Mami Staffel 9 – Familienroman. Stephanie von DeyenЧитать онлайн книгу.
mit luftgetrocknetem Schinken, Bergkäse und Landwein stärkte. Manche von Katjas Gästen sprachen den delikaten Genüssen etwas zuviel zu. Bei der Rückfahrt über kurvenreiche Bergstraßen wurde es einigen schlecht. Mehrere Stops mußten eingelegt werden, und wieder war Katjas Hilfe gefragt.
Die junge Reiseleiterin war froh, als sie, etwas später als vorgesehen, ihr Domizil, den Club Cala Martha, erreichten.
»Ab neunzehn Uhr wird im Speisesaal das Abendbrot serviert. Frühstück ist morgen um acht, Abfahrt um neun Uhr. Und bitte seien Sie pünktlich, wir haben morgen eine weite Fahrt.« Das war Katjas letzte Durchsage an diesem Tag. Sie steckte das Mikrophon weg und verließ als erste den Bus. Nur zehn Minuten blieben ihr, um sich etwas zu erfrischen und umzuziehen, dann war sie mit dem blonden Deutschen verabredet, von dem sie nur wußte, daß er Mike hieß.
Die Reiseteilnehmer holten die Päckchen mit dem in Alpujarras gekauften Schinken aus den Gepäckfächern und kletterten ebenfalls ins Freie.
»Wann ist Abendessen? Ist das Frühstück auch im Speisesaal? Gibt es ein Büfett oder Menüwahl? Kann man sich zum Frühstück statt Kaffee auch Tee bestellen? Sind die Getränke eigentlich inclusive?«
Von allen Seiten wurden Fragen an Katja herangetragen. Sie beantwortete sie freundlich und ohne Hast, obwohl sie es selbst eilig hatte.
Endlich verteilte sich die Reisegruppe. Jeder strebte seinem Appartement zu. Diese waren in kleinen Häusern zu vier Einheiten untergebracht. Dazwischen gab es Bäume, Sträucher und Rasenflächen, so daß der Eindruck entstand, als würde es hier nur wenige Urlaubsgäste geben. Es war recht geschickt gelöst, und es waren auch alle zufrieden.
Trotz aller Widrigkeiten war Katja pünktlich beim vereinbarten Treffpunkt. Sie wirkte frisch und ausgeruht, obwohl ihr nicht einmal Zeit zum Duschen geblieben war.
»Schön, Sie wiederzusehen«, meinte Mike, der sich ehrlich freute. »Im Kleid sehen Sie noch reizvoller aus als in Jeans«, stellte er galant fest.
Katja hörte es sehr wohl, ging aber nicht darauf ein. »Haben Sie das Kinderheim ausfindig gemacht?«
»Ja, es liegt mitten in Malagas Altstadt. Unseren Besuch habe ich avisiert.«
»Da bin ich ja gespannt, ob uns Emely wiedererkennt.« Ohne zu zögern stieg Katja in Mikes Leihwagen. Während der Fahrt unterhielten sie sich über Andalusien, und Mike staunte immer wieder, welch umfassende Kenntnisse über Kultur und Landschaft seine Begleiterin hatte. Während ihn Maurenas eitles Geschwätz oft langweilte, war die Unterhaltung mit Katja ein reines Vergnügen.
Sie waren beide überrascht, als sie Malaga erreichten. Die Rush-hour war vorüber, und so fanden sie ohne Schwierigkeiten einen Parkplatz in der Innenstadt.
Die Plaza Cueva machte ihrem Namen alle Ehre. Vermutlich hatte es früher hier tatsächlich Höhlenwohnungen gegeben. Irgendwann waren Häuser gebaut worden, die inzwischen wieder langsam verfielen. Das Kinderheim bildete darin keine Ausnahme. Es sah von außen schmutzig und verkommen aus und innen nicht besser. Die Tapeten hingen von den Wänden, die Decken waren rußgeschwärzt. Ein muffiger Geruch zog durch die niedrigen Räume.
Die Pflegerinnen waren gerade beim Abendbrot und deshalb vom Besuch des jungen Paares überhaupt nicht begeistert.
»Das Findelkind Emely wollen Sie sehen?« fragte eine Schwester in fleckigem weißem Kittel. »Die Kleine haben wir erst seit gestern. Sie hat sich noch nicht eingewöhnt, das werden Sie gleich feststellen. Zimmer acht. Das ist das letzte in diesem Gang rechts. Wenn Sie etwas wissen wollen, rufen Sie.« Damit verschwand die Frau wieder in dem Raum, in dem mit Besteck und Geschirr geklappert wurde.
Katja und Mike sahen sich an. Beide dachten sie das gleiche: Das ist kein Kinderheim, eher ein Gefängnis. Tatsächlich gab es Gitter vor allen Fenstern. Die Türen waren verschlossen, und dahinter wurde geweint.
Zweifellos bekamen die Kinder genug zu essen, frische Wäsche und auch etwas Spielzeug, aber es fehlte die Zuwendung. Sie blieben sich selbst überlassen, egal ob sie Kummer hatten oder mitteilungsbedürftig waren.
Dieser Eindruck bestätigte sich, als Mike und Katja den Raum betraten, in dem Emely untergebracht war. Es war ein düsteres Zimmer, dessen einziges, winziges Fenster auf den Hof ging. Sechs abgewetzte Gitterbettchen standen eng nebeneinander. Darin schliefen Säuglinge, die ausgesetzt oder von ihren Eltern mißhandelt worden waren. Irgendwann würden sie in Pflegefamilien vermittelt oder von kinderlosen Paaren adoptiert werden.
Emely war das älteste Kind in diesem Raum. Es war nicht schwer zu erraten, daß sie sich einsam und verlassen fühlte. Verschwitzt, verweint und ungewaschen stand sie in ihrem Bettchen und sah mit großen, traurigen Augen den Besuchern entgegen.
»Armes Kleines!« Mitleidig nahm Katja das Kind auf den Arm. »Sie hat die Hosen voll«, stellte sie fest und sah sich nach frischen Windeln um. Mit geschickten Handgriffen wechselte Katja die Wäsche des kleinen Mädchens.
Mike schaute staunend zu. »Wie gut Sie das können«, lobte er.
»Das ist selbstverständlich, wenn man wie ich drei jüngere Geschwister hat.« Katja säuberte auch Emelys verweintes Gesichtchen und kämmte die verklebten Löckchen. »Hier können wir sie auf keinen Fall lassen«, meinte sie, als sie das Kind wieder auf den Arm nahm. »Sie wird ja krank und stumpfsinnig in dieser Bude.«
Mike war der gleichen Ansicht, und doch stürzte ihn diese Äußerung in Verwirrung. »Was sollen wir denn tun?«
»Wir müssen ein privates Kinderheim finden, in dem man mehr Zeit für die Kleinen hat, selbst wenn das etwas kostet. Ich bin gern bereit…«
»Die Kosten übernehme ich«, erbot sich Mike sofort. »Eine größere Schwierigkeit sehe ich darin, das Passende zu finden. An wen wendet man sich da, und vor allen Dingen wie macht man sich verständlich, wenn man wie ich kein Spanisch spricht.« Mike hatte so schon Probleme genug und hätte auf diese zusätzliche Belastung gut verzichten können.
»Vielleicht kann ich das regeln. Bevor wir morgen um neun Uhr wegfahren, habe ich Zeit, die Behörden anzurufen, um mir einige Adressen geben zu lassen. Die Sprache ist für mich kein Problem.«
»Da haben Sie mir viel voraus«, seufzte Mike, der seine Begleiterin immer mehr bewunderte. Sie fand für jedes Problem eine Lösung und war bereit, sich für andere einzusetzen, auch wenn sie Nachteile davon hatte. Maurena hätte das nie getan.
Katja überging auch dieses Lob. »Ich nehme an, Emelys Mutter hat ganz genau gewußt, wo ihre Kleine landen wird, wenn sie das Kind der Fürsorge oder dem Jugendamt anvertraut. Deshalb hat sie Emely Ihnen übergeben.« Katja streichelte beruhigend das Kind, das erschöpft das Köpfchen an ihre Schulter lehnte.
»Aber warum hat sie Emely überhaupt weggegeben?« rätselte Mike.
Darauf wußte auch Katja keine Antwort. »Sie hätten sie fragen müssen«, meinte sie scherzhaft.
»Das ging ja alles viel zu schnell. Ich stand da wie zur Salzsäule erstarrt, und sie war ruckzuck verschwunden. Ich muß sagen, es war ziemlich bescheuert von mir.«
»Vermutlich hätte sich jeder andere genauso verhalten«, tröstete Katja. Es wird reichlich bürokratischen Papierkram zu erledigen geben, ehe wir Emely hier rausholen können. Aber es wird sicher niemand etwas dagegen haben, wenn wir uns tagsüber um sie kümmern, und ihr ist damit geholfen. Nachts schläft sie ja und nimmt ihre Umgebung nicht wahr. Und wenn wir sie morgens gleich abholen, fühlt sie sich bestimmt nicht so einsam. Ich würde das mit Freude übernehmen, aber ich habe ja einen Job hier, den ich nicht vernachlässigen darf. Bei Ihnen sieht es sicher in dieser Hinsicht besser aus.
Mike erschrak, denn er dachte an Maurena. Sie würde nie erlauben, daß er das fremde Kind mitbrachte. Sie mochte Kinder ohnehin nicht, weil sie ihres Erachtens zu laut und zu antstrengend waren.
»Ich glaube nicht, daß ich der Aufgabe gewachsen wäre«, antwortete Mike etwas zu hastig. »Schließlich habe ich keine jüngeren Geschwister, also auch keine Neffen oder Nichten. Ich kenne mich in der Betreuung so kleiner Mädchen nicht aus.«
»Sagen