E-Fam Exodus. Arno EndlerЧитать онлайн книгу.
antwortete ich subvokal und zutiefst erleichtert. »Das hat lange gedauert.«
»Stets zu Diensten, Bürger Mayer. Ich würde vorschlagen, Sie begeben sich acht Schritte von Ihrer derzeitigen Position nach links, dann zu der OLED-Wand und tasten sich vor.«
Ich fragte nicht, weshalb, war nur froh, dass ich endlich Unterstützung hatte, und folgte den Anweisungen.
»Hey!«, rief Peabloid. »Was tun Sie da?«
Ich ignorierte ihn, nahm Ottos Richtungskorrekturen auf und berührte die Wand mit den organischen Lichterzeugern.
»Weiter linke Richtung. Es sind nur wenige Zentimeter«, behauptete Otto.
Meine Hand griff plötzlich ins Leere, glitt in die Landschaft hinein und verschwand direkt vor mir. »Ist doch nicht das Ende?«, fragte ich und hoffte, dass Peabloid den Sarkasmus heraushörte.
»Stopp!«, brüllte er mich an. »Sie dürfen diesen Bereich nicht betreten. Der Sicherheitsdienst ist informiert.«
Ich tippte mir ans linke Ohr und lächelte ihn an. »Hier erklärt mir gerade mein E-Fam, dass POETS PLC einen weiteren Service anbietet. Einen, der unter Umständen hart am Rande der Legalität verläuft, nicht wahr?«
»Ihr E-Fam?«, stammelte der POETS-Angestellte. »Das ist unmöglich.«
»Otto?«, fragte ich halblaut, zog meine Hand wieder aus dem 3-D-Hologramm zurück, das einen Durchgang verbarg. »Könntest du kurz Bürger Peabloid einen Beweis für deine Existenz liefern?«
Der elektronische Famulus musste nicht lange überlegen. Ich schmunzelte, als dunkle Wolken im Bilderzeuger der Wand auftauchten, daraus zuckten Blitze hervor und dazu simulierte Otto prasselnde Regenschauer. Zu allem Überfluss nutzte er wohl auch noch versteckte Lautsprecher und übertrug die entsprechenden Geräusche eines Sommergewitters. Er liebte das Drama und spielte auf der vollen Klaviatur.
Dutzende dunkler Punkte tauchten am virtuellen Horizont auf, wurden rasch größer.
Peabloids Augen weiteten sich. Er keuchte.
Otto ließ Drachen auf uns zufliegen. Je näher sie kamen, umso kräftiger und deutlicher traten Farben und die extravaganten Accessoires der Fabeltiere hervor.
Ich ging davon aus, dass auch der POETS-Angestellte noch nie einen rosafarbenen Drachen mit einem geteilten Schwanz, einem Einhorn auf der Stirn und acht wirklich mächtigen Brüsten gesehen hatte, der den Walkürenritt von Wagner schmetterte.
»Genug«, rief ich und hob die Hand.
Die Landschaft kehrte abrupt zur alten Ruhe zurück. Schimmernde Poetrees, eine goldfarbene Sonne und einige weiße Schäfchenwolken am blauen virtuellen Himmel. »Pfeifen Sie Ihre Wachleute zurück, Bürger Peabloid. Mir ist egal, welche krummen Geschäfte Sie hier machen. Ich will nur Gangnes aufspüren, ihn befragen. Dann bin ich weg. Verstanden?«
Peabloid musste sich einen längeren Vortrag anhören, nickte einige Male sogar, während er lauschte. »Nun gut. Die Geschäftsleitung hat Ihrem E-Fam eine Geheimhaltungsvereinbarung zukommen lassen, die er in Ihrem Namen akzeptiert hat. Ich bin befugt, Sie in den S-Bereich zu begleiten.«
Ich sparte mir die Frage, was der Buchstabe S in diesem Zusammenhang bedeutete. Secret oder super oder sonderbar, mir war es egal.
»Es ist ein Durchgang mit einem holografischen Projektor, Bürger Mayer«, erklärte der POETS-Mitarbeiter nun wieder höflich. Er kam auf mich zu. »Folgen Sie mir bitte.« Er tauchte in die Landschaft ein und verschwand.
Ich tat es ihm gleich, bekämpfte das mulmige Gefühl mit Zuversicht. Für einen Moment wurde es nachtschwarz, dann war ich hindurch und mich erwartete eine Überraschung.
Sanftes Vogelgezwitscher, das leise Rauschen blättergeschmückter Baumwipfel, ein dunkler Himmel und die Illusion eines weichen Waldbodens unter meinen Schuhen war nun wirklich nichts, was ich vermutet hätte. Ich stand zusammen mit Bürger Peabloid in einem Wald. Zwischen einigen deutlich als Poetrees erkennbaren künstlichen Pflanzen hatten die Landschaftsdesigner der PLC echt wirkende Attrappen eines gemischten Urwaldes gesetzt. Der Boden bestand aus einer Mischung von Kunstmoos, Gras und einem Labyrinth aus kiesbedeckten Gehwegen.
»Ich bringe Sie zu Bürger Gangnes«, riss mich Peabloid aus meinen Gedanken.
»Er ist hier? Sie geben es zu?«
»Ja, Bürger Mayer. Kommen Sie. Und bitte verhalten Sie sich ruhig. Unsere Kunden wollen nicht gestört werden.« Peabloid betrat einen Kiesweg und marschierte gemessenen Schrittes los. Es knirschte leise unter seinen Sohlen. Der Kies schien echt zu sein.
Während ich mit einigen raumgreifenden Schritten zu ihm aufschloss, sah ich an einem Poetree eine ausgemergelte Gestalt lehnen. »Der Mann braucht Hilfe«, entfuhr es mir unwillkürlich.
»Leise!«, fuhr mich Peabloid an. »Und nein«, flüsterte er als Antwort auf meine Bemerkung, »er ist genau da, wo er sein möchte. Er ist ein Suizidaler.«
»Otto?«, erkundigte ich mich subvokal, da Peabloid keine Anstalten machte, ausführlicher zu erklären.
»Es ist der zweite, durchaus lukrativere Geschäftsbereich von POETS PLC, Bürger Mayer«, berichtete der E-Fam. »Die Firma bietet einen Service für Menschen, die ihrem Leben ein Ende setzen wollen.«
»Es gibt aktive Sterbehilfe«, widersprach ich. »Jeder kann die Leistung in Anspruch nehmen, Otto.«
»Wenn er älter ist als siebzig oder schwerstkrank, nach eingehender psychologischer Untersuchung. Nicht jeder möchte sich diesem Prozedere unterziehen.« Otto legte eine Kunstpause ein, bevor er weitersprach. »Im Übrigen ist die Sterbehilfe teuer. Nicht jeder kann sie sich leisten. Es sieht so aus, als biete POETS PLC eine deutlich günstigere und weniger aufwändige Dienstleistung an.«
»Sie töten Menschen?«
»Wir helfen ihnen, Bürger Mayer«, wies mich Peabloid energisch zurecht. Offenbar hatte ich den letzten Satz laut gesprochen. »Es sind Suizidale. Sie bitten um Hilfe. Wir tun, was ihnen die Gesetze verbieten.«
»Dennoch sterben sie.«
Bürger Peabloid blieb abrupt stehen. Er starrte mich mit müdem Gesichtsausdruck an und deutete dann auf den nächststehenden Poetree. Eine Frau saß dort, die Wangen eingefallen und faltig, die Augen geschlossen. Ihr flacher Brustkorb bewegte sich nur unmerklich. Der Stoff ihrer Hose umhüllte spindeldürre Beine. Sie war so abgemagert, als hätte sie mit einer Diät nicht aufhören können, und war nun zu schwach, um sich zu rühren.
»Das ist Kade 1024-Be-Null. In ihrem Kopf wachsen acht Tumore, die bald schon jegliche Bewegung unmöglich machen werden. Sie konnte bereits nicht mehr sprechen, erkannte keine Farben mehr und die einzige Geruchsnuance, die ihr geschädigtes Gehirn noch wiedergab, war Schwefel. Sie ist 32 und wollte sterben, durfte jedoch nicht, da es Behandlungsmethoden gegeben hätte, die ihr das Sterbehilfezentrum empfohlen hat.«
»Sie hat es abgelehnt?«
»Sie konnte es sich nicht leisten, Bürger Mayer. Unsere Gesellschaftsstruktur basiert auf der freien Interaktion von Marktteilnehmern. Vereinfacht. Es gibt für nahezu jedes Bedürfnis eines Kunden einen entsprechenden Anbieter der Leistung. Man muss es sich jedoch finanziell erlauben können. In der Mega-City Neun existiert so etwas wie ein Sozialstaat nicht. Kade 1024-Be-Null sah keinen Ausweg, wollte sich nicht halbherzigen Operationen unterziehen, die ihre Lebensqualität noch weiter eingeschränkt hätten. Also kam sie zu uns.«
»Zum Sterben.«
»Wirkt sie unglücklich? Nein! Sie spürt keine Schmerzen. Die Verbindung mit dem Poetree erlöst sie von allem. Hier flüstert der Poetree dem Kunden Geschichten direkt ins Gehirn. Unsere Klienten lauschen den Stimmen bis in den Tod hinein. Über die Filamente werden Medikamente zur Schmerzstillung übertragen und so müssen sie einfach nur warten.«
»Sie verdursten, verhungern?« Ich wusste nicht, ob ich wütend oder nur fassungslos sein sollte.
»Es