Ein MORDs-Team - Der komplette Fall Marietta King. Andreas SuchanekЧитать онлайн книгу.
Doch wenn irgendjemand dort drinnen an eurer Aussage zweifelt, dann wird der Staatsanwalt euch schnurstracks anklagen. In wenigen Stunden wird die Öffentlichkeit erfahren, dass Marietta tot ist. Und das, was dann all die lieben, netten Eltern dort draußen wollen, ist, dass ihr eigenes Kind sicher ist. Ein Schuldiger muss her.«
Harrison hatte oft mitbekommen, wie sein Dad mit Mandanten ähnlich gesprochen hatte. Er bereitete sie so darauf vor, was auf sie zukam. Vermutlich würde es sogar noch schlimmer werden. Harrison konnte momentan trotzdem nicht an sich selbst denken. Er sah immer wieder Marietta vor sich. Wie sie lachend mit den anderen im Dunkeln verschwand, während er alleine zurückblieb.
Er sah in Gedanken wieder den Mann, der mit dem Super-8-Band an ihm vorbei ging. War das der Mörder gewesen? War der verdammte Kerl tatsächlich so nahe an ihm vorbei gegangen?
»Also, seid ihr bereit?«, fragte Harrisons Dad.
Sie nickten.
Der Regen nahm weiter zu.
Gemeinsam überquerten sie die Straße.
Sein Dad ging voran und öffnete die Tür.
Sie betraten die Sheriffstation.
Ende des 1. Teils
II
Auf tödlichen Sohlen
von Nicole Böhm
Barrington Cove, 1984
»Wir funken auf Kanal 4«, sagte Jamie und drückte Harrison das Walkie-Talkie in die Hand. »Kannst du dir das merken oder muss ich es dir aufschreiben?«
»Idiot.«
»Dann mach’s mal gut, Hairy-Boy. Lass dich nicht von den Geistern holen.« Jamie gab Harrison einen Klaps auf die Schulter, legte seinen Arm um Shannon und folgte den anderen nach oben Richtung Sekretariat.
»Nenn ihn nicht immer Hairy-Boy«, sagte Shannon und boxte ihn in die Seite. »Das mag er nicht.«
»Würde ich auch nicht, wenn ich für die Haare auf meinem Rücken einen extra Friseurtermin bräuchte.« Jamie zwinkerte ihr zu. Wo bliebe der Spaß, wenn er den guten Harrison nicht ein wenig necken könnte? Jamie zog Shannon enger zu sich. Sie hatte einfach scharfe Kurven, anders war es nicht zu beschreiben. Er grinste.
»Was ist?«, fragte Shannon.
»Nichts, ich finde das nur krass abgefahren.«
»Abgefahren? Wir brechen mitten in der Nacht im Büro des Rektors ein, um Prüfungsfragen zu stehlen. Ich finde das eher gruselig.«
»Das musst du nicht, ich bin doch da und passe auf dich auf.« Jamie verlangsamte absichtlich das Tempo, um mehr Abstand zwischen Billy und Marietta zu bekommen, die vor ihnen herliefen. Seine Hand wanderte tiefer an Shannons Rücken entlang, folgte dem Schwung ihrer Taille zu ihrem Hintern.
»Lass das.« Sie entwand sich seinem Griff. Jamie rollte mit den Augen. Seit Wochen schon versuchte er, Shannon dazu zu überreden, ihn mehr berühren zu lassen als nur ihre Taille. Seit Wochen ließ sie ihn mit der Beharrlichkeit eines Staudamms abblitzen. Er startete den nächsten Versuch.
»Jamie, nimm deine Pfoten da …«
»Könnt ihr mal leise sein!«, zischte Billy.
»Wieso? Wer sollte uns denn hören?«, fragte Jamie. »Die olle Alarmanlage funzt nicht, das weiß doch jeder. Und der alte Anderson hockt entweder vor der Glotze oder führt seinen Hund Gassi.« Jamie hob die Hände an den Mund und nutzte sie als Megaphon. Dann schrie er. »Wir können so laut sein wie wir möchten, nur der Allmächtige wird uns hören.«
Billy warf ihm einen finsteren Blick über die Schulter zu. Jamie lachte und schaute zu Shannon, die genervt dreinblickte.
»Was denn?«, fragte er. »Ich mach doch nur Spaß.«
»Das ist aber nicht witzig«, sagte Shannon. »Echt jetzt, werd mal erwachsen.«
Sie zog den Nachschlüssel, den sie bereits an der Tür unten verwendet hatte, aus ihrer Gürteltasche und holte Marietta ein, die im Vorzimmer des Rektors verschwunden war. Billy blieb noch einen Moment stehen, bis Jamie aufgeschlossen hatte, dann legte er ihm den Arm um die Schulter. »Mal so ein Tipp nebenbei: Wenn du sie rumkriegen willst, hör auf, den Kasper zu spielen. Frauen stehen nicht auf Clowns.«
Jamie seufzte. Billy hatte natürlich recht, aber seit Marietta sich von ihm getrennt hatte, fiel es ihm irgendwie schwer, wieder mit Mädchen anzubandeln. Vermutlich spielte er den Clown, weil er wusste, dass er so am wenigsten Erfolg hatte. Er betrat mit Billy das Vorzimmer des Rektors. Wie immer war es picobello sauber aufgeräumt. Marietta und Shannon rüttelten am Schloss.
»Was ist los?«, fragte Billy.
»Der Schlüssel klemmt«, sagte Shannon. »Er lässt sich nicht umdrehen.«
»Oh bitte, sag das nicht«, sagte Billy.
»Ist aber so.« Shannon strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und machte Billy Platz. Er probierte ebenfalls sein Glück, doch ohne Erfolg.
Billy zog den Schlüssel wieder heraus und begutachtete ihn im Halbdunkel. »Da ist eine scharfe Kante, wenn wir mit etwas drüber feilen, müsste es gehen.«
»Während ihr das versucht, suchen Shannon und ich in Andersons Büro nach einem Ersatzschlüssel«, sagte Jamie.
»Gute Idee«, sagte Billy. »Der alte Knochen hat ganz sicher einen Ersatz.«
»Also gut«, sagte Shannon. »Bis gleich.«
Jamie nickte und hielt Shannon die Tür auf. Sie huschte an ihm vorbei, Jamie folgte ihr.
»Charmant sein, nicht witzig, denk dran«, rief Billy ihm nach.
Beim Gehen griff Jamie nach Shannons Hand und streichelte mit dem Daumen über ihren Handrücken. Charmant sein. Er konnte das.
»Tut mir leid wegen vorhin, ich wollte dich nur ein wenig ablenken, weil du so ängstlich ausgesehen hast. Und es tut mir auch leid, wie ich Hairy-B… Harrison behandle. Du hast recht. Das ist nicht richtig.«
Shannon blickte zu ihm hoch. Im Halbdunkel funkelten ihre blassblauen Augen und ihre Haut leuchtete heller.
»Ich werde Harrison morgen nach der Schule mal mit zum Strand nehmen. Wir könnten ein paar Körbe werfen.«
Shannon hielt an, blickte kurz nach rechts und links, als hätte sie Angst, jemand könnte sie beobachten, was natürlich nicht der Fall war. »Danke. Das wäre wirklich nett von dir. Es ist schwer für ihn, Anschluss zu finden.« Sie lächelte ihn unter halb geschlossenen Augen an, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn. Er erwiderte Shannons Kuss. Erst ruhig und zärtlich, doch als sie ihre Hände in seinen Haaren vergrub und ihre Hüfte gegen seine schmiegte, presste er sie gegen die nächste Wand und küsste sie leidenschaftlicher. Jamie fuhr mit den Fingern unter ihr Shirt, strich über die Haut an ihrem Bauchnabel.
Auf einmal riss Shannon sich von ihm los. War er wieder zu weit gegangen?
»Hast du das gehört?«
»Was?« Er blickte sich um, doch da war nichts.
»Da kommt jemand!«
Jamie wollte gerade widersprechen, als er es auch hörte. Schritte. Sie kamen direkt auf sie zu. »Schnell, da rein.« Er deutete auf eine Tür. Gemeinsam huschten sie in den dahinter liegenden dunklen Raum. Jamie drückte die Tür wieder leise ins Schloss. Für einige Sekunden verharrten sie regungslos, dem Atem des anderen lauschend. Als sich nichts rührte, stieß Jamie die Luft aus den Lungen. »Ist er noch da?«
»Keine Ahnung.«
Jamie blickte sich um. Sie waren