Ein MORDs-Team - Der komplette Fall Marietta King. Andreas SuchanekЧитать онлайн книгу.
»Die von uns, die noch leben«, gab Shannon müde zurück. »Wie gesagt: Das Wohl meiner Tochter geht mir über alles, auch wenn du das nicht glauben magst.«
Dann solltest du dich von deinem Mann scheiden lassen, meine Liebe, dachte Jamie. Laut sagte er: »Natürlich glaube ich dir das.«
»Gut. Dann hoffe ich sehr, dass wir uns heute zum letzten Mal gesehen haben.« Sie erhob sich. »Du bist ein Teil meiner Vergangenheit, nicht meiner Zukunft. Halte Mason von Danielle fern, oder ich werde es tun – auf meine Art.«
Sie wandte sich um und stakste barfuß davon, die Schuhe in der Hand.
Jamie starrte sinnierend auf den See hinaus. Er dachte an Billy und Harrison, an die alte Shannon und natürlich Marietta. In seinen Gedanken sah er auf der anderen Seite des Sees fünf lachende Jugendliche, die sich an einem Tau von dem kleinen Abhang über das Wasser schwangen und in den See fallen ließen. Sie lachten, drückten sich gegenseitig unter Wasser und tranken Stunden später, auf einem Handtuch in der Sonne liegend, eisgekühlte Cola.
Das Lachen verebbte hallend.
Er schüttelte den Kopf.
Vermutlich würde er diese Erinnerung eines Tages mit ins Grab nehmen. Danach war eine lange dunkle Zeit gefolgt. Wie gerne hätte er sie in seinen Geist vergraben und vergessen, doch wie es solche Dinge an sich hatten, ließen sie einen nicht los. Stattdessen verfolgte ihn all das bis in die Gegenwart.
Jamie stand auf und seufzte.
Er musste etwas erledigen.
*
Seit sie beschlossen hatten, am Abend im Steinbruch zu sein, um Pratt und seinem Auftraggeber eine Falle zu stellen, verging die Zeit wie im Fluge.
Olivia fuhr mit Danielle in die Werkstatt, wo sie ihr Auto abholte. Scheinbar kannte sie jemanden, der jemanden kannte, der solche Reparaturen unter der Hand für kleine Gefälligkeiten erledigte. Danielle brachte den CLS wieder nach Hause, während Olivia zum Abendessen heimfuhr. Da es sowieso erst spät dunkel wurde, würde Pratt sicher noch nicht aktiv werden.
Randy radelte nach Hause, um dort das benötigte technische Equipment zusammenzusuchen: eine Kamera, ein Aufnahmegerät mit Richtmikrofon, einen Restlichtverstärker und mehrere mobile Scheinwerfer. Mason verzichtete darauf, den Freund zu fragen, woher er all den Kram hatte. Er war einfach ein Technik-Genie, baute ständig an irgendwelchen Bauteilen oder programmierte an etwas herum.
Mason ging nicht nach Hause. Er sendete seiner Mum eine kurze Nachricht, damit sie sich nicht sorgte. Sekunden später gab sie ihm das Okay, dem Abendessen fern zu bleiben, sein Dad sei sowieso noch nicht da.
Mit seinem Skateboard fuhr Mason in Richtung Strand. Wie immer bog er vorher ab, kam schließlich zum Waldweg und stand Minuten später an seiner geheimen Bucht. Dieses Mal war keine Olivia weit und breit zu sehen.
Barfuß schlenderte er über den Sand, schloss die Augen, genoss die milde Abendbrise, die ihm entgegen wehte. Der Geruch von Salzwasser stieg in seine Nase.
Wenn er wollte, konnte er morgen früh hierher zurückkehren, während die anderen in die Schule gehen mussten. Falls es ihm heute Abend nicht gelang, seine Unschuld zu beweisen, konnte er jeden Tag hierher kommen.
Der Gedanke schmerzte.
Wie von selbst steuerte er dem alten Steg entgegen. Die Bohlen quietschten, als er darüber schritt. Das Wasser schwappte an der Seite in die Höhe.
Unwillkürlich fiel sein Blick auf einen Haufen Namen. Sie waren in das Holz geritzt worden. Mal stand da nur ein einzelner Name, mal war es ein Anagramm, viel öfter aber ein Herzchen mit den Initialen der Verliebten im Inneren. Gedankenverloren strich Mason darüber.
Die Einkerbungen sahen alt aus. Manchmal fragte er sich, welche Gesichter zu den Namen gehörten, ob die Pärchen immer noch zusammen waren oder sich über die Jahre getrennt hatten. In einem der Herzchen erkannte er die Zahl 79, in einem anderen die 84.
Damals hab ich noch nicht mal gelebt.
In einem einzigen Moment hatte jemand sich hier verewigt und jetzt, über dreißig Jahre später, schaute er auf die Einkerbung, den Fußabdruck in der Zeit.
Mason schüttelte den Kopf.
Er wollte nicht, dass Barrington Cove sich an ihn als den Drogenjungen erinnerte. Skandale wurden hier nie vergessen, dafür sorgte schon die Gazette. Vermutlich würde spätestens am Montag die ganze Stadt wissen, dass er mit Drogen erwischt worden war. Eher wussten sie es bereits jetzt.
Der heutige Abend würde darüber entscheiden, wie es weiterging. Er setzte sich ans Ende des Steges und ließ die Beine ins Wasser baumeln. Für ein paar letzte Stunden wollte er einfach nur Ruhe und Frieden.
Vor den Basketballspielen hatte er es auch immer so gemacht. Während andere unruhig auf und ab trippelten, legte er sich einfach hin und döste, schaute aufs Meer hinaus oder studierte alte Spiele. Seltsamerweise dämpfte das seine Aufregung anstatt sie noch zu erhöhen.
Mason lehnte sich zurück und schaute in den Himmel, während die Wellen an seine Beine schwappten. Langsam breitete sich eine wohlige Wärme in seinem Inneren aus.
Sekunden später war er eingeschlafen.
*
»Man könnte meinen, er ist wenigstens pünktlich«, sagte Danielle. »Wenn meine Eltern merken, dass ich mich noch mal aus dem Haus geschlichen habe, sind meine Reitstunden gestrichen.«
»Und das wäre ja gleichbedeutend mit dem Untergang der Welt«, kommentierte Olivia.
Danielle holte tief Luft und setzte zum Sprechen an.
»Wir sollten besser still sein, immerhin kann Thompkins jederzeit auftauchen«, sagte Randy schnell.
Sie kauerten zwischen zwei Sträuchern. Es war der gleiche Platz, den Mason und er schon heute Mittag verwendet hatten. Von hier aus hatten sie einen wunderbaren Ausblick.
Randy war so darauf konzentriert, Crest Point zu beobachten, dass er zusammenzuckte, als Mason sich keuchend zwischen ihn und Olivia schob.
»Sorry, ich bin eingepennt«, sagte er. »Kein Wunder, dass so viele Touris unsere Strände unsicher machen, das Meer ist einfach zu idyllisch.«
»Alter, du bist der einzige Mensch, den ich kenne, der unter Druck am besten schläft. Gib mir vor der nächsten Klausur was davon ab.«
»Wozu, du schreibst doch eh nur Einsen.«
Tief unter ihnen hatten die beliebtesten Plätze sich geleert. Gerade ging das letzte Pärchen, das am hartnäckigsten gewesen war, eng umschlungen davon.
»Wurde ja auch Zeit«, sagte Danielle schnippisch. »Manche Leute sollten sich ein Zimmer nehmen.«
Sie warteten.
Und warteten.
Und warteten.
Irgendwann zog Danielle ihr funkelnagelneues Smartphone heraus und begann damit, irgendein Quiz zu spielen. Randy döste ein wenig, während Mason aufmerksam durch den Feldstecher sah. Olivia hielt das Richtmikrofon und lauschte gespannt in den Kopfhörer.
»Und?«, fragte Mason.
»Bisher nur irgendwelche Vögel.« Sie runzelte die Stirn. »Warte mal, da ist was.«
Mason schaute sofort in die angegebene Richtung. Tatsächlich kam dort jemand von der gegenüberliegenden Seite zwischen zwei Reihen dicht beieinander stehender Steine auf die kleine zentrale Fläche gelaufen, die leicht erhöht lag.
»Das ist nicht Thompkins«, sagte Mason. »Das passt nicht von der Statur. Der Typ dort ist größer. Aber ich kann sein Gesicht nicht erkennen.«
Der Unbekannte wartete.
Es dauerte nur Minuten, da hielt ein Auto