Sophienlust Paket 3 – Familienroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
nicht wahr?«
»So ist es.« Der Arzt spielte mit einem Kugelschreiber und sah Renate sinnend an. Dass sie sich verändert hatte, war auffällig. Irgendetwas
schien vorgefallen zu sein, das sie hatte reifer werden lassen.
»Ich habe bei der Bergung der Verletzten geholfen, Herr Oberarzt. Es war entsetzlich. Wir Krankenschwestern sind an und für sich abgehärtet, aber ich hatte das Gefühl, nicht durchhalten zu können.«
Also das ist es, dachte der Oberarzt erleichtert. Denn der Gedanke, dass sie vielleicht einen Mann kennengelernt hatte, der ihr mehr bedeutete, wäre zu enttäuschend für ihn gewesen. In der Zeit ihrer Abwesenheit war ihm klargeworden, dass er Renate Hagen liebte. Er wollte sie heiraten. Bisher wusste keiner im Krankenhaus, dass er seit vielen Jahren Witwer war und einen Sohn hatte, der in einem Internat am Starnberger See bei München aufwuchs. Jetzt wollte er endlich wieder ein Familienleben führen und Renate Hagen war genau die richtige Frau für ihn. Ihre frauliche Ausstrahlung gefiel ihm. Er konnte sich ein Leben mit ihr gut vorstellen.
Entschlossen legte Dr. Aigner den Kugelschreiber zurück auf seinen Platz und sagte: »Ich wollte Sie fragen, ob Sie mit mir heute Abend in einem netten Lokal zu Abend essen wollen, Schwester Renate.«
Ihr erster Impuls war, seine Einladung auszuschlagen. Doch dann nahm sie sie aus reiner Höflichkeit an. »Gern«, erwiderte sie.
»Ist es Ihnen recht, wenn ich Sie gegen acht daheim abhole?«
»Wissen Sie denn, wo ich wohne?« Renate spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoß.
»Ich weiß es, Schwester Renate«, entgegnete er fröhlich. »Mehr wollte ich eigentlich nicht von Ihnen.«
Er erhob sich. Auch Renate stand auf. Fest drückte er ihr die Hand, dabei blickte er ihr vielsagend in die Augen.
Sein zärtlich werbender Blick ließ Renate wieder erröten. So etwas wie Bedauern stieg nun doch in ihr hoch. Bei ihm würde sie ein ruhiges Leben führen, wie sie es sich immer erträumt hatte. Hätte sie sich nicht in Roy Bennet verliebt, wäre sie bestimmt die Frau des Oberarztes geworden, wenn er sie darum gebeten hätte. Aber nun konnte sie das nicht mehr. Dabei wusste sie nicht einmal, ob ihre Liebe zu Roy Aussicht auf Erfüllung hatte, ob sie Roy jemals wiedersehen würde.
Diese Gedanken bewegten Renate den Rest des Tages. Erleichtert verließ sie am späten Nachmittag das Krankenhaus, um auf dem schnellsten Weg heimzufahren. Aufgeregt fuhr sie mit dem Fahrstuhl nach oben, denn in ihrem letzten Brief an Roy hatte sie ihm ihre Ulmer Adresse genannt. Vielleicht hatte er ihr schon geschrieben?
Aber der Briefkasten war leer. Enttäuscht ging Renate in ihr Schlafzimmer, um sich umzukleiden. Wäre es nicht besser, sie würde sich Roy aus dem Kopf schlagen?, fragte sie sich, als sie sich auszog und ins Badezimmer ging.
Sehr nachdenklich studierte sie jede Linie ihres ovalen Gesichts in dem Spiegel über dem Waschbecken. Schlecht sah sie gewiss nicht aus, aber sie war auch keine umwerfende Schönheit. Ihre Figur war ganz passabel, aber leider durfte sie niemals so viel essen, wie sie gern gewollt hätte.
»Ich bin eine dumme Gans«, schalt Renate sich laut und fühlte sich danach etwas erleichtert. Doch während sie sich für ihre Verabredung mit Dr. Aigner hübsch machte, dachte sie ununterbrochen an die drei Bennets. Sicherlich würde Jeremy sie sehr vermissen, überlegte sie. Er würde gewiss glücklich sein, wenn sie für immer bei ihnen bleiben würde. Bei Daisy war sie dessen nicht so sicher. Sie war eher davon überzeugt, dass das kleine Mädchen sie ablehnte. Und Roy? Roy hatte seine Frau so geliebt, dass er vorläufig gewiss noch nicht an eine andere Frau dachte.
»Ich bin wirklich ein hoffnungsloser Fall«, sagte Renate laut und zuckte leicht zusammen, als es läutete.
Als sie zur Sprechanlage ging, überlegte sie, ob sie Jürgen Aigner auf einen Sprung heraufbitten sollte. Aber dann sagte sie sich, dass sie ihm mit dieser Einladung nur Hoffnungen machen würde, die sie niemals erfüllen konnte. »Ich komme gleich!«, rief sie deshalb, nachdem er seinen Namen genannt hatte.
Nach einem letzten Blick in den Spiegel verließ Renate das Appartement. Dr. Aigner erwartete sie mit einem glücklichen Lächeln vor der Haustür. »Ich freue mich sehr«, sagte er herzlich und hakte sich bei ihr unter, als sie zum Auto gingen.
»Ich auch«, erwiderte Renate gegen ihren Willen. Staunend stellte sie fest, dass die Privatperson Dr. Jürgen Aigner viel jünger wirkte als der Oberarzt. Etwas Jungenhaftes, Strahlendes ging von ihm aus. Er war Ende der Dreißig und ein sportlicher Typ. Sein Schläfenhaar war bereits leicht angegraut, was ihm jedoch sehr gut stand.
»Sie blicken mich an, als würden Sie mich zum erstenmal sehen«, stellte er mit einem kleinen Lachen fest, bevor er losfuhr.
»Tue ich das?« Sie erwiderte sein Lächeln. »Das habe ich gar nicht bemerkt.«
Wieder lachte er. Dann trat er aufs Gaspedal.
Während der Fahrt sprachen sie über belanglose Dinge. »Ich hoffe, es gefällt Ihnen hier«, sagte er dann, als sie die Stufen zu einem alten Weinlokal hinunterstiegen. »Hier sollen schon die Raubritter ihre Zechgelage abgehalten haben.«
»Dann muss es ja wohl schön sein.« Renate wurde von seiner ausgelassenen Stimmung mitgerissen. Seine männliche Persönlichkeit faszinierte sie. Für ein Weilchen vergaß sie sogar Roy.
Das Essen war ausgezeichnet und der Wein so gut, dass Renate mehr als sonst trank. Auf allen Tischen standen Kerzen. Sonst war das Lokal nur wenig beleuchtet.
Renate stellte fest, dass kaum Gäste da waren. Sie fand das aber nicht verwunderlich, weil es Montag war. Sie begegnete Jürgen Aigners Blick und las darin Liebe und Bewunderung.
»Ich habe Sie sehr vermisst, Schwester Renate«, sagte er und umfasste ihre Hände.
»Es gibt aber tüchtigere Schwestern als mich.« Renate senkte ihren Blick.
»Ich habe Sie auch nicht so sehr beruflich vermisst, Renate.«
»Bitte, Herr Oberarzt …«
»Lassen Sie doch ganz einfach den Oberarzt weg«, bat er. »Ich heiße Jürgen.«
»Ich weiß.« Renate bereute nun, dass sie seine Einladung angenommen hatte. Auf einmal dachte sie so intensiv an Roy, dass sie das Gefühl hatte, ihn vor sich zu sehen.
»Renate, Sie bedeuten mir sehr viel. Und ich habe … ich hatte das Gefühl, dass ich Ihnen auch gefalle. Wissen Sie, warum ich ›hatte‹ sage?«
Stumm sah sie ihn an.
Er ließ ihre Hände los. »Ich glaube, irgendetwas ist inzwischen geschehen. Ist es die Flugzeugkatastrophe, die Sie so seltsam verändert hat?«
»In gewisser Weise ja«, gab sie zu und lächelte matt. Ihr würde nichts anderes übrigbleiben, als offen mit ihm zu sprechen. Wieder bedauerte sie das sehr, denn mehr denn je wurde ihr bewusst, wie gut Jürgen und sie zusammengepasst hätten.
»Renate, bisher habe ich Ihnen verschwiegen, dass ich Witwer bin. Seit zehn Jahren. Meine Frau hatte Leukämie. Ich habe lange nicht überwinden können, dass wir Ärzte ihr nicht helfen konnten. Ich glaubte damals, wahnsinnig zu werden. Es ging über meine Kräfte, meine Frau sterben zu sehen.« Er fuhr sich über die Augen. »Seitdem habe ich eigentlich nie mehr ein wirkliches Interesse für eine Frau gehabt – bis Sie in mein Leben traten. Sie gefielen mir vom ersten Augenblick an, Renate. Ich habe einen Sohn. Er wird bald zehn. Er befindet sich in einem Internat.«
Renate sah ihn mitfühlend an. Hätte er ihr das alles vor ihrem Urlaub erzählt, hätte sie sich bestimmt nichts sehnlicher gewünscht, als sein Kind kennenzulernen. »Das tut mir alles sehr leid für Sie«, entgegnete sie und fühlte, wie banal ihre Worte doch klangen.
»Renate, was ist geschehen?«, fragte er und schluckte seine Enttäuschung gewaltsam herunter.
»Viel, sehr viel, Herr Oberarzt.«
»Ein anderer Mann, nicht wahr?«
»Ja, ein anderer