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100 Jahre Österreich. Johannes KunzЧитать онлайн книгу.

100 Jahre Österreich - Johannes Kunz


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ist die spontanste und legalste Anerkennung des alten Regimes.«

      Unter Literaten besonders beliebt ist seit jeher das Café Central in der Wiener Innenstadt. Alfred Polgar: »Das Café Central ist eine Weltanschauung, und zwar eine, deren innerster Inhalt es ist, die Welt nicht anzuschauen.« Und für Friedrich Torberg gibt es im Café Central »keine Besucher, sondern Insassen«. Hier, im legendären Café Central, hat sich ein paar Jahre früher der 1919 verstorbene Peter Altenberg eines Tages bei einem Unbekannten einen Geldbetrag ausgeborgt. Seine Rechtfertigung: »Die Zeiten sind heutzutage schon so schlecht, dass man gezwungen ist, vor Leuten die Hand aufzuhalten, denen man sie im Normalfall nicht einmal reichen würde.«

      Natürlich ist auch Karl Kraus häufig Gast im Café Central in den Jahren, in denen Prälat Ignaz Seipel die österreichische Politik dominiert. Von 1921 bis 1930 ist Seipel Parteiobmann der Christlich-Sozialen und zweimal, von 1922 bis 1924 und von 1926 bis 1929, Bundeskanzler einer Alleinregierung, nachdem die letzte Koalition 1920 zerbrochen ist. Karl Kraus: »Ich habe nichts gegen Seipel. Er hat für mich als Politiker den einen Fehler, dass er Priester ist, und als Priester, dass er Politik treibt.« Seipel selbst sagt einmal auf die Frage, wie er die Erfordernisse eines Politikers mit den Ansprüchen eines Professors der Moraltheologie vereinbaren könne: »Erstens sage ich weder in der Politik noch in meinen Vorlesungen alles, was ich weiß, und zweitens gibt es so vieles, was wir alle miteinander nicht wissen …«

      Kritik an Ignaz Seipel begegnen Konservative mit dem Vorwurf: Was nicht rot ist, wird angeschwärzt. Dennoch richtet sich die Kritik vieler Menschen an die Christlich-Sozialen, die man als stärkste Partei als hauptverantwortlich für die Misere in Österreich ansieht. Dazu ein Dialog zwischen einem Vater und seinem Sohn:

      »Nicht wahr, Papa, die Wörter ›Kopf‹ und ›Haupt‹ haben dieselbe Bedeutung?«

      »Keine Spur, mein Sohn! Die christlich-soziale Partei hat zwar ein Haupt, ist aber kopflos!«

      Freilich kommen die Sozialdemokraten nicht viel besser in der Volksmeinung weg, wie ein Gespräch bei einem familiären Mittagessen in der Provinz beweist.

      »Was ist Wahrheit?«

      »Wahrheit ist jede Lüge und Verleumdung, die sich gegen die Sozi richtet.«

      »Was heißt also Lügen im Grunde genommen?«

      »Lügen heißt im Grunde genommen, wenn man den Christlich-Sozialen etwas Schlechtes nachsagt.«

      »Was heißt Lügen außerdem?«

      »Lügen heißt außerdem, wenn man den Sozis etwas Gutes nachsagt.«

      Insgesamt haben die Politiker aller Parteien ein sehr schlechtes Image. Scherze wie der folgende machen die Runde.

      Minister: »Stellen Sie sich vor, in meiner Jugend wollte ich Räuber werden!«

      Bürger: »Sie Glücklicher! Wer kann sich schon seinen Jugendtraum erfüllen!«

      Zwei Politiker auf dem Weg zu einer Sitzung im Gespräch über ihre Agenda.

      »Was sagten Sie neulich in Ihrer Rede zur Rentenreform?«

      »Nichts.«

      »Das ist mir klar, aber wie haben Sie es formuliert?«

      Der kleinste gemeinsame Nenner der immer mehr auseinanderstrebenden Meinungen der frustrierten Österreicher besteht in den späten 1920er-Jahren in der Erkenntnis: Wenn’s so weitergeht, wird nix übrigbleiben zum Sozialisieren – als das Elend.

      Mirko Szewczuk zeichnete die beiden führenden Sozialdemokraten Renner und Seitz, die von Abrüstung sprachen, während der rote Republikanische Schutzbund und die schwarze Heimwehr gleichzeitig große Waffenlager anlegten.

      Der Jungsozialist Bruno Kreisky hat vor 1930 Parteiveranstaltungen in Niederösterreich zu organisieren. Zu dieser Zeit ist es in diesem Bundesland nahezu unmöglich, ein Versammlungslokal für die Sozialdemokratische Partei zu bekommen. Kreisky weiß aber Rat. Er gibt gegenüber einem Wirt vor, einen Vortrag über die legendäre Isonzo-Schlacht zu organisieren, und kann schließlich den Saal mieten. Am Abend der Veranstaltung erscheint General Theodor Körner. Er spricht ganze fünf Minuten über die Isonzo-Schlacht und legt in der Folge ein eindrucksvolles Bekenntnis zur Sozialdemokratie ab. Nach der Rede Körners verschwindet Kreisky per Fahrrad. Der Wirt später zu diesem Vorfall: »Dass der Kreisky damals entkommen ist, ärgert mich noch immer …«

      Der junge Bruno Kreisky ist neben seinem Jusstudium als freiberuflicher Journalist tätig. Einmal wird ihm vom Korrektor vorgeworfen, dass er es mit der Interpunktion nicht allzu genau nehme. Worauf Kreisky, als er wieder einmal ein Manuskript in die Setzerei bringt, eine voll beschriebene Seite beilegt, auf der sich ausschließlich Beistriche befinden. Und Kreisky sagt zum Korrektor: »Da haben S’ einen Haufen Beistriche. Machen S’ damit, was Sie wollen!«

      Als Nachfolger von Jakob Reumann ist der Sozialdemokrat Karl Seitz ab 1923 Wiener Bürgermeister und bleibt das bis zu seiner Amtsenthebung und Verhaftung am 12. Februar 1934. Das »rote Wien« setzt wichtige Reformen in der Gesundheits-, Sozial-, Schul-, Wohnbau- und Finanzpolitik durch. Dieser Reim ist Karl Seitz gewidmet:

      Vater unser, Sozi Seitz,

       Der Du wie im Himmel

       Herrscher bist in Wien

      Bereits auf des Amtes Schimmel.

       Wie ein Gott geheiligt

      Werd’ Dein hoher Name,

       Wer sich nicht beteiligt –

       Hin sei der Infame!

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       Der Zeichner Fritz Gareis im Beiblatt der »Muskete« vom 20. Mai 1920 über die Situation der Tagespresse

      Die Hakenkreuzler kommen

       Wirtschaftliche Not und politische Radikalisierung führten in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre zu Gewaltakten. So wurde im burgenländischen Schattendorf am 30. Jänner 1927 von christlich-sozialen Frontkämpfern auf Schutzbündler geschossen. Ein Invalide und ein Kind starben. Die Täter wurden freigesprochen. Sozialdemokratische Demonstranten zündeten aus Protest gegen dieses Geschworenenurteil den Wiener Justizpalast an. Bei einem massiven Polizeieinsatz verloren 89 Menschen ihr Leben.

       Die Nationalsozialistische Partei Deutschlands, die aus der Deutschen Arbeiterpartei hervorging und sich 1920 ein radikales Programm mit dem Ziel einer gewaltsamen Beseitigung der Demokratie gab, fand bald auch in Österreich Anhänger. Zunächst unter der studentischen Jugend, bald auch im bürgerlichen Lager und in der Arbeiterschaft. Die Weltwirtschaftskrise 1929 verstärkte in Deutschland Rezession und Arbeitslosigkeit. Ein Jahr später zerbrach die Große Koalition und bei der Reichstagswahl 1930 zog die NSDAP unter Führung des gebürtigen Österreichers Adolf Hitler, der aus Braunau am Inn stammte, als zweitstärkste Partei hinter den Sozialdemokraten in das deutsche Parlament ein.

       Während Hitlers Nazis die Weichen in Richtung Diktatur, Unterdrückung bzw. Vernichtung von Minderheiten wie Sinti, Roma und Juden stellten, gründete ein anderer Österreicher, Richard Nikolaus Graf Coudenhove-Kalergi, 1922 die Paneuropa-Union mit dem Ziel der Schaffung eines europäischen Staatenbundes. Beim Pazifistenkongress in Berlin ein Jahr später ließ er seinem Pessimismus freien Lauf: »Das große Übel des Pazifismus sind die Pazifisten!«

       Mit dem Aufkommen der Nazis bekam der Antisemitismus Konjunktur. Dieser Witz handelt von einer Hetzrede von General Erich Ludendorff in den 1920er-Jahren in einem Münchner Bierkeller. Ludendorff schreit in das angetrunkene Publikum: »Die


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