Chefarzt Dr. Norden Box 4 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
ruhig blieb.
»Manche Frauen halten sich einfach für unwiderstehlich.« Sie schmiegte sich an ihren Mann.
»Und diejenigen, die es wirklich sind, lassen an sich herumspritzen und -schnippeln.«
»Glaubst du, du bekommst Andrea Sander wieder hin?«
»Ehrlich? Ich habe keine Ahnung.« Daniel ließ den Wein im Glas kreisen.
Eine Weile war es still im Zimmer. Schwer vorstellbar, dass sich die Menschen vor ein paar Wochen um diese Uhrzeit noch draußen getummelt hatten. Sie hatten gegrillt oder Feuer im Garten gemacht, sich unterhalten, gelacht und manchmal gesungen, um den Sommer und das Leben zu feiern. Nun zogen sich Natur und Mensch zurück, um sich auf die kühle Jahreszeit vorzubereiten. Doch nach dem Fest des Sommers war die herbstliche Stille durchaus erholsam und machte es einfacher, klare Gedanken zu fassen. »Woher weißt du das mit der Kollegin Paulsen überhaupt?«
»Ihr hattet einen Beobachter.«
In diesem Augenblick fiel Daniel die Begegnung vom frühen Abend ein.
»Oskar?«
Fee musterte ihren Mann überrascht.
»Was hat der denn damit zu tun?«
»Wie es der Zufall wollte, war er heute auch im Seehaus.«
»Allein?« Ihre Augen wurden schmal.
»Mit einer sehr aparten Frau. Allerdings machte er keinen sehr glücklichen Eindruck«, schob Daniel schnell hinterher.
»Wenn er so ausgesehen hat wie du auf Lammers’ Foto, dann brauchen wir uns keine Sorgen zu machen«, kicherte Fee. »Aber um deine Frage von vorhin zu beantworten: Oskar hat dich nicht verraten. Es war Lammers. Er hat ein Beweisfoto geschossen und offenbar schon die Lästerschwestern ins Boot geholt.«
»Jetzt verstehe ich.« Daniel erzählte seiner Frau, wie Josefa und Volker die Köpfe zusammengesteckt hatten. »Na, da habe ich ja einen Spießrutenlauf vor mir morgen.«
Felicitas trieben noch ganz andere Sorgen um. Der Verwaltungsdirektor Dieter Fuchs wäre alles andere als amüsiert über eine augenscheinliche Affäre des Klinikchefs. Doch für diesen Tag war es genug.
Sie drückte ihrem Mann einen Kuss auf die Wange, leerte ihr Glas und gähnte.
»Der Schreck hat mich ganz schön müde gemacht.« Seite an Seite stiegen sie die Treppe hinauf.
»Nicht, dass du denkst, du kannst dich jetzt zurücklehnen und unsere Beziehung einfach so laufen lassen.« Daniel zwinkerte ihr zu. »Ein bisschen Mühe will schon sein.«
»Wie gut, dass du mich daran erinnerst.« Felicitas blieb stehen und sah ihren Mann an. Selbst im Dämmerlicht sah er das Funkeln in ihren Augen. Das war noch nie ein gutes Zeichen gewesen. »Dann kannst du gleich den Anfang machen und mich hochtragen.« Sie schlang die Arme um seinen Hals und ließ sich fallen. Daniel stöhnte demonstrativ. Vergeblich. »Ein bisschen Mühe will schon sein«, wiederholte sie seine Worte. »Aber falls es dich tröstet: Du wirst es nicht bereuen.«
*
Der nächste Arbeitstag begann, wie der letzte geendet hatte. Mit Ärger.
»Sie wollen mich nicht operieren?« Andrea Sanders Stimme klingelte in den Ohren ihres Chefs.
Obwohl Dr. Norden mit dieser Reaktion gerechnet hatte, war er bis zuletzt guter Dinge gewesen. Voller Vertrauen hatte er auf die Wirkung selbsterfüllender Prophezeiung gesetzt. Er hatte fest daran geglaubt, dass seine positive Ausstrahlung Andreas’ Reaktion beeinflussen konnte. Leider half aller Optimismus nichts. Seine Hoffnung erfüllte sich nicht. Sie bebte am ganzen Körper, ihre Augen hinter der Sonnenbrille schwammen in Tränen. »Das können Sie mir doch nicht antun.«
»Von ›antun‹ kann keine Rede sein. Ganz im Gegenteil. Ich will Ihnen etwas ersparen«, versicherte er. »Der Auslöser Ihrer Beschwerden lässt sich nicht mit letzter Sicherheit bestimmen. Möglich, dass wir die Sache mit einer Operation noch schlimmer machen.«
»Welche Alternativen gibt es?«
»Eine Behandlung mit entzündungshemmenden Mitteln. Eine gesunde Lebensweise. Und viel, viel Geduld.« Daniel konnte sich vorstellen, wie dieser Vorschlag in Andreas Ohren klang.
Er sah ihr dabei zu, wie sie hinter dem Schreibtisch auf und ab ging. Plötzlich blieb sie stehen und sah ihn durch die dunklen Brillengläser an.
»Sie nehmen mich auf den Arm, nicht wahr?« Ihre Stimme zitterte.
»Leider nein.«
»Entschuldigen Sie mal! Heutzutage werden Herzen verpflanzt, Gesichter rekonstruiert und Menschen zurück ins Leben geholt. Und Sie wollen mir weismachen, dass Sie dieses Malheur nicht ausmerzen können?« Andrea nestelte ein Taschentuch aus der Packung auf dem Tisch und putzte sich die Nase. »Nein, Chef, das glaube ich Ihnen nicht. Ich will, dass Sie mich operieren. Am besten gleich heute.«
Daniel dachte an den Fall, von dem Fee ihm am vergangenen Abend erzählt hatte. Ein Mensch lehnte eine Therapie ab, die ein anderer unbedingt wollte. Was für eine verrückte Welt! Er seufzte tief und sah Andrea Sander an.
»Aber …«
»Kein aber!«
Gegen ihren Wunsch war er machtlos.
»Sind Sie sicher?«
»Absolut.«
Er nickte langsam.
»Also schön. Dann werde ich sehen, dass wir heute Nachmittag einen Operationssaal bekommen.«
»Gut.«
Der Stuhl seufzte, als Andrea sich auf das Polster fallen ließ. Sie hatte erreicht, was sie wollte. Trotzdem wirkte sie alles andere als glücklich.
»Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«, erkundigte sich Dr. Norden, eine steile Falte auf der Stirn.
»Sorgen Sie dafür, dass die Operation gelingt und ich wieder so aussehe wie vorher«, murmelte sie vor sich hin. »Sonst kann ich diesen Job hier vergessen.« Dr. Norden wollte eben wiedersprechen, als sie fortfuhr. »Ganz zu schweigen von einem neuen Partner.« Sie presste die Lippen aufeinander und starrte geradeaus zum Zeichen dafür, dass das Gespräch an dieser Stelle beendet war.
*
Die Schiebetüren öffneten sich, und eine Schwester schob den Rollstuhl mit Julius Steinhilber hinaus auf den Flur. Felicitas Norden folgte den beiden. Während der Krankentransport weiterzog, blieb sie kurz stehen. Sie nahm die blaue Haube vom Kopf und schüttelte das Haar. Welche Befreiung nach der beklemmenden Atmosphäre im Röntgenraum! Doch sie kam nicht dazu, dieses Gefühl länger als einen Atemzug lang zu genießen. Aus dem Schatten einer Pflanze trat Emil Steinhilber hervor und verstellte ihr den Weg.
»Und? Wie ist es gelaufen? Haben Sie alles richtig gemacht mit den Spritzen?«
»Dr. Steinhilber!« Fee zwang sich ein Lächeln auf die Lippen und machte sich wieder auf den Weg. Ihre Turnschuhe schmatzten leise auf dem PVC-Boden. Ganz anders die Ledersohlen ihre ehemaligen Dozenten. Ihr Klappern war hart, ein unangenehmes Geräusch. »Wenn Sie solche Zweifel an meinen Fähigkeiten haben, hätten Sie mich vorher fragen sollen, ob ich mein Metier beherrsche.«
Emil sah schnell zur Seite. Er räusperte sich.
»Und wie geht es jetzt weiter?«
Schon von Weitem sah Felicitas die Schwestern, die in einem kleinen Grüppchen zusammenstanden und tuschelten. Beim Anblick der Chefin der Pädiatrie verstummten sie. Fast so, als hätte jemand den Ton abgedreht. Fee sah ihre Ahnung bestätigt. Sie grüßte nickend und ging an ihnen vorbei.
»In den nächsten Wochen injiziere ich noch zwei Mal ein verdünntes Schmerzmittel unter Röntgenkontrolle direkt an den schmerzverursachenden Stellen.«
»Und was ist bis dahin?«
»Mehr kann ich für Julius im Augenblick nicht tun.« Sie machte vor dem Krankenzimmer des Jungen Halt.