Sophienlust Staffel 14 – Familienroman. Elisabeth SwobodaЧитать онлайн книгу.
Norbert Hellbach verblüfft fest. »Du lässt mich allein, obwohl du weißt, was das für mich bedeutet. Ich werde nicht mehr arbeiten können, werde mehr und mehr dem Alkohol verfallen. Wenn du mich jemals ein bisschen gerngehabt hättest, könnte dir das doch nicht gleichgültig sein.« Er stöhnte wie ein schwerverwundeter Mensch.
Inge zögerte einen Augenblick. Doch dann sah sie in Gedanken ihr Söhnchen vor sich und wusste wieder, wo ihr Platz war. »Du bist ein Mann, Norbert. Ein Mann, der Erfolg hat, der berühmt ist. Es wird dir leichtfallen, Ersatz für mich zu finden. Uwe ist ein hilfloses Kind. Er wird nie Mutterliebe kennenlernen, wenn ich sie ihm nicht gebe. Weißt du, was das bedeutet? Weißt du, was aus solchen Menschen wird?«
»Wenn du ganz auf Uwe verzichtest, werden sich sehr rasch Adoptiveltern finden lassen. Damit sind deine Argumente gegenstandslos.«
»Du verlangst Unmögliches von mir. Jede Mutter wird dir das bestätigen. Ich begreife nicht, wie du überhaupt so etwas erwägen kannst. Erinnerst du dich nicht mehr, dass du es warst, der sich das Kind gewünscht hat? Du hast mir Mut gemacht, es auf die Welt zu bringen. Du hast mich auch flehend gebeten, durchzuhalten, als die Beschwerden in den ersten Monaten der Schwangerschaft unerträglich waren.«
»Ich weiß. Es war ein Fehler.« Norbert ließ die Schultern hängen. »Aber warum lässt man mich ein Leben lang dafür büßen? Warum?«
»Alles wäre anders, wenn du deine Eifersucht begraben könntest. Mit Christian Gentsch verbindet mich nichts. Das war weder zuvor der Fall noch jetzt, nachdem ich ihn kenne.«
»Ich brauche nur das Kind anzusehen, um zu wissen, dass du lügst. Und wenn es bei uns lebt, bin ich gezwungen, es mehrmals täglich zu sehen. Nein, du kannst nicht erwarten, dass ich dabei ruhig bleibe.«
»Es gibt doch viele Familien, die ähnlich wie wir ein fremdes Kind aufziehen und trotzdem glücklich sind.«
Norbert schüttelte den Kopf. »Was gehen mich die anderen an? Ich will das Kind nicht, und damit basta!«
*
»Hast du mir etwas mitgebracht?« Uwe hatte den Studenten sofort wiedererkannt und lief ihm erfreut entgegen.
Diesmal befanden sich die Kinder außerhalb des Parks von Sophienlust. Schwester Regine war bei ihnen und zeigte ihnen gerade einen hübschen Reigen. Alle waren eifrig bei der Sache. Selbst die kleineren Kinder taten begeistert mit. Deshalb fiel es auch nicht auf, dass sich Uwe immer weiter von der Gruppe entfernte.
»Einen richtigen kleinen Rennwagen.« Christian zog eine kleine Schachtel aus der Tasche. Ein chromglänzendes Spielzeug prangte darin.
Uwe jauchzte vor Freude hellauf. Strahlend nahm er den bunten Karton mit der Klarsichtscheibe entgegen.
»Gefällt es dir?«
»Klasse!«, quietschte Uwe und war sichtlich stolz darauf, einen Ausdruck der Großen zu verwenden. Überhaupt eiferte er in allem den älteren Kindern nach. Besonders Nick war sein Vorbild.
»Er fährt fast so schnell wie ein richtiges Auto.« Es machte Christian viel Freude, seinen kleinen Sohn zu beobachten.
Mit etwas ungeschickten Fingerchen öffnete Uwe die Verpackung und nahm den roten Rennwagen heraus. Staunend betrachtete er das glänzende Ding von allen Seiten. »Schön!«, sagte er dann voll Überzeugung. »Danke!« Impulsiv schlang er beide Ärmchen um den Hals des Mannes, der neben ihm in die Hocke gegangen war.
Christian drückte das warme, weiche Körperchen zärtlich an sich und schloss für einen Augenblick die Augen. Mein Kind! Mein Sohn!, jubelte es in ihm. Er fühlte sich ungeheuer reich und glücklich. Ja, es lohnte sich, Opfer für die kleine Familie zu bringen. Nichts sollte ihm zu viel sein.
»In einigen Tagen wird deine Mutti aus der Klinik entlassen. Dann kommen wir und holen dich zu uns«, sagte Christian. Etwas bekümmert dachte er daran, dass er Inge telefonisch nicht hatte erreichen können. Sooft er auch die Nummer der Klinik gewählt hatte, sie war immer besetzt gewesen. Doch morgen wollte er ohnehin zurückfahren, um nach Inge zu sehen. Sie würde staunen, wenn sie erfahren würde, dass er Uwe inzwischen kennengelernt hatte, dass er sogar schon ein bisschen Freundschaft mit ihm geschlossen hatte.
Uwe war im Moment viel zu sehr mit seinem neuen Spielzeug beschäftigt, um auf Christians Worte zu hören. Er befreite sich energisch aus der Umarmung des jungen Mannes und ließ seinen Rennwagen auf dem sandigen Weg fahren.
Sofort war Christian bereit, sich an dem Spiel zu beteiligen. Er glättete die Bahn und schubste das kleine Fahrzeug immer wieder zu Uwe zurück.
»Du kannst aber fein spielen«, lobte Uwe und sah den jungen Mann mit leuchtenden Augen an. »Kommst du morgen wieder?«
»Vielleicht.«
»Bringst du mir dann wieder ein Auto mit?«
»Was magst du denn?«, erkundigte sich Christian amüsiert.
»Polizeiauto«, kreischte Uwe und deutete mit dem ausgestreckten Arm auf den Wagen, der eben unterhalb ihres Platzes auf der Straße hielt. Ein Mann in Uniform stieg aus und schaute grimmig zu ihnen herauf.
Christian Gentsch wusste sofort, dass man vom Heim aus die Polizei angerufen haben musste. Wahrscheinlich befürchtete man, es mit einem Sittlichkeitsverbrecher oder Entführer zu tun zu haben. Es war klar, dass er jetzt in einer unangenehmen Lage war. Wenn er auf der Polizeiwache seine Geschichte erzählte, würde ihm natürlich kein Mensch glauben. Und beweisen konnte er nichts. Da war es besser, sich sofort aus dem Staub zu machen. Denn wer würde einem Mann, der aussah wie ein Vagabund, glauben, dass er nichts Böses gewollt hatte? Christian Gentsch hatte Angst vor den endlosen Verhören, die folgen würden. Wahrscheinlich würde man ihn zunächst festhalten, um seine Lebensgewohnheiten zu überprüfen. Das würde einige Tage in Anspruch nehmen, Tage, in denen er sich nicht einmal mit Inge in Verbindung setzen konnte. Sie musste dann glauben, dass er sie vergessen habe. Und gerade jetzt brauchte sie ihn doch. Sie würde in den nächsten Tagen aus der Klinik entlassen werden und wusste nicht, wohin sie gehen sollte.
»Geh zu den anderen Kindern zurück.« Christian sah Uwe eindringlich an. »Ich muss jetzt weg. Warum, kann ich dir nicht erklären. Aber ich verspreche dir, dass ich zurückkomme. Irgendwann.«
»Morgen?« Uwe legte das Köpfchen schief. Er konnte nicht verstehen, weshalb es der nette junge Mann plötzlich so eilig hatte.
»Nicht ungeduldig sein, mein Schatz.« Christian beugte sich rasch hinunter und küsste Uwe laut und schallend auf die Wange. »Bis
bald!«
»Und vergiss das Polizeiauto nicht«, rief der Kleine dem Davoneilenden noch nach.
Jetzt sah auch Uwe den Polizisten, der keuchend den Abhang heraufkletterte. Hastig griff er nach seinem Spielzeug und trippelte langsam und vorsichtig den Weg zurück zu der Wiese, auf der Schwester Regine mit den Kindern noch immer den Reigen einstudierte, der für eine festliche Veranstaltung vorgesehen war.
Eine Weile sah Uwe den Größeren zu, dann wurde es ihm zu langweilig. Er lief zu seinen Lieblingen, den Pferden. Wie immer, wenn das Wetter gut war, befanden sie sich auf der Weide, einem großen, eingezäunten Gelände, das ihnen genug Bewegungsfreiheit ließ.
Uwe war schon oft mit Nick, Pünktchen und den anderen Kindern hierhergekommen. Er hatte den Pferden dann immer kleine Zuckerstückchen auf der flachen Hand reichen dürfen. Diesmal war er allein, doch er hatte nicht die geringste Angst.
Wie gewöhnlich kamen die Tiere zutraulich näher. Sie drängten sich am Gatter zusammen, streckten neugierig die Köpfe vor.
»Schaut einmal, was ich habe!« Uwe präsentierte ihnen das rote Rennauto. Doch die Pferde fanden keinen Gefallen an dem glänzenden Spielzeug. Gelangweilt wandten sie sich ab.
»Gefällt es euch nicht?« Uwe war ein bisschen enttäuscht. »Es kann ganz schnell sausen.« Er stellte das kleine Fahrzeug auf den unteren Balken des Gatters und gab ihm einen kräftigen Schubs.
Tatsächlich rollte das Spielzeugauto ein Stück vorwärts, doch dann purzelte