhof hatte ihr vom ersten Augenblick