Elfenzeit 2: Schattendrache. Verena ThemsenЧитать онлайн книгу.
seufzte.
»Diese hier ist bisher noch die beste«, meinte David, ohne die Augen zu öffnen.
»Aber sie ist eben nicht das, was wir suchen«, erwiderte Rian.
»Wenn es das überhaupt gibt«, sagte David.
Grog brummte etwas Undeutliches, und Rian runzelte die Stirn etwas mehr, rollte die Karte fest zusammen und schlug ihrem Bruder damit heftig auf den Bauch. Überrascht öffnete der Elf die Augen und begegnete ihrem zornigen Blick.
»Warum musst du immer alles in Zweifel ziehen?«, fuhr sie ihn an. »Warum kannst du nicht endlich anfangen, an das zu glauben, was wir hier tun, anstatt dich einfach nur mitschleifen zu lassen? Warum musst du immer alles schlechtmachen mit deiner zynischen Leichenbitterstimmung? Bei den Sommerblüten, fast wünschte ich mir, ich hätte dich zu Hause in deinem Selbstmitleid versunken und auf den Tod warten lassen, anstatt dich hierher mitzunehmen!«
David zog die Augenbrauen zusammen. »Was soll denn das jetzt? Ich bin hier, oder? Und dass unsere bisherigen Erfolge mich nicht gerade zu Begeisterungsstürmen veranlassen, ist ja wohl kein Wunder! Heute morgen dieser Brunnen im Süden, der ein völliger Reinfall war, dann drei Stück im Odenwald, davon einer schwerer zu finden als der andere – kannst du mir übelnehmen, wenn ich langsam Zweifel daran anmelde, ob es das, was wir suchen, überhaupt gibt? Insbesondere, da ja, falls einer dieser Brunnen wirklich der Quell der Unsterblichkeit wäre, wir die Sterblichen schon lange nicht mehr so nennen dürften! Oder glaubst du, sie hätten das nicht gemerkt?«
»Für wie dumm hältst du mich eigentlich? Natürlich, wenn es so einfach wäre, dass man sich runterbeugt und davon trinkt, hätten das schon alle getan! Selbstverständlich muss mehr dahinter stecken! Aber was das ist, werden wir nicht herausfinden, indem wir nur herumsitzen und es uns möglichst gutgehen lassen! Und im Übrigen …« Rian deutete mit der Kartenrolle kurz in die Richtung, in die Nina gegangen war. »Was ist mit ihr? Ich habe sie beim Autofahren genau beobachtet, und es ist wirklich nicht so schwer. Ich denke, ich kann es jetzt. Darüberhinaus haben wir die Karte, und ohnehin sind nur noch drei Brunnen übrig. Wir sollten sie nicht weiter mitnehmen. Mir scheint, dass du anfängst, dich viel zu sehr daran zu gewöhnen, das sie dein Bett wärmt.«
David setzte sich auf und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich habe in Paris einige dieser Menschenfrauen gehabt, und dort hast du dich nie daran gestört. Warum jetzt? Etwa, weil dein eigenes Bett kalt ist?«
»Nur zur Erinnerung, ich teile mein Bett seit Tagen mit Grog und Pirx, da bei dir ja kein Platz mehr ist! Wo sollte da jemand hin? Aber das ist nicht der Punkt!« Sie hob in einer mahnenden Geste die Kartenrolle und fuhr eindringlich fort: »Mir scheint, du vergisst Vaters Gebot. Kein Mensch soll durch uns zu Schaden kommen! Grog und Pirx konnten gestern in Worms nicht herausfinden, wohin der Getreue sich gewandt hat. Er kann uns hier jederzeit über den Weg laufen, denn mit ziemlicher Sicherheit sucht er dasselbe wie wir – warum sonst sollte er ausgerechnet hier sein?
Wir beide können uns zu verbergen versuchen. Aber Nina – was hat sie ihm entgegenzusetzen? Und falls wir überrascht werden, was wird dann mit ihr geschehen? Ich sage es dir: Sie wird dann genau so sterben wie die Leute in Paris! Er wird ihr die Lebenskraft entziehen!«
Davids Blick ging an Rian vorbei und wurde warnend. Sie sah sich um. Nina kam den Weg wieder hoch, die Schultern etwas hochgezogen, und rieb sich die Oberarme. Seufzend ließ Rian die Kartenrolle sinken.
»Es wird dunkel und kalt«, sagte Nina mit einem kleinen Lächeln. »Wir sollten zum Auto zurück. Immerhin sind wir über eine Stunde entfernt. Bis wir wieder dort sind, ist es bereits stockfinstere Nacht.«
Rian nickte. »Ja, wir können gehen, hier haben wir alles gesehen, was wir sehen wollten. Wir fahren ja auch noch eine Weile, bis wir wieder in Worms sind. Und morgen …«
Nina gähnte verhalten und schüttelte den Kopf. »Das viele Laufen an der frischen Luft und das Durchfragen in den Ortschaften haben mich ziemlich müde gemacht. Und es wäre schade, jetzt wieder nach Worms zurückzukehren, um dann morgen noch einmal die Strecke bis in den Odenwald zu fahren. Ich würde daher vorschlagen, dass wir hier über Nacht bleiben – in Amorbach, oder vielleicht in Michelstadt, das ist ein nettes Städtchen mit vielen Fachwerkhäusern und so. Um diese Jahreszeit sollte es kein Problem sein, Zimmer zu bekommen.«
Rian öffnete den Mund, doch David kam ihr zuvor. »Das klingt gut, finde ich. So sparen wir morgen Zeit und können die Suche hoffentlich abschließen. Und dieses Michelstadt klingt so, als könnte es dir gefallen, Rian.« Er lächelte seine Schwester an, und sie klappte ihren Mund zu und warf ihm ein erbostes Funkeln zu.
»Ich bin zwar nicht begeistert von der Aussicht, schon wieder einen Tag in der gleichen Kleidung herumlaufen zu müssen wie am Vortag, aber ich sehe, ihr zwei habt euren Entschluss ohnehin schon gefasst.«
Nina strich eine Strähne ihres dunklen Haares zurück und sah David fast schüchtern an. »Na ja, ihr müsst es wissen. Es ist eure Arbeit, ich laufe nur mit.«
David erwiderte ihren Blick mit seinem jungenhaften Lächeln, während er sich von der Bank erhob. »Du gehörst dazu und kannst genauso deine Meinung sagen. Ohne dich wären wir niemals so schnell so weit gekommen. Also können wir durchaus Rücksicht auf dich nehmen. Außerdem finde ich die Idee wirklich gut.«
»Aber Rian …«
Die Elfe winkte ab und stand ebenfalls auf. »Aber eine Bedingung habe ich: Morgen fahre ich das Auto.«
Nina riss die Augen auf. »Du willst morgen schon fahren? Ich habe dir doch noch gar nichts gezeigt …«
»Ich habe genug gesehen, während ich neben dir gesessen habe. Und was fehlt, kannst du mir ja sagen, wenn ich es brauche.«
Skeptisch sah Nina Rian an. »Wir können es morgen einmal ausprobieren, auf einem Parkplatz oder so. Aber selbst wenn du es kannst – willst du dann wirklich ohne Führerschein fahren?«
Rian lächelte. »Ich werde schon nicht so fahren, dass wir einem dieser Polizisten auffallen. Und sollte es doch passieren – wie gesagt, wir haben unsere Möglichkeiten, damit umzugehen.«
Nina schaute sie einen Moment zweifelnd an, zuckte dann jedoch mit den Achseln und wandte sich ab.
Rian gefiel Michelstadt, sobald sie die gut erhaltenen und liebevoll hergerichteten Fachwerkhäuser im Ortskern erblickte. Bei ihrem Spaziergang nach dem Abendessen umrundete sie drei Mal das Michelstadter Rathaus, das laut Nina wegen seiner ausgeprägt künstlerischen und mit aufwändigen Verzierungen versehenen Bauart sogar über die Grenzen Deutschlands hinaus berühmt war.
Rian lag bereits im Bett, als eine Tür knallte und es kurz darauf erst leise, dann lauter und hartnäckiger bei ihr klopfte. Sie setzte sich auf und sah verwundert zur Tür. Neben ihr öffnete Pirx blinzelnd ein Auge, während Grog aus dem Bett schlüpfte und auf dem Weg zur Tür war, um sie zu öffnen. Ehe sie ihn mit einem Ruf daran hindern konnte, hatte er die Klinke gepackt und hinuntergedrückt. Rian hechtete aus dem Bett und zur Tür, damit es so aussah, als habe sie sie geöffnet.
Mit zerzaustem Haar, verquollenen Augen und müdem Blick stand Nina dort, nur in Pullover und Unterhose, ihre Jeans fest an sich gedrückt haltend.
»Darf ich bei dir schlafen, Rian?«, fragte sie leise.
»Ähm, natürlich. Komm rein, Nina.«
Stumm ging die junge Frau an Rian vorbei in das dunkle Zimmer. Eine Geste der Elfe ließ den alarmiert dreinschauenden Pirx sich vom Bett hinunter und in eine Ecke kugeln. Rian winkte ihn und den halb erstarrt hinter der Tür verharrenden Grogoch zu sich und trat mit ihnen halb in den Gang hinaus.
»Ihr geht zu David«, zischte sie. »Der hat jetzt genug Platz.«
Die beiden nickten stumm und sahen zu der Menschenfrau, die zusammengesunken auf der Bettkante saß. Sie hatte die Jeans neben sich hingeworfen, die Arme aufgestützt und das Gesicht in die Hände gelegt.
»Armes Kind«, murmelte Grog. Er und der Pixie wandten sich ab und gingen den inzwischen dunklen Gang hinunter. Rian schloss die Tür und deutete