Chefarzt Dr. Norden Box 4 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
Druck auf dich ausübt. Würde er sonst von dir verlangen, wider besseren Wissens auf eine Operation seines Enkels zu verzichten und stattdessen eine zweifelhafte Spritzenkur durchzuführen? Bei einem anderen Arzt wäre er vielleicht weniger starrsinnig.«
Felicitas antwortete nicht sofort. Sie dachte an das Gefühl, das sie beschlich, wann immer sie mit ihrem ehemaligen Dozenten sprach. Die Erkenntnis tat weh.
»Ihr denkt also, ich bin nicht energisch genug?«, fragte sie.
»Du verschaffst dir nicht den Respekt, der dir zusteht«, korrigierte Dr. Weigand.
Fee blickte in ihre halbvolle Schachtel.
Goldgelbe Nudeln mit knackig buntem Gemüse lachten sie an. Trotzdem war ihr der Appetit vergangen.
»Ich muss los.« Sie schob ihr Essen zu Matthias hinüber und stand auf.
Gleich darauf fiel die Tür ins Schloss. Schwester Elena und der Notarzt blieben allein zurück. Eine Weile aßen sie schweigend.
»Findest du nicht, dass ihr ein bisschen mehr Autorität gut stehen würde?«
Elena schnitt eine Grimasse.
»Lass sie bitte so, wie sie ist. Einen zweiten Lammers braucht kein Mensch.«
»Warum müsst ihr Frauen eigentlich immer das letzte Wort haben?«, seufzte Matthias.
»Ganz einfach: Weil wir klüger sind!«
*
Mit Einbruch der Dunkelheit war es kühl geworden am kleinhesseloher See. Dr. Norden und seine Begleiterin hatten den Tisch auf der Terrasse mit einem im Lokal vertauscht.
Leiser Barjazz mischte sich mit den Stimmen der Besucher. Hier und da klapperte Besteck, klangen Gläser aneinander.
»Noch irgendeine Frage?« Mia Paulsen schob den Teller von sich und griff nach der Stoffserviette, um sich die Lippen zu betupfen.
Für gewöhnlich wer es nicht Daniels Art, während des Essens zu lesen. In diesem speziellen Fall tat er aber alles, um seiner Kollegin sein Desinteresse an jedem privaten Kontakt kundzutun. Mit der linken Hand schob er die letzte Gabel Fisch in den Mund. Mit der rechten blätterte er die letzte Seite der Akte um.
»Kommt es eigentlich öfter vor, dass Ihre Patientinnen unzufrieden mit den Ergebnissen Ihrer Arbeit sind?« Wenn er gedacht hatte, Mia mit dieser Frage aus der Reserve zu locken, hatte er sich geirrt. Wieder einmal.
»Enttäuschungen haben meist mehr mit den überzogenen Erwartungen der Patienten zu tun denn mit meinem Können.« Mia warf den Kopf in den Nacken und trank einen Schluck Champagner. »Manche Löcher in der Seele lassen sich eben auch nicht mit Silikon stopfen. Oder um bei Frau Sander zu bleiben: Manche Falten im Gemüt lassen sich nicht mit Hyaluronsäure auffüllen.«
»Freut mich, dass Sie Ihre eigene Zunft so differenziert sehen.«
Das Champagnerglas in der Hand lehnte sich Mia lächelnd zurück. Eine bekannte Melodie schwebte durch den Raum. Ihr Bein wippte im Takt dazu.
»Es existieren einfach zu viele Klischees in meinem Metier. Ich will aber nicht leugnen, dass an einigen etwas Wahres dran ist.«
»Tatsächlich?«
Mia lachte auf.
»Ich fahre einen schnellen Wagen, besitze eine Penthousewohnung über den Dächern von München und ein Haus in den Bergen. In meiner Freizeit spiele ich Golf und gebe mein Geld gern für teure Kleider und gutes Essen aus. Außerdem habe ich drei Ehen hinter mir.« Sie beugte sich so weit über den Tisch, dass Daniel winzige Falten entdeckte, in die der Lippenstift gekrochen war. »Auf Letzteres bin ich nicht stolz. Aber wer weiß«, ihre Stimme rutschte eine halbe Oktave tiefer. Sie sah ihm tief in die Augen. »Vielleicht gelingt mir das ja auch noch. Mit dem richtigen Mann …«
Das Ende des Satzes mischte sich mit dem Schluchzen eines Saxophons.
Daniel erwiderte ihren Blick.
»Dann wünsche ich Ihnen viel Glück bei der Suche.«
Mia Paulsen war nicht dumm. Sie verstand auch diese Abfuhr. Trotzdem wurde das Lächeln auf ihrem Gesicht tiefer.
»Sie gefallen mir. Wirklich. Sehr sogar.«
»Ich bin seit vielen Jahren glücklich verheiratet, meine liebe Frau Paulsen.« Mehr Klartext ging nicht.
Doch auch diesmal wirkte der Lotus-Effekt.
»Das denkt jeder, bis er etwas Besseres findet«, gurrte sie, beugte sich vor und drückte ihm einen Kuss auf den Mund.
Selbst wenn Daniel Norden nicht vor Empörung nach Luft geschnappt hätte, hätte er das Klicken des Auslösers nicht hören können. Zufrieden steckte Volker Lammers das Handy ein. In diesem Augenblick hatte er genug gesehen. Zwischendurch hatte er Zweifel gehabt. Aber nun hatte sich die lange Wartezeit doch gelohnt.
Auf seinem unbequemen Aussichtsposten draußen im Gebüsch war ihm das rechte Bein eingeschlafen. Er schüttelte es, bis er das Gefühl hatte, das eine ganze Armee Ameisen an seiner Wade hinaufkletterte. Doch diese Unannehmlichkeit nahm er gern in Kauf für die Beute, die er gemacht hatte. Ein amüsanter Abend stand bevor.
*
Nachdem Fee Norden die Kollegen verlassen hatte, beschloss sie, Lenni einen Besuch abzustatten. Sie brauchte dringend Ablenkung, um sich später noch einmal in Ruhe mit den gewonnenen Erkenntnissen auseinandersetzen zu können. Der Plan ging auf.
»Wo ist denn Ihre Augenbinde geblieben?«, fragte sie schon an der Tür. Schlagartig war jeder Gedanke an Dr. Steinhilber wie weggeblasen.
»Warum regen sie sich so auf?«, murrte Lenni mit geschlossenen Augen. Die Wortwahl war dieselbe wie immer. Nur ihr Ton hatte sich verändert. »Ich brauche so ein lästiges Ding nicht.«
Felicitas schloss die Tür hinter sich und atmete ein paar Mal ein und aus. Lenni hatte recht. Es gab keinen Grund, sich aufzuregen. Sie drückte ihr einen Kuss auf die Wange.
»Ich wusste ja gar nicht, dass Sie so eitel sind.«
»Ich bin nicht eitel.« Lenni wischte sich über die Wange. »Was tun Sie eigentlich um diese Uhrzeit noch hier? Wollen Sie mich kontrollieren, oder was?«
»Sicher ist sicher.« Sie wussten beiden, wie sie das meinte. Lennis Lächeln verriet sie.
Fee setzte sich auf die Bettkante. Ihr Blick fiel auf den Teebecher mit dem verblassten Bild und der abgestoßenen Kante auf dem Nachttisch, den Lenni von zu Hause mitgebracht hatte.
Ein Stück Heimat, das war ihr wichtig gewesen.
Schlagartig wurde es Fee warm ums Herz. Sie fühlte sich um Jahre zurückversetzt in eine Zeit, in der die Kinder noch klein gewesen waren. Eigentlich hatten sie alle zusammen Urlaub an der Nordsee machen wollen. Doch dann hatten die Norden-Kinder, damals noch weit entfernt vom Teenager-Alter, die Windpocken bekommen. Daniel und Fee dachten daran, den Urlaub abzusagen. Doch Lenni wollte nichts davon wissen.
»Raus mit Ihnen! Sonst kündige ich.«
Diesem Befehl verdankte das Ehepaar Norden einen der schönsten Urlaube seines Lebens. Gleich nach der Ankunft im Ferienhaus hatten sie sich auf den Weg gemacht, um die Gegend zu erkunden. Vorbei an Paaren in Strandkörben, an Fischbrötchenessern und Eistütenschleckern, an Drachensteigern und Kühltaschenbesitzern, die ganze Horden von Kindern versorgten. Ohne Zweifel liebten Fee und Daniel ihren Nachwuchs über alles. Doch die unverhoffte Auszeit brachte sie in den besonderen Genuss ungestörter Zweisamkeit. Freie Zeit lag vor ihnen wie das weite Meer, das sich bis zum Horizont und darüber hinaus vor ihnen ausbreitete. Sie gab ihnen Gelegenheit, in den Andenkenläden an der Uferpromenade zu stöbern. Postkarten, Muschelkästchen, Schlüsselanhänger und die kleinen bunten Plastikfotoapparate, durch deren Sucher man verschiedene Fotos des Urlaubsortes betrachten konnte, gab es dort zu kaufen. Draußen vor der Tür stand ein Ständer mit Teetassen mit geschwungenen Henkeln und allen möglichen Urlaubsszenarien als Dekor.
»Wollen wir für