Dr. Norden Staffel 5 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
widersprach Tobias, als er plötzlich lauthals zu lachen begann. »Das glaube ich jetzt nicht!«
Endlich wurde auch Marianne neugierig.
»Was ist denn los?« Sie hatte es eilig, und dementsprechend ungeduldig war ihr Tonfall.
»Komm her und schau’s dir selbst an.« Tobias winkte seine Mutter zu sich.
Zuerst zögerte sie und warf einen fragenden Blick auf die Wohnungstür. Tatjana wartete sicher schon auf sie. Schließlich siegte aber ihre Neugier, und sie ging durch’s Wohnzimmer hinüber zu Tobias.
»Da bin ich ja mal gespannt, was es so Tolles zu sehen gibt«, lächelte sie und stellte sich neben ihn. Im nächsten Moment packte sie ihren Sohn am Arm. »Das ist doch Mario!«, rief sie, als sie ihren Freund sah, der in der geöffneten Tür des Linienbusses stand. Er hielt einen Strauß roter Rosen in der Hand und winkte mit beiden Armen zu ihr hinauf. Dabei ließ er sich weder von den hupenden Autos hinter sich noch von den Passanten stören, die kopfschüttelnd auf dem Gehweg vorbei gingen.
»Marianne!«, rief er mit gellender Stimme, als seine Freundin am Fenster auftauchte. Seine Stimme war so laut, dass sie sogar durch die geschlossenen Fenster zu hören war. Wenn möglich wedelte er noch wilder mit den Blumen durch die Luft. Ein paar der Rosen nahmen ihm das übel und verloren ihre Blütenblätter. Doch der Kinderarzt bemerkte es noch nicht einmal. »Bitte komm runter, Marianne!«
»Los, Mama, worauf wartest du noch?«, grinste Tobias und stieß seine Mutter in die Seite. »Verliebt anstarren kannst du ihn auch aus der Nähe.«
Wie aus einer Trance erwacht, zuckte Marianne zusammen.
»Ja, natürlich, klar, ich muss los.« Geistesabwesend küsste sie ihren Sohn und machte sich auf den Weg nach unten, wo sie schon sehnsüchtig erwartet wurde.
»Marianne, endlich! Da bist du ja«, begrüßte Mario seine Traumfrau, als sie zu ihm auf die Straße trat. »Ich dachte schon, dass der Bus gleich abgeschleppt wird, wenn du nicht gleich kommst.« Er legte den Kopf schief und lächelte sie verlegen an.
»Die Gefahr besteht allerdings«, erwiderte die Konditorin ironisch, und nur der Hauch eines kühlen Lächelns spielte um ihre Lippen. Allein ihre raue Stimme verriet ihren inneren Aufruhr und am liebsten hätte sie sich sofort in Marios Arme gestürzt. Doch ihre Vernunft verbot ihr solche ungestümen Liebesbekundungen und gemahnte sie zur Vorsicht. »Warum bist du mit einem Bus hier?«, fragte sie, um Zeit zu gewinnen.
Diese Reaktion war nicht gerade das, was Mario sich erhofft hatte und er unterdrückte ein gequältes Seufzen. Zum einen hatte er für diese Aktion all ein Überzeugungskünste und eine Stange Geld einsetzen müssen. Zum anderen sehnte er sich so sehr danach, Marianne endlich wieder in die Arme zu schließen, ihre weichen Lippen wieder auf den seinen zu spüren, den zarten Duft ihrer Haut zu riechen, dass er fast verrückt wurde. Fühlte sie denn nicht genau wie er? Ihr Zögern enttäuschte ihn, und einen Moment lang dachte er daran, sich zurückzuziehen. Doch diese Frau war zu wertvoll, als dass er so einfach aufgeben und sie gehen lassen konnte. Instinktiv wusste er, dass Marianne jeden Kampf wert war.
»Besondere Menschen erfordern besondere Maßnahmen«, erwiderte er wahrheitsgemäß. »Deshalb habe ich einen Bus organsiert. Ich muss unbedingt mit dir reden, Marie.«
Wie er so dastand und sie mit treuherzigem Blick flehend ansah, wurde Marianne flau im Magen. Nicht mehr lange, und ihr Widerstand würde zusammenbrechen. Schnell sah sie weg.
»Und ich muss unbedingt zur Arbeit. Ich kann Tatjana unmöglich allein lassen.«
»Dann lass uns auf der Fahrt dorthin reden. Der Busfahrer und ich bringen dich hin«, machte Mario einen Vorschlag, und als Marianne nach kurzem Zögern zustimmte, wusste er, dass er gewonnen hatte.
Es war, als hätte ein Windstoß eine dunkle Wolke aus ihrem Gesicht fortgewischt. Plötzlich war die kritische Falte zwischen ihren Augen verschwunden und die Liebe blitzte verräterisch in ihrem Blick auf. In diesem Moment gab es kein Halten mehr. Mario schloss Marianne in seine Arme und küsste sie, als gäbe es kein Morgen mehr.
*
In der ehemaligen Bäckerei Bärwald hatte sich eine lange Schlange gebildet. Während sich Tatjana bemühte, alle Wünsche zu erfüllen, warteten die Kunden mehr oder weniger geduldig darauf, dass sie endlich an die Reihe kamen.
»Entschuldigung, haben Sie auch laktosefreies Gebäck?«, fragte eine Kundin, als sie vor der jungen Chefin stand.
Solche Fragen und Sonderwünsche waren im Normalfall kein Problem. Doch an diesem Tag war jedes Extra zu viel. Nur mit Mühe gelang es Tatjana, ein Seufzen zu unterdrücken. Dabei ließ sie ihren nachdenklichen Blick über die Auswahl in der antiken Vitrine wandern.
»Die Blätterteig-Kirsch-Taschen können Sie problemlos essen. Und der Birnen-Streusel-Kuchen kommt auch ganz ohne Milchprodukte aus. Außerdem…«
»He da, geht das nicht ein bisschen schneller? Meine Mittagspause ist gleich vorbei«, fiel ihr einer der Wartenden ins Wort.
»Bis wir endlich dran sind, können wir wahrscheinlich eh gleich in den Feierabend gehen!«, mutmaßte ein anderer, und ein paar der Kunden brachen in Gelächter aus.
»Ich finde das gar nicht lustig. Früher war der Service hier besser«, stimmte eine Kundin nicht in die allgemeine Heiterkeit ein. »Wenn das so weitergeht, suche ich mir eine andere Bäckerei. Was hab ich von der Renovierung, wenn ich keine Ware mehr bekomme?« Als sie von allen Seiten lautstarke Zustimmung erntete, lächelte sie Tatjana selbstgefällig an.
Genau solche Worte waren es, vor denen sich die aufstrebende Bäckerin so sehr fürchtete. Sie hatte so hart für ihren Erfolg gearbeitet, sehr viel Geld und Arbeit investiert, ihre Ausbildung zur Bäckerin und Konditorin abgeschlossen, um das Geschäft selbst führen zu können und zuletzt den großen Umbau gewagt. Die positive Besprechung in der Zeitschrift war eine wundervolle Bestätigung dafür gewesen, dass sich all ihre Mühen gelohnt hatten. Wenn sie aber die hohen Erwartungen nicht erfüllen konnte, dann wäre alles umsonst gewesen.
»Hallo, hören Sie schlecht, junge Frau?«, riss sie eine ungeduldige Stimme aus ihren Gedanken.
Erschrocken zuckte Tatjana zusammen.
»Es tut mir leid. Was kann ich Ihnen einpacken?«, fragte sie, als sie zu ihrem großen Schrecken und trotz ihrer Sehbehinderung auch noch einen blau gefärbten Haarschopf entdeckte, der in der Bäckerei auftauchte.
Wie um sich hinter dem Tresen zu verstecken, senkte Tatjana den Kopf. Mechanisch füllte sie Tüte um Tüte, kassierte, gab Wechselgeld heraus und fragte den nächsten Kunden nach seinen Wünschen. Doch so sehr sie sich auch bemühte, so wenig wollte der Strom abreißen. Dabei warteten in der Backstube schon die nächsten Bleche, die aus dem Ofen geholt werden und andere, die hineingeschoben werden wollten.
»Bitte entschuldigen Sie mich einen Augenblick«, bat Tatjana hektisch, als sie das schrille Klingeln in ihrem Rücken hörte.
»Moment mal, Sie können mich doch jetzt nicht einfach so stehen lassen«, beschwerte sich der Mann, der als nächster an der Reihe war.
»Wenn Ihr Nachbar hier gern verbrannte Brötchen haben will, bitte sehr«, gab Tatjana schnippisch zurück und eilte in die Backstube, um die Brezen aus dem Ofen zu retten.
Als sie mit erhitzten Wangen und einem schweren Korb voll mit verschiedenstem Gebäck zurückkehrte, war der Kunde verschwunden. Dafür stand die junge Frau mit den blaugefärbten Haaren grinsend vor dem Tresen.
»Was willst du denn schon wieder hier?«, stöhnte Tatjana und machte Anstalten, den Korb ins Regal hinter sich zu hieven.
»Och, ich seh mich nur mal um…«, erwiderte Marla und sah Tatjana genau wie die anderen Kunden dabei zu, wie sie sich mit dem Korb abmühte.
Erst als er gefährlich in Schieflage kam und ihr um ein Haar aus der Hand gerutscht wäre, eilte Marla der überforderten Bäckerin zu Hilfe.
»Sieht ganz danach aus, als ob Sie mich doch brauchen können«, stellte sie zufrieden