Sophienlust Staffel 14 – Familienroman. Elisabeth SwobodaЧитать онлайн книгу.
»Irene! Bitte! Du darfst das Ganze nicht so tragisch nehmen.«
»Habe ich nicht allen Grund dazu? Du verschweigst mir das Vorhandensein eines Kindes … Wo ist übrigens Anselms Mutter?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Versuch mir nicht einzureden, dass du mit Anselms Mutter nichts zu tun hast.«
»Ich habe sie seit langem nicht mehr gesehen.«
»Seit wann?«
Otmar zögerte. Aber dann beschloss er, die Wahrheit zu sagen, denn er erkannte, dass er nichts mehr zu verlieren hatte.
»Ich war mit ihr in Tunesien.«
»Ach! Und mir hast du eingeredet, dass du im Urlaub allein sein müsstest, wenn du dich erholen sollst.«
»Schrei nicht so.«
»Darf ich nicht mehr schreien? Du betrügst mich ununterbrochen …«
»Nein, das habe ich nicht getan.«
»Nicht? Und deine häufigen Überstunden? Und die Kartenabende bei den Kollegen? Und die Fußballspiele am Wochenende? Ich bin überzeugt, dass das alles nur Ausreden waren, damit du mit dieser Frau beisammen sein konntest.«
»Es ist mir dabei nicht um Lauretta, sondern hauptsächlich um Anselm gegangen.«
»Spiel jetzt nicht den liebevollen Vater. Anselm ist schon seit Wochen in Sophienlust, ohne dass sich jemand um ihn gekümmert hätte. Wir alle haben gedacht, dass er gar keinen Vater besitzt. Warum hast du ihn nicht längst von dort weggeholt, oder ihn zumindest besucht?«
»Ich wusste doch nicht, wo Anselm war.«
»Und heute hast du es erfahren?«
»Ja. Irene, bitte, lass dir alles erklären. Es war reiner Zufall, dass ich heute nach Sophienlust fuhr. Das heißt, ich bin dir gefolgt.«
»Du bist mir gefolgt?«, wiederholte Irene verständnislos.
»Ja. Ich wollte wissen, wohin du immer fährst.«
»Du spionierst mir also nach?«
»Nenn es, wie du willst. Das ist doch jetzt Nebensache. Ich hatte keine Ahnung, wo Anselm war. Es hat mir einen ziemlichen Schock versetzt, als ich dich mit ihm zusammen erblickte. Das kannst du mir glauben.«
»Ich fürchte, ich bin etwas schwer von Begriff, denn ich komme da nicht ganz mit. Anselm hat mir oft von seinem Vati erzählt, nur habe ich geglaubt, dass das eine Phantasiegestalt sei. Aber aus seinen Erzählungen ging hervor, dass du oft bei ihm warst. Hast du denn nichts vom Tod seiner Großmutter gewusst?«
»Das schon. Als ich aus Tunesien zurückkam, wollte ich Anselm besuchen. Von einer Nachbarin erfuhr ich, dass die alte Frau Nissel plötzlich verstorben war. Was mit Anselm geschehen war, konnte sie mir jedoch nicht sagen.«
»Warum hast du nicht weiter nachgeforscht?«
»Versteh doch, ich wollte keinen Staub aufwirbeln. Niemand wusste, dass ich Anselms Vater bin.«
»Du hättest doch nur in dem Kosmetiksalon nachzufragen brauchen. Oder ist dir dessen Vorhandensein unbekannt?«
»Sei nicht zynisch. Natürlich weiß ich über Laurettas Kosmetiksalon Bescheid, aber ich war nie dort.«
»Warum nicht?«
»Lauretta wollte es nicht. Und ich auch nicht. Es hätte mich doch jemand sehen können. Womöglich wäre es zu Tratschgeschichten gekommen?«
»Wie schrecklich!«, warf Irene ironisch ein.
»Nun, ich habe Rücksicht auf meine Position zu nehmen.«
»Gar so großartig ist deine Position nicht«, stellte Irene kühl fest. »Und außerdem – wenn dir dein Ansehen so wichtig ist, warum hast du nicht Anselms Mutter geheiratet? Noch bevor Anselm zur Welt kam?«
»Lauretta wollte mich nicht heiraten. Und ich …, ich war enttäuscht von ihr.«
»Ich verstehe. Da hast du dann eben mich genommen. Als Lückenbüßer sozusagen.«
»Nein, Irene. Ich hatte mich in dich verliebt. Du warst so anders als Lauretta. Bei dir konnte ich mir vorstellen, dass wir ein schönes und zufriedenes Familienleben führen würden. Auf Anselm musste ich verzichten. Er trägt nicht einmal meinen Namen. Aber ich habe gehofft, dass wir beide Kinder haben würden.«
»Und ich habe deine Erwartungen enttäuscht.«
»Nein. Ich weiß jetzt, dass es falsch und ungerecht von mir war, dir wegen unserer Kinderlosigkeit Vorwürfe zu machen und ungeduldig zu sein, aber es war beinahe eine fixe Idee von mir. Ich wollte einen Ersatz für Anselm, den ich nicht immer bei mir haben konnte.«
»Du liebst Anselm also?«
»Natürlich. Ich war fast verrückt vor Sorge, als ich nicht wusste, wohin der Junge gebracht worden war. Aber ich wagte nicht, etwas zu unternehmen. Deshalb habe ich dem Hund gegenüber die Beherrschung verloren. Du hast Billie liebevoll umsorgt und ihn beinahe wie ein Kind behandelt, während ich nicht wusste, was mit Anselm geschehen war. Ich hielt deine Fürsorge um den Hund für Verschwendung und stellte mir vor, dass auch Anselm sie brauchen könnte.«
»Anselm hat eine Mutter. Es ist ihre Pflicht, sich um ihn zu kümmern, nicht die meine.«
»Ja«, gab Otmar zu.
»Wo steckt also deine Freundin Lauretta?«
»Ich nehme an, in Frankreich. Im Übrigen ist sie nicht meine Freundin.«
»Du lügst.«
»Nein, glaube mir doch. Zwischen Lauretta und mir ist alles aus. Wir haben uns nie richtig verstanden. Bitte, vertrau mir. Nur das eine Mal noch.«
»Nein. Vor vier Jahren habe ich dir vertraut. Und was ist daraus geworden? Wenn du mir früher von Anselm erzählt hättest, wäre alles in Ordnung. Aber es ist dir nicht nur um deinen Sohn gegangen, sondern auch um dessen Mutter. Auf sie wolltest du nicht verzichten.«
»Vergiss Lauretta. Ich gebe zu, sie verfügt über sehr viel Anziehungskraft …«
Das hätte Otmar lieber nicht aussprechen sollen, denn Irene unterbrach ihn sofort und erwiderte: »Eben. Es wird dir leichterfallen, mich aufzugeben als sie.«
»Irene! Bleib da. Was hast du vor?«
»Meine Koffer zu packen«, entgegnete sie knapp und schloss sich im Schlafzimmer ein, wo sie dann eine schlaflose Nacht verbrachte und viele Tränen vergoss.
*
Am nächsten Morgen, als Otmar das Haus verlassen hatte, um zur Sparkasse zu fahren, packte Irene dann wirklich ihre Sachen zusammen und verstaute sie in ihrem Auto.
Der Wagen war ein Geschenk von Otmar. Irene hätte ihn gern zurückgelassen. Da sie aber voraussah, dass sie ihn brauchen würde, verzichtete sie auf diese edle Geste.
Irenes Ersparnisse waren gering, deshalb musste sie sich bald eine Arbeit suchen. Sie beschloss, zuallererst nach Sophienlust zu fahren, da sie Schwester Regine noch eine Erklärung schuldig war. Insgeheim hoffte sie, dass Denise von Schoenecker anwesend und ihr vielleicht einen Rat hinsichtlich der nächsten notwendigen Schritte erteilen würde. Irene kam sich so hilflos vor wie ein kleines Kind. Niemals hatte sie damit gerechnet, dass ihr Leben eine derartige Wendung nehmen könnte.
Schwester Regine war schon zeitig in der Frühe mit den Kindern zu einem Ausflug aufgebrochen, um die letzten Ferientage der Kinder noch ausgiebig auszunutzen. Dafür war Denise in Sophienlust. Schwester Regine hatte ihr von dem gestrigen Vorfall berichtet, sodass sie über Irenes frühen Besuch nicht erstaunt war.
Irenes schlechtes Aussehen wäre auch einer weniger feinfühligen Frau als Denise von Schoenecker aufgefallen. Sie führte Irene in das Biedermeierzimmer, das Ruhe und Behaglichkeit ausstrahlte, und bat Irene, sich zu setzen. Behutsam fragte sie dann: »Was ist gestern Nachmittag geschehen?