Das getupfte Band. Arthur Conan DoyleЧитать онлайн книгу.
Raum mit größter Genauigkeit.
»Wohin geht diese Klingel?« fragte er zuletzt und deutete dabei auf einen dicken Klingelzug, der neben dem Bett herabhing, so daß die Quaste auf dem Kissen ruhte.
»In das Zimmer der Haushälterin.«
»Sie scheint neuer zu sein als die übrige Einrichtung.«
»Ja, sie wurde erst vor ein paar Jahren angebracht.«
»Vermutlich auf Verlangen Ihrer Schwester?«
»Nein, soviel ich weiß, hat Julia sie nie benützt. Wir waren gewohnt, uns alles, was wir brauchten, selbst zu holen.«
»Nun, dann war es wahrhaftig recht überflüssig, einen so schönen Klingelzug anzubringen. Sie erlauben wohl, daß ich mich jetzt ein paar Minuten auf dem Boden umsehe.« Er legte sich mit der Lupe in der Hand nieder und kroch behende vor- und rückwärts, um jede Spalte zwischen den Dielen auf das genaueste zu untersuchen. Hierauf prüfte er die Holztäfelung des Zimmers ebenso sorgfältig. Zuletzt trat er an das Bett und betrachtete es längere Zeit, während er gleichzeitig den Blick an der Wand hinter demselben auf- und abgleiten ließ. Schließlich faßte er den Glockenzug und tat einen tüchtigen Ruck daran.
»Das ist ja nur eine Scheinklingel!« sagte er.
»Läutet sie nicht?«
»Nein, es ist nicht einmal ein Draht daran befestigt. Das ist höchst interessant. Sehen Sie nur, sie ist gerade über dem kleinen Luftloch an einem Haken festgemacht.«
»Wie seltsam! Das ist mir noch nie aufgefallen.«
»Höchst wunderlich!« murmelte Holmes, indem er nochmals an der Klingel zog. »Einiges in diesem Zimmer ist wirklich ganz merkwürdig. Zum Beispiel muß ja der Baumeister ein vollkommener Narr gewesen sein, daß er ein Luftloch ins Nebenzimmer gemacht hat, während es gerade so gut ins Freie hinausgehen konnte.«
»Es stammt ebenfalls erst aus neuerer Zeit«, bemerkte Fräulein Stoner.
»Es wurde wohl zugleich mit dem Glockenzug angebracht?«
»Ja, damals hat man verschiedene kleine Änderungen vorgenommen.«
»Die recht interessanter Art sind – Scheinklingeln und Luftlöcher, die keine frische Luft zuführen. Mit Ihrer Erlaubnis, Fräulein Stoner, wollen wir jetzt unsere Besichtigung in Dr. Roylotts Zimmer fortsetzen.«
Dieses war größer, aber ebenso einfach eingerichtet. Ein Feldbett, ein kleines Gestell mit Büchern, zumeist medizinischen Inhalts, ein Lehnstuhl neben dem Bett, ein einfacher Holzstuhl an der Wand, ein runder Tisch und ein großer eiserner Geldschrank fielen zunächst ins Auge. Holmes ging langsam durch das Zimmer und besichtigte ein Stück um das andere mit der schärfsten Aufmerksamkeit.
»Was ist hier drinnen?« fragte er, an den Eisenschrank klopfend.
»Meines Stiefvaters Geschäftspapiere.«
»So! – Sie haben also schon hineingesehen?«
»Nur ein einziges Mal, vor Jahren. Es war nichts darin als Papiere, soviel ich mich erinnere.«
»Ist nicht vielleicht eine Katze drinnen?«
»Eine Katze? Nein! Wie kommen Sie auf den sonderbaren Einfall?«
»Sehen Sie mal hierher!« Er nahm eine kleine Untertasse voll Milch von dem Schrank herunter, die oben gestanden hatte.
»Nein; wir halten keine Katze. Aber ein Leopard und ein Pavian sind im Hause.«
»Ja – so! Nun, ein Leopard ist ja eben nichts als eine große Katze, allerdings dürfte eine Untertasse voll Milch für seine Bedürfnisse nicht weit reichen. Nun möchte ich nur noch eines ergründen.« Damit kniete er vor den Holzstuhl hin und prüfte den Sitz mit größter Aufmerksamkeit.
»Danke. Das wäre also festgestellt«, sagte er, indem er aufstand und seine Lupe einsteckte. »Hallo! Da sehe ich noch etwas Interessantes!«
Der Gegenstand, der seinen Blick auf sich gezogen hatte, war eine kleine Hundepeitsche, die an der einen Ecke des Bettes hing und deren Schnur so zusammengeknüpft war, daß sie eine runde Schleife bildete.
»Was hältst du davon, Watson?«
»Das ist eine ganz gewöhnliche Hundepeitsche. Nur kann ich mir nicht denken, wozu die Schleife daran dienen soll.«
»Also ist sie doch nicht so ganz gewöhnlicher Art, nicht wahr? Ach ja, es ist eine schlechte Welt! Und am allerschlimmsten ist es, wenn ein fähiger Kopf seine Gaben zu verbrecherischen Gedanken gebraucht. – Ich glaube, ich habe jetzt genug gesehen, Fräulein Stoner; wir wollen jetzt wieder auf den Rasenplatz hinausgehen.«
Noch nie hatte ich meinen Freund mit so grimmiger Miene und so finster zusammengezogenen Brauen gesehen, als nun, da wir den Schauplatz der Untersuchung verließen. Mehrmals gingen wir auf dem Rasen auf und ab, aber weder ich noch Fräulein Stoner mochten ihn durch eine Frage in seinen Gedanken stören, bis er selbst sich dem tiefen Nachsinnen entriß.
»Es ist unbedingt nötig, Fräulein Stoner«, begann er endlich, »daß Sie meinem Rat in jeder Hinsicht strengstens Folge leisten.«
»Sie können sich darauf verlassen.«
»Der Fall ist zu ernst, um die geringste Unschlüssigkeit zu gestatten. Ihr Leben hängt möglicherweise von Ihrem unbedingten Gehorsam ab.«
»Ich verspreche Ihnen, daß ich alle Ihre Anweisungen genau befolgen werde.«
»Vor allem muß ich mit meinem Freund diese Nacht in Ihrem Zimmer verbringen.«
Ganz verwundert starrten wir ihn beide an.
»Jawohl, das muß sein. Sie sollen gleich das Nähere darüber hören. Das Haus dort drüben ist doch das Dorfwirtshaus?«
»Jawohl, das ist die ›Krone‹.«
»Sehr gut. Sieht man Ihre Fenster von dort aus?«
»Ja.«
»Wenn Ihr Stiefvater heimkommt, müssen Sie Kopfweh vorschützen und sich in Ihr Zimmer einschließen. Sobald Sie dann hören, daß er sich zur Ruhe begeben hat, öffnen Sie die Riegel am Fenster und den Laden, stellen ein Windlicht – so etwas werden Sie ja wohl im Hause haben – zum Zeichen für uns ans Fenster und ziehen sich dann in aller Stille nach Ihrem früheren Schlafzimmer zurück. Sie können sich doch sicher trotz der Bauarbeiten für eine Nacht darin einrichten.«
»O ja, ganz gut.«
»Das Weitere überlassen Sie uns.«
»Was haben Sie vor?«
»Wir werden die Nacht in Ihrem Zimmer verbringen, um dem Geräusch, das Sie so erschreckt hat, auf die Spur zu kommen.«
»Ich habe das Gefühl, Herr Holmes, als hätten Sie schon einen bestimmten Verdacht, als wüßten Sie mehr, als Sie mir zugeben wollen«, sagte Fräulein Stoner und legte ihm die Hand auf den Arm.
»Das kann wohl sein.«
»Dann sagen Sie mir ums Himmels willen, was an dem Tod meiner Schwester schuld war.«
»Ich möchte gern erst noch sichere Beweise haben.«
»Könnte ich nicht wenigstens erfahren, ob meine Ansicht zutrifft, daß sie an einem plötzlichen Schrecken gestorben ist.«
»Nein, das glaube ich nicht. Nach meiner Überzeugung lag wohl eine greifbare Ursache vor. Nun aber, Fräulein Stoner, müssen wir gehen; denn wenn Dr. Roylott zurückkäme und uns sähe, wäre unser ganzer Besuch umsonst gewesen. Leben Sie wohl und halten Sie sich tapfer; wenn Sie meinen Anweisungen pünktlich nachkommen, dürfen Sie versichert sein, daß wir Ihnen alle Gefahren bald aus dem Wege geräumt haben werden.«
Drüben in der »Krone« verschafften wir uns im oberen Stockwerk zwei Zimmer, deren Fenster gerade nach dem Parktor und dem bewohnten Flügel des Herrenhauses hinüberschauten. In der Dämmerung kam Dr. Roylott angefahren; seine Riesengestalt ragte hoch empor