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100 Jahre Österreich. Johannes KunzЧитать онлайн книгу.

100 Jahre Österreich - Johannes Kunz


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Es frevelt an den Zwecken

      Der heiligen Partei.

       Die Viecher müssen schweigen

      Und zahlen nebenbei.

       Kuscht Euch! Ihr sollt Euch neigen

      Der Knute der Partei.

       So macht Euch doch den Rücken

       Ein wenig grad und frei!

       Wer darf uns unterdrücken?

       Zum Teufel die Partei!

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       Ludwig Kmoch im Beiblatt der »Muskete« vom 22. Juli 1920 über das Buhlen der Parteien um Wählerstimmen

      Zwei flüchtige Bekannte treffen einander zufällig auf der Straße. Es kommt zu diesem Dialog:

      »Lieber Freund, neulich demonstrierten Sie mit den christlich-sozialen Gewerbetreibenden, gleich darauf mit den Sozialdemokraten, welche ist denn eigentlich Ihre Gesinnung?«

      »Ich demonstriere immer mit der Partei, die im Recht ist, und im Recht ist immer die, die zuletzt demonstriert.«

      Typisch für diese Zeit auch der Wortwechsel zweier Berufskollegen:

      »Gestern habe ich einem Schweinekerl ein paar Ohrfeigen gegeben!«

      »Ah, betätigst Du Dich jetzt auch politisch?«

      Politische Versammlung in der Wiener Vorstadt.

      Ein Redner: »Wir müssen abbauen, meine sehr Geehrten, alles abbauen, was morsch und faul ist in unserem Staate.«

      Da meldet sich lautstark ein Zwischenrufer: »Machen S’ eahna ka ung’schaffte Arbeit, s’ fallt eh scho alles z’samm!«

      Zu Beginn einer Gerichtsverhandlung fragt der Richter: »Sind Sie vorbestraft?«

      Der Angeklagte: »Ja, ich habe die letzten drei Jahre in Österreich verbracht.«

      Für immer mehr Menschen ist es schwer, das Nötigste für den Lebensunterhalt zu verdienen. So sagt man über Wiener Mädchen: Ihre Väter sind im Felde gefallen, sie auf der Straße … Skurril auch die Unterhaltung zweier Geschäftsleute:

      »Na, was machen Deine Geschäfte?«

      »Naja, weißt eh, ma zahlt ja jetzt dauernd drauf!«

      »No, dann sperr’ doch einfach den Laden zu!«

      »Und wovon soll ich leben?«

      Das heutige Österreich, so sagt man in den 1920er-Jahren, ist ein Kompromiss zwischen Schleichhandel, Schlamperei und Anarchie. Dazu passt dieser Dialog sehr gut:

      »Eine niederträchtige Gemeinheit, dieses Gesetz, das den Unternehmer zwingt, Arbeitslose in seinen Betrieb aufzunehmen. Wo bleibt da die persönliche Freiheit?«

      »Was für einen Betrieb haben Sie denn?«

      »Betrieb? Ich bin ein Arbeitsloser!«

      Auch diese Unterhaltung entspricht dem Zeitgeist:

      »Wenn man in Russland nicht arbeitet, kann man glatt verhungern.«

      »Das ist in Wien genauso. Arbeitest nix, verhungerst, arbeitest, verhungerst a. Also fang ma glei gar net an.«

      Ein Optimist und ein Pessimist begegnen einander.

      Der Optimist: »Sag’ mir, warum bist Du denn ein so unverbesserlicher Pessimist?«

      Der Pessimist: »Durch viereinhalb Kriegsjahre war ich Optimist und habe nicht recht behalten. Wer weiß – vielleicht werde ich mich jetzt auch blamieren.«

      Die Pessimisten sind in der Mehrzahl in Österreich. Folgender Reim drückt diese Stimmung trefflich aus:

       Gib, was Du hast! Sei guter Dinge

       Und schufte Dir den Buckel krumm!

       Dir bleibt ein Strick mit einer Schlinge

      Zur Existenz als Minimum.

      Mit dem Satz »Entweder Anschluss an Deutschland oder Kurzschluss in Österreich« beschreibt die »Muskete« das Dilemma des Rumpfstaates. Und im »Götz von Berlichingen« kann man lesen:

       »Was hilft’s, wenn Optimisten

       Vom Anschluss träumen?

       Stets waren wir Spezialisten

       Im Anschlussversäumen.«

      Viele Menschen leben auf Pump, um irgendwie über die Runden zu kommen.

      Grün: »Sag’ Blau, wann wirst Du mir endlich Deine Schuld begleichen.«

      Blau: »Wie soll ich das wissen? Bin ich a Prophet?«

      Kohn und Rosenblatt sprechen über die finanzielle Situation. Rosenblatt hat ein Problem.

      »Sag’, lieber Kohn, ich bin in einer Verlegenheit. Kannst Du mir aushelfen mit 5000 Schilling?«

      »Dir gesagt, lieber Rosenblatt, ich bin flüssig, ich kann.«

      »Was nimmst Du Perzente?«

      »Neun.«

      »Neun! Bist Du meschugge? Wie kannst Du nehmen von einem Glaubensgenossen neun Perzent! Was soll Gott denken von Dir, wenn er schaut herunter von oben?«

      »Nebbich, wenn er schaut von oben herunter, sieht die Neun aus wie a Sechs!«

      Die Verhältnisse sind schlecht und in solchen Zeiten haben die Gerichte viel zu tun.

      Richter: »Was haben Sie für einen Beruf?«

      Angeklagter: »Versammlungsredner.«

      Richter: »Welcher Partei gehören Sie an?«

      Angeklagter: »Der kommunistischen Partei.«

      Richter: »Und da haben Sie es notwendig gehabt, einzubrechen und Ihre Mitbürger zu bestehlen?«

      Angeklagter: »I hab’ halt auf eigene Faust mit dem Enteignen ang’fangen!«

      Geht es der Wirtschaft schlecht, werden aus Banken Kaffeehäuser. Hier kann der Bürger bei einer Melange und der Lektüre der Tageszeitungen die Zeit totschlagen, Freunde treffen und auf die Politiker schimpfen.

      Da stellt einer die rhetorische Frage: »Was ist der Unterschied zwischen einem Theater und dem Parlament? – Im Theater werden gute Schauspieler schlecht bezahlt …«

      Und ein Zweiter fragt: »Was ist der Unterschied zwischen einem Politiker und einem Telefonhörer? – Wenn man sich verwählt hat, kann man den Telefonhörer auflegen …«

      Ein Dritter wirft ein: »Politiker sind wie Tauben. Wenn sie etwas wollen, fressen sie Dir aus der Hand. Wenn sie es haben, scheißen sie Dir auf den Kopf.«

      »Ja«, bemerkt ein Vierter, »Windeln und Politiker müssen regelmäßig gewechselt werden – aus dem gleichen Grund.«

      Aber nicht nur »einfache« Bürger, auch Intellektuelle und Literaten verlegen ihr Wohnzimmer in ein Kaffeehaus. Einer von ihnen ist Anton Kuh, der praktisch nie über seine Familie spricht. Nur einmal bekennt er auf eine insistierende Frage nach seiner Herkunft: »Ich war ein schlimmes Kind. Meinen Eltern habe ich nur ein einziges Mal Freude bereitet: neun Monate vor meiner Geburt.« Und so beschreibt Kuh die Stimmung in der k. u. k. Hofzuckerbäckerei Demel, wo nach wie vor ehemalige Angehörige der Hocharistokratie Stammgäste sind: »Die Demel-Fräulein gehören enger und inniger zur Hautevolee als der Xandi Kinsky, der Dolfi Starhemberg und der Taschkerl Auersperg. Sie tragen auf ihren schwarzen Blusen unsichtbare Erinnerungsmedaillons an


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