Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
»Erst müssen Sie mir eine Tablette geben. Eine einzige Tablette!«
»Meinetwegen.« Seine Mundwinkel zogen sich verächtlich nach unten, als er ihren Wunsch erfüllte. Gierig steckte sie die Tablette in den Mund, schöpfte Wasser in ihre hohlen Hände und spülte das Gift hinunter.
Während Betty ins Haus ging, fühlte sich Martin Aarhof keineswegs so sicher, wie er vorgab. Doch hatte er längst erkannt, dass man mit Unverschämtheit besser durchs Leben kam.
Martin setzte sich auf die Bank und hielt das Haus scharf im Auge. Sollte Betty Cornelius Dummheiten machen und jemanden auf ihn hetzen, brauchte er nur über die Mauer hinter sich zu klettern und in sein Auto einzusteigen. Zugleich überlegte er, dass es für ihn recht ungünstig wäre, sollte Betty Cornelius herausbekommen, dass Claus völlig ahnungslos war. Dieser hatte damals sogar seinetwegen Deutschland verlassen, um sich weiteren Erpressungen durch ihn, Martin, zu entziehen.
Betty kam jetzt zurück und steckte ihm hastig die Geldscheine zu. Dann ergriff sie das Röhrchen mit den Tabletten. Diesmal würde sie es besser verstecken, sodass man es ihr nicht wieder würde fortnehmen können.
»In zehn Tagen hole ich mir das versprochene Geld«, sagte Martin.
»Ja, ja.« Betty wich seinem Blick aus. Zehn Tage! In zehn Tagen konnte vieles geschehen. Sehr viel, dachte sie müde und sank wieder auf die Bank zurück. Wie lange würden diese Erpressungen noch weitergehen? fragte sie sich und nahm noch zwei Tabletten, um ihre Angst vor der Zukunft zu bewältigen.
*
Dr. Claus Aarhof las Bettys Brief bereits zum drittenmal. »Das ist doch entsetzlich«, sagte er danach laut. Dass Martin ihn selbst damals unter Druck gesetzt hatte, war schon eine Infamie gewesen. Dass er Betty aber auch noch erpresste, die Frau, die er, Claus, noch immer liebte, kam schon einem Verbrechen gleich.
Sobald wie möglich werde ich Urlaub nehmen und heimfahren, um Martin zur Rede zu stellen, nahm der Arzt sich vor. Sein Blick fiel in den schmucklosen viereckigen Spiegel über der Truhe. Wieder einmal stellte er fest, wie sehr er gealtert war. Er sah viel älter aus als siebenundvierzig. Seine Haare waren frühzeitig ergraut und hatten sich auch gelichtet. Tiefe Falten zogen sich über seine Stirn. Und seine Haut war ausgedörrt von der Sonne und der trockenen Luft.
Es gab Tage, an dem Claus Aarhof nur den einzigen Wunsch hatte, tot zu sein. Selbst die Arbeit hier im Hospital befriedigte ihn nicht mehr. Um seinen quälenden Gedanken zu entfliehen, arbeitete er wie besessen. Aber er konnte nicht vergessen, dass er aus Liebe zu einer Frau gegen das Gesetz verstoßen hatte. Er musste damals verrückt gewesen sein, als er die beiden Kinder vertauscht hatte, ohne daran zu denken, dass er mit dieser Tat einer jungen Mutter das Herz brach. Er war liebestoll gewesen, getrieben von dem einzigen Wunsch, die geliebte Frau nicht im Stich zu lassen.
Wie einfach hätte alles sein können, wenn nicht …
Ja, wie oft hatte er sich gewünscht, den Zeiger der Zeit zurückdrehen zu können bis zu dem Tag vor ungefähr sechs Jahren, als er sich zu diesem Verbrechen hatte verleiten lassen. Doch er konnte als Sühne für sein verbrecherisches Vorgehen nichts anderes tun, als seine ganze Kraft für arme, hilfsbedürftige Menschen einzusetzen.
*
Wie ein Film rollten die damaligen Ereignisse nun noch einmal vor Dr. Claus Aarhof ab. Er kam aus der Frauenklinik, wo er seit Jahren als Arzt angestellt war. Es war ein herrlicher sonnendurchleuchteter Herbsttag. Ein leiser Wind strich über die Bäume. Goldgelbe Blätter sanken langsam zu Boden. Das Laub raschelte unter seinen Füßen, als er mit schnellen Schritten zu seinem Auto ging, um heimzufahren.
Zwei freie Tage lagen vor ihm. Er wohnte in einem der alten Häuser an der Herengracht. Eine Zugehfrau kam täglich drei Stunden und hielt sein Domizil in Ordnung. Diesem fuhr er nun langsam entgegen. Doch plötzlich setzte sein Herzschlag aus. Dort ging doch Betty Hootzen! Nein, sie hieß ja jetzt Betty Cornelius. Unter Tausenden hätte er sie herausgefunden, denn er liebte sie noch immer. Ihretwegen hatte er nicht geheiratet, obwohl er sich längst nach einer Lebensgefährtin sehnte.
Ein Kostverächter war er jedoch nicht. Er wechselte seine Freundinnen ständig. Im Augenblick war er mit einer Medizinstudentin liiert, die aus sehr ärmlichen Verhältnissen kam und jede Arbeit annahm, um ihr Studium finanzieren zu können. Auch zeigte sie keinen falschen Stolz, wenn er ihr Geld gab. Besonders jetzt nicht, denn sie erwartete ein Kind. Als er davon erfahren hatte, hatte er ihr einen Heiratsantrag gemacht, weil er geglaubt hatte, der Vater des Kindes zu sein. Mit erstaunlicher Offenheit hatte sie jedoch zugegeben, dass sie nicht genau wisse, ob das Kind von ihm sei.
Claus suchte nach einem Parkplatz und hatte Glück. Als er geparkt hatte, stieg er rasch aus, lief hinter Betty her und holte sie an der nächsten Straßenkreuzung ein.
»Betty!«, rief er. »Na, so ein Zufall!«
»Claus, du?« In ihren Augen glitzerten Tränen. »Was für ein Zufall«, sagte auch sie und sah ihn glücklich an. »Komisch, ich habe gerade in diesem Augenblick intensiv an dich denken müssen. Gut siehst du aus. Es ist schon viele Jahre her, dass wir uns gesehen haben. Warte mal …« Ihre glatte Stirn runzelte sich. »Ja, fast sieben Jahre. O nein, acht Jahre!«
Er erkannte sofort, dass sie nicht glücklich war. »Hast du Zeit für mich? Oder wartet dein Mann auf dich?«, fragte er.
»Ich habe mich von meinem Mann getrennt«, erwiderte sie. »Ja, ich habe Zeit, viel Zeit.«
»Dann komm mit zu mir«, bat er.
»Gut, Claus.«
Eine Viertelstunde später saß Betty in seinem Wohnzimmer und hielt ein Glas Cognac in der Hand.
»Du bist noch genauso schön wie damals, als wir uns trennten«, sagte er.
»Ach, Claus, es ist nett, dass du das sagst. Aber du weißt genauso wie ich, dass das nicht stimmt. Ich habe viele Fältchen bekommen. Dabei bin ich erst zweiunddreißig Jahre alt. Aber das macht der Kummer.« Wieder standen ihre Augen voller Tränen.
»Aber du warst doch so verliebt in deinen Mann?«
»Verliebt? Ja, das war ich. Und ich liebe ihn heute mehr denn je. Aber er wünscht sich einen Erben, was ja auch verständlich ist. Und ich kann keine Kinder bekommen.«
»Aber das erscheint mir doch unmöglich, Betty. Du strotzt vor Gesundheit und …«
»Das denken alle. Aber glaube mir, was ich sage. Ich bin von einem Arzt zum anderen gelaufen und habe mich sogar operieren lassen. Nichts!«
»Wie lange lebst du denn schon von deinem Mann getrennt?«
»Über ein halbes Jahr. Ich wohne jetzt in der Wohnung meiner Eltern. Vor drei Monaten ist mein Vater nach Indien versetzt worden. Ich hätte meine Eltern begleiten sollen. Aber ich wollte nicht. Holland ist nicht so weit von Essen entfernt. Meine Eltern kommen in ungefähr zwei Monaten für einige Wochen zurück. Weißt du, Claus, manchmal habe ich ganz unsinnige Gedanken. Ich …« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, es hat keinen Sinn.«
»Was hat keinen Sinn?« Er nahm ihr den Cognac-Schwenker sanft aus der Hand und stellte ihn auf den Tisch. Dann umfasste er ihre Hände und zog sie aus dem Sessel hoch. »Betty, vergiss nicht, dass ich dich noch immer liebe. Schließlich haben wir uns einmal sehr nahe gestanden.«
»Ach, Claus«, schluchzte sie auf und schmiegte sich an ihn. »Ich bin so froh, dich getroffen zu haben. Oft war ich nahe daran, dich anzurufen. Aber ich hatte ja keine Ahnung von deinen Verhältnissen. Du hättest ebenso verheiratet sein können.«
»Du weißt, dass es für mich nur eine Frau gegeben hat, die mir wert schien, meine Frau zu sein. Dich, Betty.«
Dann küssten sie sich. Betty blieb bei ihm. Zwei Tage lang gaben sie sich alles und schlossen die Welt aus. Und in diesen beiden Tagen gelang es Betty, ihn für ihren Plan zu gewinnen. Sie wollte eine Schwangerschaft vortäuschen und ihrem Mann ein fremdes Kind unterschieben.
Zuerst hatte er strikt abgelehnt, ihr zu helfen. Aber dann hatte er an Lucy Bomans gedacht,