Dr. Norden Bestseller Staffel 18 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
sie ihn an, und er legte seine Hände um ihr Gesicht.
»Es wäre schön, wenn du meine Frau werden würdest, Hedi«, sagte er weich. »Auch wenn wir uns erst seit so kurzer Zeit kennen. Ich habe das noch nie zu einer Frau gesagt.«
»Und ich habe noch nie einen Heiratsantrag bekommen«, flüsterte sie.
»Aber eine Tochter hast du bekommen«, sagte er, »und ich hoffe sehr, daß sie mich nicht ablehnen wird.«
»Du solltest erst wissen, wie ich zu dieser Tochter gekommen bin.« Ihre Stimme bebte. »Ich wollte das Kind nicht haben, und für den Mann war ich eine von vielen. Ich weiß jetzt nicht einmal mehr, ob ich wirklich verliebt in ihn war, ich weiß nur noch, daß ich ihn dann haßte und immer noch hasse, und daß ich ständig von der Angst bewegt war, daß Simone ähnlich werden könnte. Du sollst nicht so liebevoll zu mir sprechen, bevor du nicht alles weißt, Poldi. Ich habe alles Geld zusammengekratzt, um mich dieses Kindes zu entledigen, das ist die harte Wahrheit. Aber ich war zu feige, um zu einem Arzt zu gehen. Ich wollte mich umbringen und lief zum See. Da begegnete mir eine Frau. Es war eine Zigeunerin. Sie hatte ein kleines Kind bei sich, das vor Hunger schrie. Sie bat mich um etwas Geld. Sie bettelte nicht, sie bat mich flehend, um Nahrung für das Kind kaufen zu können. Ich wollte ihr alles Geld geben, das ich bei mir hatte, aber sie nahm es nicht. Sie sagte, daß ich nicht tun solle, was ich vorhabe. Ich würde eines Tages sehr glücklich sein mit meinem Kind und reich entschädigt werden für alles Leid. Sie nahm nicht mehr als zehn Mark an, und ich ging weiter. Aber ich ging nicht in den See, ich ging zu meinen Eltern. Sie wollten mit dem Kind nichts zu tun haben, aber sie gaben mir Geld, damit ich über die Zeit hinwegkommen konnte. Als ich das Kind dann im Arm hielt, konnte ich mich nicht mehr begreifen. Ich liebte dieses kleine Wesen sofort. Ich bekam dann auch eine Stellung und verdiente genug. Mit den Jahren wurde es immer besser, und Simone entwickelte sich so, wie ich es sehnlichst wünschte. Sie bedeutete mir alles, doch jetzt entgleitet sie mir, ich fühle es.«
»Sie ist erwachsen und muß ihren Weg allein gehen, Hedi«, sagte er sanft. »Und warum solltest du nun nicht mal an dich denken?«
»Jetzt werde ich wieder an diesen Mann erinnert«, sagte sie leise.
Er legte seinen Arm um sie. »Jetzt trägst du diese Last nicht mehr allein, Hedi« sagte er.
»Ich danke dir, Poldi«, flüsterte Hedi. »Du wendest dich nicht von mir ab.«
»Wie kann eine so tapfere Frau nur so etwas denken«, sagte er zärtlich. »Ich bin so glücklich, daß ich dich gefunden habe.« Er küßte sie auf die Wange, aber da legte sie spontan die Arme um seinen Hals und küßte ihn auf den Mund. Dann blickte sie zum Himmel. »Heute ist Vollmond, da kann man sich um Mitternacht etwas wünschen, wenn man von der Quelle trinkt, das hat mir Mario erzählt«, flüsterte sie.
»Ich kenne die Sage, aber wenn du bei mir bleibst, brauche ich mir nichts mehr zu wünschen«, erwiderte Poldi.
In dieser Nacht konnte Hedi deshalb nicht einschlafen, weil sie von Glück erfüllt war. So alt hatte sie werden müssen, um dieses zu erleben, und so jung fühlte sie sich nun, daß sie bereit war an Wunder zu glauben.
Auf leisen Sohlen schlich sie hinaus, als es zehn Minuten vor Mitternacht war. Hell war diese Nacht und still. Die Schatten der Bäume fielen auf die Wege, die Hedi traumverloren ging, und dann vernahm sie das leise Rauschen der Quelle.
Der heißeste Wunsch, der sie bewegte, war der, daß Simone genauso glücklich werden möge wie sie an diesem Tag geworden war, nachdem sich ein Abgrund vor ihr aufgetan hatte. Nun gab es einen Mann in ihrem Leben, dem sie vertraute, der ihr Zuversicht und Kraft gab – und Liebe. Ja, sie konnte an die Liebe glauben. Sie kniete bei der Quelle nieder und faltete die Hände, und so verharrte sie sekundenlang in andächtiger Versunkenheit. Dann fing sie das Wasser in ihren Händen auf und trank es. Mögest du glücklich werden, mein Kind, dachte sie, und möge Gott barmherzig sein und Alice auch den inneren Frieden schenken.
Langsam ging sie zurück, und als sie leise in Alices Zimmer trat, lag diese mit offenen Augen im Bett.
»Warum brennt Licht, Hedi?« fragte sie.
»Es ist Nacht, Alice.«
»Du bist angekleidet, und du kamst von draußen.«
»Es ist eine herrliche Nacht. Der Vollmond hat mich hinausgelockt«, erwiderte Hedi.
»Ich habe lange geschlafen. Jetzt bin ich munter, und du wirst müde sein.«
»Ich bin auch noch ziemlich munter. Hast du Hunger, Alice?«
»Nur Durst.«
»Ich werde frischen Tee aufbrühen.«
»Ich möchte nur ein Glas Wasser. Meine Kehle ist trocken. Ich möchte sprechen, meine Stimme hören, und ich möchte dir etwas erzählen, Hedi. Wirst du mir zuhören?«
»Selbstverständlich.« Sie reichte Alice das Wasserglas und schob ihre rechte Hand unter deren Nacken.
»Du bist ein guter Mensch, Hedi, ich habe das gleich gefühlt. War ich schon ungerecht zu dir?«
»Nein, warum fragst du das?«
»Weil ich oft ungerecht war. Damit erwirbt man keine Freunde.« Sie schloß die Augen. »Ich war erst fünfzehn Jahre, als ich den Glauben verlor, daß es auch gute Menschen gibt, und warum sollte ich dann gut sein, frage ich mich. Auf mich hörte sowieso niemand. Meine Mutter nicht, mein Vater auch nicht, und für meinen Bruder war ich nur eine dumme Gans. Er war sieben Jahre älter als ich und hat mich nie gemocht. Zuerst nannte er mich Schreihals, dann Kratzbürste und schließlich eben dumme Gans. Meine Mutter war gestorben, mein Vater hatte eine Geliebte.«
Alice lachte spöttisch auf, und Hedi rann es eiskalt über den Rücken, als Alice weitersprach. »Als seine Sekretärin kam sie ins Haus, und wenn Vater nicht da war, ging sie zu meinem Bruder. Aber eines Tages belauschte ich sie. Rex sagte, daß er alles erben würde, wenn sein Vater tot sei. Sein Vater – es war doch auch mein Vater. Ich will nicht alles sagen, Hedi. Es hat mich verändert. Ich bin zu meinem Vater gegangen und habe gesagt, was ich gehört habe. Ich habe ihm gesagt, daß Rex und diese Frau dauernd beisammen wären und er seine Tür abschließen würde. Vater hat Rex nach einem Streit aus dem Haus gejagt. Und dann hatte er einen Streit mit dieser Frau.« Sie machte eine Pause und sah Hedi forschend an. »Warum sagst du nichts, Hedi?«
»Ich höre zu«, erwiderte Hedi.
»Ich habe gesehen, wie Vater den Revolver in der Hand hatte und zu der Frau sagte, sie solle verschwinden, sonst würde er schießen. Sie hat gesagt, daß er ein Feigling sei und ein paar Schimpfworte gebraucht, und dann hat sie ihm den Revolver weggenommen und abgedrückt. Ich habe alles gesehen und war doch noch ein Kind. Und dann war Rex plötzlich da. Er wollte ihr den Revolver wegnehmen. Ich habe mich an ihn geklammert und ihm gesagt, daß man ihm dann die Schuld geben würde und daß sie das doch so wolle. Ja, das habe ich gesagt. Und dann ist er weggelaufen. Und ich konnte plötzlich nichts mehr sagen. Man hat mir Fragen gestellt. Ich brauchte nur zu nicken oder den Kopf zu schütteln. Man hat mich gefragt, ob ich gesehen habe, daß diese Frau auf Vater schoß, und ich habe genickt. Sie wurde vor Gericht gestellt, und als das Testament eröffnet wurde, erfuhr ich, daß Vater mich als Haupterbin eingesetzt hatte. Da kam Rex zurück, wollte mehr Geld haben. Ich war noch nicht mündig. Ich konnte ihm kein Geld geben. Ein Onkel gab ihm welches unter der Bedingung, daß er sich als Schauspieler nicht von Bergen nennen würde. Er hatte als Rex Borg Erfolg, und mich packte ein fanatischer Ehrgeiz, noch erfolgreicher zu werden als er. Ich wollte ihm beweisen, daß ich keine dumme Gans war. Ich war wohl doch eine, obgleich ich Erfolg hatte. Rex hatte wohl wegen einiger Affären Grund genug, sich abzusetzen. Mit den Produzenten hatte sich es wegen seiner Unzuverlässigkeit auch verdorben. Er wollte publik machen, daß wir Geschwister sind. Er drohte mir damit, wenn ich ihm nicht Geld aus dem Erbe geben würde. Er hatte sich das gut ausgedacht. Ich gab ihm Geld. Immer und immer wieder erpreßte er mich, über all die Jahre.«
»Und du hast gezahlt?« fragte Hedi.
»Ich war die Valborg und wollte es bleiben. Ich wollte nicht mit ihm in einem Atemzug genannt werden.