Der kleine Fürst Staffel 12 – Adelsroman. Viola MaybachЧитать онлайн книгу.
müssen. Rasch, rasch!«
Sie holte ihre Arzttasche, die sie immer im Wagen mitführte, und stieg die Böschung hinunter.
Sandra war an diesem Abend, erstmalig seit langem, wieder ausgegangen. Sie hatte eine Alexander-Karben-Aufführung in Frankfurt besucht. Die Einladung hatte sie dem Schauspieler nicht abschlagen können.
Zwischen den Bäumen bemerkte Sandra einen Menschen. Er kroch auf allen vieren. Sie erkannte nicht, daß es sich um Baron Edgar handelte, denn sein Gesicht war von Schmutz und Blut verschmiert.
Der Baron befand sich in einem Schockzustand. Er hatte den Unterkiefer gebrochen und konnte nur unartikulierte Laute von sich geben. Er hatte seinen Sicherheitsgurt gelöst und war durch das zerbrochene Seitenfenster aus dem Wagen gekrochen.
Sandra untersuchte ihn rasch. Sie stellte fest, daß für den Mann keine Lebensgefahr bestand und ermahnte ihn, ruhig liegenzubleiben. Auf der Straße oben war der Fahrer, den Sandra losgeschickt hatte, schon unterwegs.
Der Beifahrer kletterte den Abhang hinunter, er brachte einen Verbandskasten, einen Wagenheber, ein kurzes Eisenstück und eine Taschenlampe mit. Er war hochgradig aufgeregt.
»Ich habe zu Helmut noch gesagt: Mensch, blend ab! Aber da war es schon zu spät. O Gott, o Gott!«
Der Beifahrersitz war aus der Verankerung gerissen. Fürstin Claudia lag daneben, der Sicherheitsgurt hielt sie noch. Ihr Abendkleid war mit Blut durchtränkt. Der Beifahrer leuchtete der Ärztin mit der Taschenlampe. Doch seine Hände zitterte so sehr, daß der Lichtkegel tanzte.
»Bleiben Sie doch ruhig!« ermahnte ihn Sandra. »Wie heißen Sie?«
»Karl Müller.«
»Reißen Sie sich zusammen, Herr Müller, es geht um ein Menschenleben. Die Frau ist noch nicht tot. Sie hat eine Schlagaderverletzung. Wenn wir ihr nicht schleunigst helfen, verblutet sie.«
Fürstin Claudia war nicht bei Bewußtsein. Ein scharfkantiges Metallteil hatte sie am Oberschenkel verletzt. Da der Wagen auf dem Dach und auf der Seite lag, konnte man sie durch die Beifahrertür nicht herausziehen.
Sandra und ihr Helfer strengten sich an. Mit einem Knacken öffnete sich die Fahrertür. Sandra kroch in den Wagen. Weil sie den völlig verdrehten Sicherheitsgurt der Fürstin nicht lösen konnte, kappte sie ihn mit einem Messer.
Der Mann hatte sich wieder gefaßt. Die Kaltblütigkeit der jungen Ärztin und ihre klaren Anweisungen beeindruckten ihn. Allein wäre er hilflos gewesen.
Als sie die Fürstin aus dem Wagen zogen, erkannte Sandra, wen sie vor sich hatte. Sie stutzte nur einen Moment. Dann handelte sie rein routinemäßig. Vor ihr lag eine Verletzte, ob Dienstmädchen oder Fürstin, das war gleich.
Sie drückte mit dem Griff der Schere die Beinschlagader der Fürstin ab, um die Blutung zum Stillstand zu bringen. Eine Aderpresse konnte man nicht anlegen. Während Müller leuchtete, untersuchte Sandra die in ihrer Bewußtlosigkeit stöhnende Fürstin.
»Schulterfraktur«, stellte sie fest. »Und dann die Aortaverletzung. Außerdem hat sie einen Schock.«
»Wird sie überleben?« fragte Müller.
»Falls sie keine inneren Blutungen erlitten hat, ja. Ich sehe keine Anzeichen für solche Verletzungen. Wo bleibt denn nur die Ambulanz? Schieben Sie der Verletzten Ihre Jacke unter den Kopf, Herr Müller. So. Dann gehen Sie nach oben auf die Straße. Wenn wieder ein Wagen kommt, stoppen Sie ihn. Der Fahrer soll ebenfalls die Polizei und den Notarzt anrufen. Hoffentlich ist ihr Freund in seiner Panik nicht auch in den Wald gerast.«
»Das fehlte noch!«
»Sehen Sie auch nach dem anderen Verletzten. Fragen Sie ihn, ob er etwas braucht und ob er Schmerzen hat, bevor Sie nach oben gehen. Ich kann nicht von der Fürstin weg.«
»Der Fürstin?«
»Ja, diese Frau ist Fürstin Claudia von Falkenau.«
Noch bevor Müller die Straße erreichte, ertönte Sirenengeheul. Es näherte sich rasch. Bald darauf dröhnte der Lärm eines Rettungshubschraubers. Er senkte sich mit blinkenden Positionslichtern auf die Straße.
Polizeibeamte sperrten die Straße ab. Ein Rettungswagen war schon am Unfallort, um den Baron von Balsingen mitzunehmen. Die Polizisten hatten ihn anhand seiner Papiere identifiziert. Sowie der Hubschrauber aufgesetzt hatte, sprangen ein Arzt und zwei Sanitäter heraus.
Während der Baron bereits zum Rettungswagen gebracht und abtransportiert wurde, legten die Sanitäter Fürstin Claudia auf die Trage. Sandra drückte ihr weiter die Schlagader ab, der Notarzt gab der Fürstin zwei Spritzen, denn ihr Puls war unregelmäßig geworden.
Sandra ließ ihren Wagen am Unfallort stehen. Sie flog mit der Fürstin im Hubschrauber mit. Zwei Ärzte waren besser als einer. Fürstin Claudias Zustand war kritisch. Sie erhielt Blutplasma.
»Ohne Sie wäre die Fürstin verblutet, Frau Kollegin«, sagte der Notarzt während des Fluges zu Sandra. »Es war ihr Glück, daß Sie am Unfallort erschienen.«
Der Rettungshubschrauber flog die Main-Taunus-Klinik an. Sie lag am nächsten. Fürstin Claudia kam sofort auf den Operationstisch.
Dr. Stanitz nähte ihre verletzte Ader. Die Röntgenaufnahme ergab, daß die Fürstin nicht nur die Schulter, sondern auch den rechten Arm gebrochen hatte. Die Ärzte behandelten auch diese Verletzungen.
Sandra rief in ihrer Wohnung an und bat den Babysitter, die Nacht über zu bleiben. Das Mädchen stimmte zu, als es hörte, daß es sich um einen Unfall handelte.
Gunter war auf Schloß Falkenau von dem Unfall unterrichtet worden. Er hatte erfahren, daß seine Mutter operiert wurde. Ihr Zustand sei ernst. Jetzt mußte man abwarten.
Doch Gunter hielt es nicht länger im Schloß. Er setzte sich in seinen Wagen und fuhr zur Klinik.
Sandra wollte abwarten, bis die Fürstin den Operationssaal verlassen hatte, ehe sie mit Schloß Falkenau telefonierte.
Sie sprach gerade im Bereitschaftsraum mit Dr. Stanitz und dem Orthopäden, der die Brüche der Fürstin verarztet hatte.
Da erschien Fürst Gunter, den Mantel über dem Arm, erregt und bleich.
Beim Anblick von Sandra und Dr. Stanitz vereiste seine Miene.
Er wendete sich an den Orthopäden.
»Wie geht es meiner Mutter, der Fürstin von Falkenau?«
»Fürstin Claudias Zustand ist kritisch, aber sie ist außer Lebensgefahr«, antwortete Sandra an der Stelle des Angesprochenen. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Gunter. Mit größter Wahrscheinlichkeit wird sie keine bleibenden Schäden zurückbehalten.«
»Gott sei Dank«. Gunter atmete tief auf. »Kann ich sie sehen?«
»Jetzt nicht, sie liegt auf der Intensivstation und braucht absolute Ruhe«, schaltete Dr. Stanitz sich ein. »Am besten, Sie fahren nach Hause, Durchlaucht. Hier können Sie nichts ausrichten.«
»Das haben Sie mir nicht vorzuschreiben, wohin ich zu fahren habe!« brauste Gunter auf und stürmte hinaus.
Sandra blieb zurück.
Dr. Stanitz war aber nicht der Mann, der sich ein derart unhöfliches Abkanzeln gefallen ließ. Er lief Gunter hinterher und sprach ihn auf dem Korridor an.
»Auf ein Wort, Fürst Gunter. Was veranlaßt Sie eigentlich zu diesem rüden Benehmen mir gegenüber? Meines Wissens habe ich Ihnen nie etwas zuleide getan. Ohne Dr. Richters Hilfe am Unfallort wäre Ihre Mutter nicht mehr am Leben. Auch ich habe im OP-Saal einiges getan.«
»Es scheint Ihnen zu liegen, Leben zu spenden«, antwortete Gunter bissig. »Sie erwarten doch nicht etwa, daß ich mit Ihnen noch verkehre?«
»Ich verlange eine Erklärung«, forderte Dr. Stanitz. »Ihr Verhalten ist unmöglich!«
Sandra stand in der offenen Tür, Gunter und Dr. Stanitz konnten