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Du darfst nicht sterben. Andrea NageleЧитать онлайн книгу.

Du darfst nicht sterben - Andrea Nagele


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gesprochen und dass ich mir die Turniere gern im Fernsehen anschaue.«

      »Siehst du. Da hast du es. Also wozu die Unterstellung, ich hätte etwas damit zu tun? Als seine Beraterin für ein Liebesabenteuer mit dir? Nein danke.«

      Ihr Unmut ist nicht zu überhören.

      »Ich verstehe nicht, warum du Paul so ablehnst«, wechsle ich das Thema, weil ich mich augenscheinlich in etwas verrannt habe. »Ist es, weil er dich vor mir kannte und mir den Vorzug gab?«

      »Natürlich nicht«, sagt sie schnell. »Ich weiß selbst nicht so genau, was es ist. Vielleicht seine Ausstrahlung? Die finde ich eigenartig. Alltagskost ist der Kerl jedenfalls nicht.« Ihre Worte klingen wie einstudiert. Dann lacht sie, und ich lache mit.

      Die Spannung löst sich, doch ein Hauch von Unbehagen hat sich in mir festgesetzt und will nicht verschwinden.

      Unzufrieden beende ich das Gespräch und kehre in den Leseraum zurück. Julia steht hinter dem Tresen und nimmt Bücher entgegen. Sie wirft mir einen fragenden Blick zu.

      »Später«, sage ich.

      Als ich ihr in der Mittagspause die ganze Geschichte erzähle, wundere ich mich selbst über meine vorherige Reaktion.

      »Er hat das extra gekauft?« Julia kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. »Dieser Paul ist ein Prachtkerl.«

      »Finde ich auch«, sage ich, und der Hauch Unbehagen löst sich auf.

      Als die Dämmerung langsam in Dunkelheit übergeht, ziehe ich meine Winterjacke an und setze die Bommelmütze auf. Inzwischen freue ich mich auf dieses Date und kann es kaum mehr erwarten, Paul vor der Eislaufhalle zu treffen.

      Es ist offensichtlich, dass Julia Paul bewundert und mich um ihn beneidet, denn sie kann über nichts anderes mehr reden.

      »Ciao, bis morgen!«, rufe ich ihr belustigt zu und laufe, die neuen Schlittschuhe über die Schulter gehängt, die Straße entlang. Bis zu unserem Treffpunkt ist es nicht weit, ein Sichelmond spendet fahles Licht. Schon taucht vor mir die Eishalle auf, aber anders als sonst ist sie heute nicht hell erleuchtet, nicht bereit für abendliche Besucher, sondern thront wie ein finsterer Klotz am Ende des Fußweges.

      Verunsichert bleibe ich stehen. Verdammt, heute ist Mittwoch. Da ist die Halle ab Mittag geschlossen. Enttäuscht will ich umkehren, als mich zwei Arme umfangen. Ich rieche Pfefferminz.

      »Lili. Ich wusste, auf dich ist Verlass.«

      »Ja, auf mich schon. Aber nicht auf die Öffnungszeiten. Heute ist hier geschlossen.« Meine Stimme klingt, als hätte ich ein zu großes Stück Brot verschluckt.

      Doch statt meine Enttäuschung zu teilen, beginnt Paul zu grinsen. »Folge mir und stelle keine Fragen. Ich habe alles im Griff.«

      Er führt mich am Eingang des Gebäudes vorbei zu einer Tür, die im Schatten liegt, und zieht zwinkernd einen Schlüssel aus der Tasche seiner Daunenjacke. »Man muss seine Freundschaften pflegen.«

      Verwundert lasse ich mich durch einen schmalen, nach feuchtem Holz riechenden Flur zur Eisfläche ziehen und presse erstaunt meine Hand auf den Mund. Vor uns lässt schimmerndes Kerzenlicht das Eis glänzen.

      »Hast du …?«, bringe ich endlich hervor.

      Paul hebt mein Gesicht und küsst mich. »Klar habe ich, wer denn sonst?«

      Die Bänder meiner Schlittschuhe verknoten wir gemeinsam, dann nimmt er meine Hand.

      »Du meintest, von euch beiden Zwillingsschwestern wärest du der Tollpatsch, aber jetzt hast du ja mich. Ich werde aufpassen, dass dir nichts passiert.«

      »Die Eislaufschuhe. Die sind doch viel zu teuer. Aber sie passen wie angegossen. Woher wusstest du, welche Größe ich trage?«

      »Das Kunstwerk liegt immer im Auge des Betrachters«, erwidert er, und seine braunen Augen funkeln vergnügt.

      »Hast du mit Anne darüber gesprochen?« Fragend sehe ich zu ihm hoch.

      Seine Miene versteinert. »Mit Anne? Wie kommst du auf so eine Idee? Komm.«

      Schon gleiten wir über das Eis. Seine Hand führt mich und gibt mir Sicherheit. Ich beginne zu schweben, und in mir breitet sich ein Glücksgefühl aus, wie ich es zuvor selten empfunden habe.

      Wir müssen schon einige Runden gedreht haben, verzauberte Runden, da sehe ich erst die Köstlichkeiten, die Paul an der Bande zu den Zuschauerreihen hin aufgebaut hat. Ungläubig starre ich auf die beschlagene Flasche im Kühler, die Sektflöten und die silberne Platte mit belegten Brötchen.

      »Für dich musste ich mir etwas Besonderes einfallen lassen.« Seine Hand drückt meine zärtlich.

      »Das ist dir leider nicht gelungen«, necke ich ihn, und pure Lebensfreude kommt in mir auf. Beschwingt drehe ich mich zu ihm um und küsse ihn. Sein Bart kratzt über meine Gesichtshaut, aber das stört mich nicht, ich finde es sexy. Paul presst mich an sich und lässt seine Hand unter meinen Wollpulli gleiten.

      »Das war erst die Vorspeise«, sagt er und hebt mich hoch. Er wirbelt mich durch die Luft und setzt mich sanft wieder ab.

      Alle Unsicherheit in mir hat sich in Wohlgefallen aufgelöst.

      ANNE

      Lili ruft an. Schon wieder. Ununterbrochen klingelt das Telefon.

      Zuerst rührt sie sich tagelang nicht, und jetzt kann sie nicht damit aufhören.

      Ihr Verhalten erinnert mich an unsere Kinderspiele. Wer sieht beim Bockschauen als Erstes weg, kann den Blick des anderen keine Zehntelsekunde länger ertragen? Lilis Augen zuckten und schlossen sich. Wer kann versteinern und zur Statue erstarren, bis man erlöst wird? Lili bewegte sich und verlor. Es langweilte mich, in meiner Schwester keine ebenbürtige Gegnerin zu finden. Manchmal war ich hässlich zu ihr, richtig gemein, um sie zum Widerspruch herauszufordern.

      Doch anders als damals ist es heute kein Spiel, bei dem die Stärkere siegt, sondern eine vertrackte Angelegenheit, in die ich mich leichtfertig hineinmanövriert habe und bei der ich nun nicht mehr weiß, wie ich ohne Kollateralschäden wieder herauskomme. Hebe ich das Telefon ab, muss ich mit ihr reden. Reden wir miteinander, wird sie spüren, dass etwas nicht stimmt. Doch um keinen Preis der Welt kann ich ihr von Paul und mir erzählen.

      Hebe ich nicht ab, wird sie, so wie es nun mal ihre Art ist, auf andere Weise versuchen, mich an die Strippe zu kriegen. Sie könnte zum Beispiel mit einer mir unbekannten Nummer anrufen oder Julia überreden, den Kontakt herzustellen. Und wenn das alles nichts nützt, steht sie irgendwann vor meiner Tür. Im schlimmsten Fall genau dann, wenn Paul das Haus verlässt.

      Verdammt.

      Paul.

      Ich muss ihn loswerden.

      Mein ganzes Leben lang habe ich mich stets in die bösen Jungs verguckt und mich in aussichtslose Affären gestürzt. Schmerzhaft und desillusionierend, eine Charakterschwäche. Aber diesmal habe ich den Vogel abgeschossen, ich bin ja nicht mal in den Kerl verliebt. So viel steht fest. Wahrscheinlich war es einzig mein verletzter Stolz. Als ich sah, dass Paul Lili mir vorzog, konnte ich es nicht akzeptieren.

      Was, frage ich mich, ist schlimmer als Selbstanalyse? Richtig, das, was dabei herauskommt.

      Und ja, manchmal mag ich mich selbst nicht, aber ich bin wie ich bin, und jetzt stecke ich in einer klassischen Zwickmühle und habe sie mir auch noch selbst gebaut.

      Es gibt nur eine Lösung: Ich muss das, was auch immer es ist, das ich mit Paul habe, beenden. Sonst kann ich meiner Schwester nicht mehr in die Augen schauen.

      Wieder klingelt es, wieder lege ich das Handy weg, drehe es um, sodass ich den Schriftzug ihres Namens auf dem Display nicht sehe.

      Ich probe halblaut den Abschied. Morgen Abend will Paul mich besuchen, bis dahin werde ich die richtigen Worte gefunden haben.

      Jetzt aber muss ich in die Redaktion.

      Als ich mich


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