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Mörder-Quoten. Leo LukasЧитать онлайн книгу.

Mörder-Quoten - Leo Lukas


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verunglimpfen wollen: Nichts läge mir ferner! Habe schließlich auch schon das eine oder andere Mal die Dienste eines Seelenklempners in Anspruch genommen und häufig davon profitiert. Obwohl ich es bei therapeutischen Sitzungen immer wieder komisch finde, wenn ausgerechnet ich jemand dafür bezahle, dass er oder sie mir dabei zuhört, wie ich mein Innenleben ausbreite …

      Eben hatte ich das Buch mitten auf der edlen ledernen Schreibtischunterlage abgelegt und wandte mich zum Gehen, da öffnete sich, ganz leise quietschend, die Tür. Herein trat – nicht Gustav Guthmann. Sondern jemand, so durchschnittlich und unscheinbar, dass ich mehrfach blinzelte, um mich zu vergewissern, dass ich mich nicht getäuscht hatte und wirklich nicht mehr allein im Zimmer war.

      „Guten Tag“, sagte der Neuankömmling, mit einer Stimme, ebenso unauffällig wie seine gesamte Erscheinung. Sie klang keineswegs monoton, auch nicht flach oder zu leise, bloß … absolut eigenschaftslos. „Wir haben einen Termin. 11 Uhr 45, Raum zwei. Stimmt das?“

      „Ja, sicher. Äh. Klar“, stotterte ich. Gefasster fügte ich hinzu, weil mir nichts Geistreicheres einfiel: „Pünktlichkeit ist eine Zier, man sagt auch, die Höflichkeit der Könige.“

      Zu meiner Ehrenrettung sei vermerkt, dass mich die Begegnung auf dem falschen Fuß erwischte. Ich hatte mir Zutritt zu Gugus Zimmer verschafft, ohne die Empfangsdame zu informieren, und fühlte mich gewissermaßen ertappt.

      Gleichzeitig war das Merkwürdige an dem Fremden, dass eben nichts an ihm merk-würdig war. Blickte ich kurz weg, hatte ich ihn schon fast wieder vergessen. Es handelte sich wohl um eine Art Gabe, ein spezielles Talent, eine angeborene oder anerzogene Fähigkeit, wie sie mir noch nie untergekommen war. Die Gesellschaftsschichten, in denen ich mich gewöhnlich bewege, strotzen vor offensiven Selbstdarstellern. Die „Szene“ heißt so, weil alle immerzu ein Theater aufführen, vor den anderen, aber auch vor sich selbst. Alle geben etwas vor, niemand gibt etwas zu, schon gar keine Zweifel an der eigenen Wichtigkeit.

      Dieser Mann hingegen erweckte nicht im Mindesten den Eindruck, sich in den Vordergrund stellen zu wollen. Vielmehr hinterließ er gar keinen Eindruck. „Mir wurde versichert“, sagte er ruhig und sehr beherrscht, „dass Sie der Schweigepflicht unterliegen. Nichts, was hier geredet wird, verlässt diesen Raum. Richtig?“

      „Richtig.“ Ich räusperte mich und setzte zu einer Erklärung an.

      „Nichts wird aufgezeichnet?“ Er zog ein schlankes silbriges Kästchen aus der Hosentasche. Ein grünes Lämpchen leuchtete auf. „Keine Wanzen.“ Es war nicht als Frage formuliert.

      „Die Praxisgemeinschaft beschäftigt einen sehr guten Kammerjäger“, sagte ich.

      „Wieso?“

      „Gegen Ungeziefer. Kammerjäger – Wanzen. Sie verstehen?“

      „Ja. Sehr witzig.“ Als der Humor verteilt wurde, hatte der Typ sich definitiv nicht vorgedrängt. „Wir haben eine Dreiviertelstunde vereinbart. Keine Zeit für Floskeln. Darf ich gleich anfangen?“

      Das war der Moment, in dem ich spätestens hätte sagen sollen: „Pardon, Sie verwechseln mich. Ich bin kein Psychiater, nur ein zufälliger Besucher.“

      Stattdessen deutete ich schwungvoll auf den Stuhl links neben dem Schreibtisch. „Bitte, nehmen Sie Platz.“

      Ich meine, streng genommen hatte ich nicht gelogen, oder? Alle von mir getätigten Aussagen waren wahr gewesen. Vor allem aber faszinierte mich der „Mann ohne Eigenschaften“ mindestens im selben Ausmaß, wie er mir unheimlich war. Schon rein berufsbedingt musste ich ihn näher studieren, solange ich die Möglichkeit dazu hatte. Falls es mir gelang, seine seltsame, so kontrolliert unpersönliche Stimmgebung zu kopieren, konnte ich damit vielleicht einen eigentümlichen Charakter für ein Hörspiel kreieren.

      Kaum hatte er sich gesetzt, sagte er: „Mir ist etwas passiert, das ich kaum glauben kann. Ich möchte sichergehen, dass ich nicht unter Gedächtnisverlust oder Wahrnehmungsstörungen leide. Sie kennen sich doch damit aus?“

      Die zweite Chance, seinen Irrtum aufzuklären, erschien vor meinem geistigen Auge wie ein hübscher, vernünftig karierter Schmetterling, der ohne Hast, fröhlich mit den Flügeln winkend, an mir vorbeiflatterte. „Sicher“, sagte ich.

      „Gut. Sie müssen wissen“, sagte er, „ich bin ein Bravo. Das ist ein anderes, älteres Wort für Auftragskiller. Im Wiener Kunsthistorischen Museum gibt es sogar ein Gemälde von Tizian, das den Titel ‚Der Bravo‘ trägt. Es zeigt einen Meuchelmörder, der gerade den Dolch zückt.“

      „Ah ja.“

      Ich war erleichtert, fast schon wieder beruhigt. Offensichtlich handelte es sich bei meinem Gegenüber doch um einen harmlosen Verrückten. Schließlich befanden wir uns in einer psychiatrischen Ordination. Andere Patienten mochten sich für Jesus halten, für Napoleon oder Richard III. mitsamt seinem Pferd.

      „Sie stehen im Dienst der Mafia?“, fragte ich, um das Gespräch weiter anzukurbeln. „Oder eines anderen Verbrechersyndikats?“

      „Nein; beziehungsweise nicht dauerhaft. Ich bin selbstständig und arbeite strikt allein. Meine Auftraggeber kenne ich normalerweise gar nicht.“

      „Ah ja. Erzählen Sie mir doch bitte mehr!“ Insgeheim rieb ich mir die Hände. Einen derartig vielversprechenden Fund machte unsereins nicht oft.

      „Ich bin hier“, sagte er, „weil ich ausschließen möchte, dass mich meine Erinnerung trügt.“

      „Sehr vernünftig. Sie wissen, dass allgemein auf das menschliche Gedächtnis wenig Verlass ist?“

      Darüber hatte ich kürzlich gelesen. Die Details waren mir entfallen, aber ich fand, der Einwurf klang ungemein gescheit. Beinahe hätte ich zu einem Exkurs über den Rashomon-Effekt angesetzt, jenes nach Kurosawas Filmkunstwerk benannte Phänomen der selektiven Wahrnehmung; hielt mich dann aber doch im Zaum.

      „Ja“, sagte er. „Ich bin unsicher, ob ich einen Mord, den ich hätte ausführen sollen, tatsächlich begangen habe.“

      Ich spürte, dass sich mir die Nackenhaare aufstellten. Weidlich bemühte ich mich, das Gefühl zu ignorieren, ich würde in eine Sache hineingezogen, die mir alsbald über den Kopf wachsen könnte. „Unangenehm“, sagte ich, Verständnis vortäuschend. „Was bringt Sie zu dieser Vermutung?“

      „Das Ganze war überhaupt nicht mein Stil. Vielmehr im Endergebnis ein Pfusch, wie er mir niemals unterlaufen würde.“

      „Ah ja.“ Ich nickte, breitete aufmunternd die Arme aus. „Schildern Sie doch einfach, was Sie daran bedrückt.“

      Und das tat er.

       2

      Ins Haus zu kommen, ist keine Hexerei. Der Bravo hat einen Generalschlüssel, wie ihn sämtliche Wiener Zeitungsausträger besitzen. Als solcher ist er auch verkleidet, passend zur frühen Morgenstunde. Jedes Detail stimmt, bis hin zu den Verhältnissen in der dicken Umhängetasche: fünfmal Krone, zweimal Kurier, je einmal Presse und Falter.

      Seiner Recherche zufolge gibt es im Stiegenhaus keine Kameras. Trotzdem geht der Bravo auf Nummer sicher, prinzipiell. Er trägt eine hauchdünne Maske, die nur aus nächster Nähe als solche zu erkennen ist und die biometrische Aufzeichnung charakteristischer Gesichtsmerkmale verunmöglicht. Sein Bild findet sich in keiner polizeilichen oder sonstigen Datenbank. Er legt Wert darauf, dass das noch länger so bleibt.

      Auch für die Hintertür des Wettbüros benötigt der Bravo keinen Dietrich. Der Schlüssel, hat er herausgefunden, hängt in der gegenüberliegenden Gangtoilette an einem rostigen Nagel.

      Kann man deswegen der Zielperson sträflichen Leichtsinn vorwerfen? Nein. Pekarek, so heißt der Buchmacher, bewahrt zu keinem Zeitpunkt größere Bargeldbeträge in seinem Lokal auf. Falls er einmal, selten genug, höhere Gewinnsummen auszahlen muss, erledigt er das per Überweisung. Vermutlich wickelt er nebenbei auch illegale Wetten ab, wie viele seiner Branche. Aber


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