Anstandsfesseln. Carrie FoxЧитать онлайн книгу.
in Gedanken die Männer, die sie seit dem vernascht hatte. Bisher waren es vier. Allesamt kannte sie aus dem Internet. Was täte sie nur ohne die virtuelle Welt? Vier kurze Begegnungen mit heißem Sex und ohne Verpflichtungen, was könnte es Schöneres geben? Vier Kerle waren doch ein guter Schnitt. In jedem Monat einen. Es wurde Zeit, dass sie sich nach jemand Neuem umsah.
Heute hatte sie beschlossen, nach Feierabend in die Stadt zu fahren. Auf dem Weg zur Arbeit waren ihr bunte Plakate aufgefallen. Ein Rummelplatz wurde aufgebaut, wie jedes Jahr um diese Zeit. Sie wollte dabei zusehen. Vielleicht ergäbe sich eine Gelegenheit. Sicher kämen viele Schaulustige, um zu sehen, wie die Fahrgeschäfte aufgebaut wurden. Doch vorher hatte sie noch im Laden zu tun. Sie zog ihren Lieblingsoverall an, den mit der Glitzerkante an dem weit ausgeschnittenen Dekolleté. Sie wusste, wie das petrolfarbene Kleidungsstück wirkte und dass ihr männliche Kunden ständig in den Ausschnitt sahen. Sie war darüber äußerst amüsiert. Aufdringlich? Anzüglich? Nein, sie empfand dieses Kleidungsstück als einen Blickfang für die männliche Kundschaft. Sie hatte den Eindruck, dass es verkaufsfördernd war, in dieser Aufmachung im Laden zu stehen. Sie schmunzelte bei diesem Gedanken. Ihr Körper war mit dem wallenden, dunklen Overall verdeckt und zeigte sonst nichts außer ihrer schlanken Taille, die sie mit einem Glitzergürtel betonte. Und natürlich erlaubte sie augenzwinkernd jedem einen kleinen Einblick auf ihre üppige Oberweite.
Viola arbeitete in einer Accessoire-Boutique am Anfang der Einkaufsstraße. Als sie das Geschäft betrat, war ihr Kollege gerade dabei, Kartons aufzuschneiden.
»Hallo, Juppi«, grüßte sie. Juppi sah auf und schnitt weiter, ohne hinzusehen. So ritzte er einen Karton an der falschen Stelle auf und stach sich mit der Messerspitze in den Finger der anderen Hand.
»Scheiße«, schimpfte er und steckte den verletzten Finger in den Mund.
»Na wenn das mal keine herzliche Begrüßung ist.« Viola lachte, als sie ihren Kollegen am Boden knien sah. Das Cuttermesser in der Hand haltend, sah er sie von unten herauf an, wie ein Dackel, der um Futter bettelt.
»Hast du dich verletzt?«
»Nein, nicht der Rede wert. Hab nicht aufgepasst. Mist.« Während er sich erhob, lutschte er noch mal an seinem Finger. »Heute ist eine Sendung Handtaschen gekommen.«
»Lass mal sehen.« Viola nahm den Karton, der an der falschen Stelle einen Schnitt abbekommen hatte. Knallbunte Taschen waren darin. Ein ganzes Sortiment in verschiedenen Mustern und Farben. Karierte und geblümte. Pastellfarbige und Bunte. Den Schnitt hatte die leuchtend rote Tasche abbekommen. An einer unauffälligen Stelle am Boden und zwei Zentimeter lang. Es war kein großer Schaden, aber sie wusste, dass die Leute diese Tasche stehen lassen würden. Die Kundschaft verlangte einwandfreie Ware. Sie überlegte, ob sie die Tasche beim Hersteller als Transportschaden reklamieren sollte, oder sie abschreiben und wegwerfen. Da fiel ihr ihre Schwester Vanessa ein. Rot war ihre Lieblingsfarbe, das wusste Viola genau, schließlich waren sie Zwillinge. Für die Farbe Rot hatte Viola genau so viel übrig, wie Vanessa. Sie waren wie beste Freundinnen. Sie waren in der gleichen Schulklasse gewesen und hatten immer gemeinsam gelernt. Vanessas Federmappe war damals genauso rot, wie die Sportschuhe, die sie manchmal trug. Bestimmt würde sie ihr gefallen, also deponierte sie das ferrari-rote, leuchtende Täschchen unter der Verkaufstheke zwischen den Ordnern.
Sie griff zum Geschäftstelefon und rief ihre Schwester an.
»Hallo, Vanessa. Was machst du gerade, bist du zuhause?«
»Grüß dich Viola. Ich bin unterwegs. Ich plane, unseren Flur zu renovieren. Was gibt’s denn?«
»Den Flur renovieren? Bist du sicher, dass du das kannst?«, veralberte Viola ihre Schwester. Die schüchterne und zurückgezogene Vanessa wagte eine Renovierung?
»Wenn er fertig ist, zeige ich ihn dir. Also was gibt’s?«
»Komm bitte in mein Geschäft, ich habe dir etwas Feines zurückgelegt.«
»Ach ja? Was ist es denn?«, Vanessas Neugier war durch das Telefon zu spüren.
»Das sag ich dir noch nicht. Es ist eine Überraschung und ich weiß, dass es dir gefällt.«
»Mach es doch nicht so spannend«, erwiderte Vanessa.
»Komm einfach bei mir vorbei, ok? Wann hast du Zeit?«
»Na gut. Ich komme morgen am Nachmittag zu dir. Heute muss ich mir Möbel anschauen.«
»Da würde ich am liebsten mitgehen, aber ich habe hier noch viel zu tun. Bis morgen Schwesterlein.«
Viola legte auf und gesellte sich zu ihrem Kollegen, um weitere Pakete zu öffnen und die Geschenkartikel ins Regal einzusortieren.
»Was machst du heute Nachmittag, bei dem schönen Wetter?« fragte sie Juppi.
»Ich werde mein Auto waschen und mit meiner Familie ins Grüne fahren.«
»Wie schön«, erwiderte sie und war froh, außer ihrer Schwester keine Familie zu haben, an der sie sich anzuhängen hatte, wenn es der Anstand gebot und wenn Geburtstagsfeiern stattfanden. Sie würde lieber für alle Zeit alleine und unabhängig bleiben, anstatt sich nochmal fest zu binden. Eine solche Familie würde sie nur erdrücken und sie ihrer Freiheit berauben. Sie mochte keine Einschränkungen. Schon gar nicht, wenn es um ihre Lebensführung ging.
»Und du?«, fragte Juppi zurück.
»In der Stadt wird ein Jahrmarkt aufgebaut. Der soll dieses Jahr riesengroß werden und mehrere Attraktionen bieten. Mit einer großen Loopingachterbahn, einem Riesenrad und anderen tollen Sachen. Das muss ich sehen.«
Charly war mit den Schaustellern unterwegs und Chefmonteur der Loopingbahn. Die Schule hatte er nicht bis zum Abschluss geschafft. Damals hatte er sie abgebrochen, weil er dem verlockenden Angebot »Mitreisende gesucht« gefolgt war. Es bedeutete ihm ein Leben in Freiheit und es war ihm durchaus klar, dass er seinen Wohnstandort ständig wechseln musste. Gut, die ganze Welt konnte er dadurch nicht bereisen, aber es brachte ihm immerhin ein Pendelleben zwischen den großen, deutschen Städten ein. Zehn Jahre war das nun her. Heute war er Verantwortlicher für den Aufbau. Mit seinen sechsundzwanzig Jahren war er im besten Alter und ihm war bewusst, welche Wirkung er auf die Damenwelt hatte. Schließlich arbeitete er täglich an der frischen Luft und hatte einen braun gebrannten Körper. Oft wurde er angesprochen, wo er im Urlaub gewesen wäre. Seine Arbeit war ein echter Knochenjob, der ihm allerdings einen gestählten und muskulösen Körper beschert hatte. Die Breite seiner Schultern war mit den Jahren gewachsen. So ein Auf- und Abbau prägte das Aussehen und machte ihn zu einem kraftvollen Burschen, der wusste wie er auf seine Umgebung wirkte.
Er setzte seinen gelben Sicherheitshelm auf und sah sich um. Seit einigen Tagen brachten Transporter und Lastkraftwägen mit Überlänge die langen Metallstreben der transportfähigen Loopingachterbahn. Fünfzig riesige Metallcontainer waren auf dem Stellplatz abgeladen worden. Alle waren nummeriert und aufs Peinlichste geordnet. In einem befanden sich die Streben, Stützen und überdimensionalen Metallgelenke. Tomasz, einer seiner polnischen Helfer, transportierte gerade Unmengen von Fetteimern in einer Schubkarre zum Aufbauplatz. Sie wurden zum Schmieren der beweglichen Stahlteile gebraucht.
Metallenes Hämmern erscholl über den Platz. Hebemaschinen quietschten und Männer riefen sich auf Polnisch etwas zu. Sie begannen, das Fundament mit den Tragstreben zu verbinden. Charly trat hinzu, vermaß den Ausgangspunkt und prüfte mit der elektronischen Wasserwaage die Genauigkeit. Alles musste exakt sitzen, denn die Tragfähigkeit des Grundgerüstes entschied über die Sicherheit des nachfolgenden Aufbaus. Er holte aus, bückte sich, schlug mit dem großen Hammer gegen den Stahl. Anschließend prüfte er die Passgenauigkeit der übergroßen Muttern. Dann nickte er den Arbeitern zu und streckte den Arm aus, damit alle seinen erhobenen Daumen erkennen konnten. Alles war gut, der Aufbau des Riesenloopings konnte beginnen. Charly nahm sein Handy aus der Hosentasche und rief den Kranführer an, dass er mit dem Stellen der Metallteile beginnen konnte. Er setzte sich wartend auf das Rohrgerüst und versuchte die Temperatur