Gegen die Spielregeln. Philea BakerЧитать онлайн книгу.
Zweifel, dass Sie Ihren Traum in die Realität umsetzen werden. Vielleicht früher, als sie selbst ahnen.«
»Wie kommen Sie darauf, Mr. Buchanan?«
»Ihre Leidenschaft wiegt schwerer als Ihre Heimatliebe oder Ihre möglichen Bedenken hinsichtlich der Ferne oder lauernder Gefahren in einer Großstadt, Ms. Arlington. Sie leben in einer der größten Städte der Welt. Es ist etwas anderes, das Sie hier hält.«
Sie richtete sich auf. »Warum haben Sie mich nicht zum Tanz aufgefordert, Mr. Buchanan?«
Er warf einen flüchtigen Blick zur Seite und ihr war sofort klar, dass ihre Frage ihn unangenehm berührte. Ryon richtete seine dunklen Augen wieder auf sie. »Vielleicht habe ich darauf gewartet, dass Sie mich zum Tanz auffordern.«
»Ich glaube Ihnen kein Wort. Sie wollten nicht mit mir tanzen. Wenn ich Sie nicht gefragt hätte, wäre dieser Tanz niemals zustande gekommen.« Sie sah, wie sein Wangenmuskel zuckte. Sein Blick wurde hart. »Ich habe den Tanz mit Ihnen genossen, Ms. Arlington. Haben Sie herzlichen Dank, sowohl für die Aufforderung als auch für das Gespräch.« Er nahm seine Hand von ihrer Taille und verbeugte sich. Sie spürte, wie ihre Wangen glühten. »Ich danke auch, Mr. Buchanan«, erwiderte sie mit belegter Stimme, als er sich wieder aufrichtete. Er lächelte nicht, sondern trat mit verschlossenem Gesichtsausdruck einen Schritt zurück und wandte sich um.
Ihr war heiß. Sie hatte Durst. Und Tausend Fragen. Der größte Teil davon ging an sie selbst. Wieso hatte sie einem Fremden so viel von sich preisgegeben? Wie war es möglich, dass Ryon Buchanan den Haken, der sie hier in England hielt, sogleich geahnt hatte? Instinkt? Sie hatte sich unmöglich benommen! Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken. Was war nur mit ihr los? Warum war sie derart direkt und unfreundlich zu ihm gewesen? Sie kaute auf ihrer Unterlippe. Ryon Buchanan hielt sie sicherlich für ein selbstgefälliges Mädchen. Vielleicht war sie das ja auch. Mehr nicht. Sie hätte längst ihre Ziele verfolgen können, hatte es aber nicht getan. Damals nicht, weil es ihren Vater gegeben hatte. Der zugegebenermaßen mehr auf Reisen als zu Hause gewesen war. Aber er war eben immer wieder mal zu Hause gewesen. Das war damals ihr Grund gewesen, zu bleiben, und auf jeden Fall einfacher, als sich einzugestehen, dass es ihr an Mut fehlte, den Schritt über den Atlantik zu wagen. Jetzt war es John, der sie hielt. Es würde wahrscheinlich immer einen Grund geben, nicht nach Amerika auszuwandern. Sie kam sich kläglich vor. Einen Mann zurechtzuweisen, der sein Zuhause verlassen hatte, der seine Ziele direkt ansteuerte, obwohl ihm mit Sicherheit Steine in den Weg geworfen worden waren und noch wurden – das war einfach unerhört von ihr. Ihr legte niemand Steine in den Weg und dennoch ging sie nicht. Lange hatte sie sich schon nicht mehr derart elend gefühlt. Sie sehnte sich nach ihrer Arbeit, nach Sicherheit, nach John, der zuverlässig war, auch wenn sich überhaupt nichts zwischen ihnen entwickeln wollte. Ihr Selbstbewusstsein war auf dem Nullpunkt, erbsengroß. Erst als sie saß und ein Glas Wasser vor sich hatte, ließ das Zittern nach und ihre Atmung normalisierte sich. Noch immer hatte sie Ryons Duft in der Nase. Sie seufzte. Die bisherigen Bälle des Lloyd’s Register waren allesamt aufregend gewesen. Aber nie so wie heute. Außerdem müsste sie ein schlechtes Gewissen haben. John gegenüber. Doch seltsamerweise empfand sie keine Gewissensbisse.
»Ms. Arlington? Darf ich Sie um einen Tanz bitten?« Es war Alexander Carlisle.
Sie schluckte. »Ja. Gern.«
Seine Hand fühlte sich, im Gegensatz zu der Ryon Buchanans, kühl an. Er wirkte ein wenig unsicher. Oder täuschte sie sich? Eine Weile sprachen sie nicht miteinander, tanzten einfach nur. Er war es schließlich, der das Gespräch begann. »Sie sind eine gute Tänzerin, Ms. Arlington.«
»Vielen Dank, Mr. Carlisle. Das Lob möchte ich gern zurückgeben. Ich fühle mich bestens aufgehoben.«
Er lachte. »Das hat mir bisher noch niemand gesagt.«
»Die Damenwelt hat da wohl etwas verpasst. Lassen Sie mich raten: In der Regel kreist der Gesprächsstoff um Schiffe.«
»Mein Ruf macht alles andere zunichte. Alle wollen nur über mein neues Schiff sprechen.«
»Das wollte ich auch gerade.«
Er blinzelte. »Sie scherzen, oder? Ich hörte, Sie seien recht keck.«
»Ach? Wer sagt denn so etwas?«
»Das hat mir Ihr Onkel verraten.«
»Hm … und finden Sie, das trifft zu?«
»Gewiss. Eine Frau, die einen Mann zum Tanz auffordert, ist keck. Zumindest für meine Begriffe.«
Sie schluckte. Natürlich. Carlisle hatte neben Ryon Buchanan gestanden, als sie diesen zum Tanz aufgefordert hatte. Er hatte alles mitbekommen. Wie der Rest des Saales vermutlich. »Letztes Jahr noch habe ich mit Helt Buchanan getanzt. Sein Sohn scheint auf das Tanzen nicht ganz so aus zu sein wie er. Außer mit meiner Freundin hat er mit niemandem getanzt. Er kann mich doch nicht unaufgefordert links liegen lassen, wir wurden einander schließlich vorgestellt.«
Carlisle grinste über das ganze Gesicht. »Da bin ich ja froh, dass ich Ihnen zuvorgekommen bin.«
»Sie haben sich viel zu viel Zeit gelassen, wenn ich anmerken darf. Es hätte nicht mehr lange gedauert, dann hätte Sie das gleiche Schicksal ereilt.«
»Ehrlich gesagt ist das Tanzen nicht ganz meine Welt. Es gibt andere Dinge, die mich mehr fesseln.«
»Oha. Ein Bekenntnis. Ich höre …«
Auf Carlisles Wangen bildeten sich leicht rote Flecken, wie sie feststellte. »Das dürfte wohl kein großes Bekenntnis sein, Ms. Arlington. Jeder weiß, dass ich am liebsten meine Zeit mit Konstruieren verbringe. Diese Bälle dienen mir in erster Linie zum Austausch mit Kollegen.«
Alessa machte ein übertrieben trauriges Gesicht und legte den Kopf schräg. »Nun, nun. Bei Ihnen will ich eine Ausnahme machen«, schob er schnell hinterher. Er wirkte tatsächlich ziemlich nervös, sogar verlegen – aber irgendwie auch belustigt. Sie musste lächeln.
Zufällig fiel ihr Blick auf Ryon Buchanan, der an einem der Tische saß. Er sah zu ihnen hinüber und seine Augen wirkten, selbst auf die Entfernung, tiefschwarz. Alles in allem erweckte er den Eindruck, als passe es ihm nicht, dass sie mit Carlisle tanzte.
Das Gespräch mit Carlisle verlief weiterhin recht erquicklich. Nachdem das Musikstück geendet hatte, verbeugte er sich und bedankte sich für den Tanz. Auch sie ließ ihn wissen, dass sie den Tanz mit ihm genossen hatte.
Sie brauchte dringend eine Pause, brauchte Luft zum Atmen, zum Nachdenken. Zielstrebig steuerte sie den Balkon an. Ein leichter Wind war aufgekommen, zog über die gusseiserne Brüstung und strich ihr angenehm über Stirn und Dekolleté. Der Balkon verlief einige Meter an der Front des Hauses entlang und weiter um das Gebäude herum. Erleichtert stellte sie fest, dass niemand auf diesem war. Sie stützte ihre Hände am Geländer ab, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Doch kaum dass sie sich über ihren gelungenen Rückzug gefreut hatte, wurde die Balkontür geöffnet.
»Alessa! Hier steckst du also.«
Missmutig drehte sie sich um. »Gerald! Bitte, lass mich allein. Ich will nur ein wenig Luft schnappen.«
»Aber das will ich doch auch!« Bonniers’ Stimme war wirklich einzigartig dümmlich und der französische Akzent setzte dem Ganzen die Krone auf. Sie ärgerte sich, dass er ihre Bitte völlig ignorierte. Er trat dicht neben sie. »Alessa. Immer wenn wir zusammen sind, legst du so viel Ungeduld an den Tag. Ich weiß, dass du eine aktive Frau bist und dass du dich deshalb nicht leicht entspannen kannst …«
»Wie bitte?!« Ihre Stimme schallte schrill über den Balkon.
»Deine Mutter …«
»Sie ist nicht meine Mutter!«, korrigierte sie ihn scharf.
»Deine Stiefmutter hat mir alles erzählt. Ich weiß, dass du ein modernes Mädchen bist, dass du anders sein möchtest, dass du ein bisschen arbeiten möchtest und …«
»Ich«, erhob sie ihre Stimme unheilvoll über die ihres Gegenübers, »möchte nicht ein bisschen arbeiten. Ich