Seine Schriften zur Wissenschaftslehre. Max WeberЧитать онлайн книгу.
die Kluft zwischen »subjektivierender« und »objektivierender« Auffassung ein solches Innehalten an der Grenze des »noëtisch« Zugänglichen unvermeidlich machen würde, so verwirft er die Anwendbarkeit der Kausalitätskategorie auf das »subjektivierende« Erkennen überhaupt. Denn wenn wir, so meint er, mit der kausalen Erklärung einmal beginnen, können wir »keinesfalls mit dem Erklären aufhören«, »wenn wir zufällig auf eine Willenshandlung stoßen, die neben ihrer erfahrbaren Konstitution auch noch eine verstehbare Innentendenz hat« (S. 130). Wir müßten vielmehr alsdann versuchen, auch diese Willenshandlung in eine Reihe von (psychophysischen) Elementarprozessen aufzulösen: können wir das nicht, so »bliebe eine dunkle Stelle zurück«, die wir durch »Einfühlung« nicht (d.h. aber doch wohl nur: nicht im Sinn der Psychophysik) »erleuchten« würden (S. 131). Und umgekehrt können wir für die Erkenntnis von Subjektzusammenhängen nichts gewinnen – d.h. aber doch wohl nur: kein Mehr von »nacherlebendem« Verständnis erreichen –, wenn wir »Unverstandenes unter die Kategorie von Objektzusammenhängen bringen« (ebd.). Um nun mit den zuletzt wiedergegebenen, mehr peripherischen Argumenten zu beginnen, so sind diese jedenfalls nicht zwingend. Die »subjektivierenden« Deutungen, mit denen z.B. eine kulturhistorische Analyse etwa der Zusammenhänge zwischen religiösen und sozialen Umwälzungen in der Reformationszeit arbeiten würde, beziehen sich zunächst, soweit die »Innenseite« der Handelnden in Betracht kommt, vom Standpunkt des experimentierenden Psychologen aus betrachtet, auf Bewußtseinsinhalte von unerhört komplexem Charakter; so komplex, daß vorerst noch kaum der erste Anfang einer »Auflösung« derselben in einfache »Empfindungen« oder andere, auch nur vorläufig nicht weiter zerlegbare »Elemente« vorliegt. Diesem sehr trivialen Umstand tritt der fernere, noch trivialere, hinzu, daß schwer abzusehen ist, wie für eine solche »Auflösung«, die ja doch nur im Wege »exakter« (Laboratoriums-)Beobachtung möglich wäre, das Material jemals beschafft werden könnte. Das Entscheidende aber ist schließlich, daß die Geschichte sich ja doch keineswegs nur auf dem Gebiet jener »Innenseite« bewegt, sondern die ganze historische Konstellation der »äußeren« Welt als einerseits Motiv, andererseits Ergebnis der »Innenvorgänge« der Träger historischen Handelns »auffaßt«, – Dinge also, die in ihrer konkreten Mannigfaltigkeit nun einmal weder in ein psychologisches Laboratorium noch überhaupt in eine rein »psychologische« Betrachtung, wie immer man den Begriff der Psychologie begrenzen möge, eingehen. Und die bloße »Unzerlegbarkeit« und »teleologische Einheit« der Willenshandlung, oder vielmehr der Umstand, daß eine Wissenschaft die »Handlungen« mit ihren »Motiven« oder etwa die »Persönlichkeiten« als für sich unzerlegbar behandelt – weil für ihre Fragestellung eine Zerlegung keinem wertvollen Erkenntniszweck dienen würde –, dieser Umstand allein genügt sicherlich nicht, um diese Disziplin aus dem Umkreis der »objektivierenden« Wissenschaften zu streichen. Der Begriff der »Zelle«, mit welcher der Biologe arbeitet, zeigt in seinem Verhältnis zu physikalischen und chemischen Begriffen ganz die gleiche Erscheinung. Es ist weiterhin gar nicht abzusehen, warum nicht z.B. die exakte psychologische Analyse etwa der religiösen Hysterie einmal gesicherte Ergebnisse zeitigen könnte, welche die Geschichte als begriffliche Hilfsmittel zur kausalen Zurechnung bestimmter Einzelvorgänge ganz ebenso verwerten könnte und müßte, wie sie die brauchbaren Begriffe irgendwelcher anderen Wissenschaften, wo sie ihren Zwecken nützen, anstandslos verwendet. Wenn dies geschieht – wenn also die Geschichte sich etwa von der Pathologie belehren ließe, daß gewisse »Handlungen« Friedrich Wilhelms IV. sich gewissen von ihr ergründeten Regeln psychopathischer Reaktion fügen –, dann passiert genau das, was Münsterberg für unmöglich erklärt: daß wir »Unverstandenes« auf dem Wege der »Objektivierung« erklären127. Und daß die »subjektivierenden« Wissenschaften überall da, wo die Ergebnisse »objektivierender« Disziplinen für sie relevant werden, ähnlich verfahren, zeigt Münsterberg selbst, indem er die Verwertbarkeit experimentalpsychologischer Resultate für die Pädagogik betont128, und dabei nur den gewiß zutreffenden – aber für die Geschichte und alle theoretischen Disziplinen nicht in Betracht kommenden – Vorbehalt macht, daß der praktische Pädagoge in seiner praktischen Tätigkeit, im lebendigen Verkehr also mit den Schülern, nicht einfach zum Experimentalpsychologen werden könne und dürfe. Dies nach Münsterberg deshalb nicht, weil 1. er hier, – wo er eben, nach Münsterbergs Terminologie, »stellungnehmendes Subjekt«, eben deshalb aber nicht Mann der Wissenschaft, auch nicht einer »subjektivierenden«, ist, – Ideale des Sein-Sollenden zu verwirklichen hat, über deren Wert oder Unwert eine analytische Erfahrungswissenschaft gar kein Ergebnis zeitigen kann –, 2. weil die für pädagogische Zwecke äußerst dürftigen Ergebnisse der Experimentalpsychologie durch den »gesunden Menschenverstand« und die »praktische Erfahrung« an Bedeutung bei weitem übertroffen werden. Woher nun – um bei diesem ganz lehrreichen Beispiel einen Augenblick zu verweilen – diese letztere Erscheinung, für welche bei Münsterberg eine Begründung zu vermissen ist, und welche doch eigentlich allein interessiert? Offenbar daher, daß der konkrete Schüler oder die Vielzahl konkreter Schüler für die praktische Erziehung als Individuen in Betracht kommen, deren für die pädagogische Beeinflussung relevante Qualitäten in wichtigen Punkten durch eine ungeheure Summe von ganz konkreten Einflüssen der »Veranlagung« und des individuellen »Milieus« im weitesten Sinn dieses Wortes bedingt werden, – Einflüsse, die ihrerseits unter allen möglichen Gesichtspunkten zum Gegenstand wissenschaftlicher, auch »objektivierender« Betrachtung gemacht, sicherlich aber nicht im Laboratorium eines Psychologen experimentell hergestellt werden können. Jeder einzelne Schüler repräsentiert, vom Standpunkt der »Gesetzeswissenschaften« aus, eine individuelle Konstellation einer Unendlichkeit einzelner Kausalreihen, er kann als »Exemplar« in eine noch so große Anzahl von »Gesetzen« auch bei Erreichung des denkbaren Maximums nomologischen Wissens immer nur in der Art eingeordnet werden, daß diese Gesetze als unter Voraussetzung einer Unendlichkeit »schlechthin« gegebener Bedingungen wirkend gedacht werden. Und die »erlebte« Wirklichkeit »physischer« Vorgänge unterscheidet sich darin in absolut nichts von der »erlebten« Wirklichkeit »psychischer« Vorgänge, wie gerade Münsterberg, der nachdrücklich den sekundären, erst im Gefolge der »Objektivierung« eintretenden Charakter der Spaltung der Welt in »Physisches« und »Psychisches« betont, in keiner Weise bestreiten wird. Noch so umfassendes nomologisches Wissen – Kenntnis also von »Gesetzen«, d.h. aber: Abstraktionen – bedeutet eben hier so wenig wie sonst Kenntnis der »ontologischen« Unendlichkeit der Wirklichkeit. Daß die, zu ganz heterogenen Erkenntniszwecken gewonnene, wissenschaftlich-psychologische Kenntnis im Einzelfall einmal die »Mittel« für die Erreichung eines pädagogischen »Zweckes« nachweisen kann, ist gänzlich unbestreitbar, – ebenso sicher aber, daß dafür keinerlei Gewähr a priori bestehen kann, denn es hängt eben natürlich auch von dem Inhalt des konkreten Zweckes der pädagogischen Tätigkeit ab, inwieweit generelle »exakte« Beobachtungen der Psychologie von der Art, wie dies z.B. bei denjenigen über die Bedingungen der Ermüdung, über Aufmerksamkeit und Gedächtnis der Fall ist, auch generell und »exakt« geltende pädagogische Regeln ergeben können. Die fundamentale Eigenschaft des »einfühlenden Verständnisses« ist es nun, gerade individuelle »geistige« Wirklichkeiten in ihrem Zusammenhang derart in ein Gedankenbild fassen zu können, daß dadurch die Herstellung »geistiger Gemeinschaft« des Pädagogen mit dem oder den Schülern und damit deren geistige Beeinflussung in einer bestimmten gewollten Richtung möglich wird. Der unermeßliche Fluß stets individueller »Erlebnisse«, welcher durch unser Leben strömt, »schult« die »Phantasie« des Pädagogen – und des Schülers – und ermöglicht jenes »deutende Verständnis« des Seelenlebens, welches dem Pädagogen not tut. Inwieweit er daneben Anlaß hat, diese seine »Menschenkenntnis« durch die Besinnung auf abstrakte »Gesetze« aus dem Gebiet des »Anschaulichen« in dasjenige des »Begrifflichen« zu übertragen, und, vor allem, wieweit alsdann die logische Bearbeitung in der Richtung auf die Bildung von tunlichst »exakten« und generell geltenden Gesetzesbegriffen im Interesse der Pädagogik als wertvoll zu gelten hat, das hängt lediglich davon ab, ob für einzelne Zwecke die »exakte« Bestimmtheit einer begrifflichen Formel irgendwelche durch die »Vulgärpsychologie« nicht erreichbaren »neuen« Erkenntnisse einschließt, welche für den Pädagogen irgendwelchen praktischen Wert haben129. Bei der hochgradig »historischen« Natur der Bedingungen, mit welchen die Pädagogik zu rechnen hat, wird es sich