Dr. Norden Box 10 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
können wir nur hoffen, dass wir jeden Tag eine Geiselnahme haben«, konnte Wendy schon wieder scherzen und nahm sich noch eine der leckeren, klebrigen Rosetten. Im Laufe der vielen Jahre, die sie nun schon in der Praxis Dr. Norden arbeitete, hatte sie zu viel erlebt, um sich nachhaltig aus der Ruhe bringen zu lassen. »Oder sagen wir mal jeden zweiten. Dann sollte Tatjana genug Zeit haben, damit sie auch in Zukunft so tolle Rezepte erfinden kann.«
Janine sah ihre Freundin und Kollegin entgeistert an.
»Deine Nerven möchte ich haben.«
»Kein Problem«, lächelte Wendy und tupfte mit der Fingerspitze die Krümel vom Teller, um nur ja kein Bröselchen verkommen zu lassen. »Du musst einfach nur weiter in dieser Praxis arbeiten. Dann bist du irgendwann genauso abgehärtet wie ich.«
»Ich werd mal drüber nachdenken«, versprach Janine und klappte die Patientenakte zu, die sie eben bearbeitet hatte. Eine Frage brannte ihr auf der Seele, und sie haderte mit sich, ob sie es wagen konnte, sie zu stellen.
Wendy bemerkte den Blick ihrer Kollegin und lächelte.
»Du willst mich fragen, wie es nach dem gestrigen Erlebnis mit Manfred weitergehen soll. Stimmt’s oder hab ich recht?«
»Kannst du Gedanken lesen?«, wunderte sich Janine.
»Leider nein. Sonst hätte ich Urs gestern hochkant rausgeworfen.« Als Wendy an den jungen Mann dachte, schüttelte sie den Kopf. »Und zwar, bevor er eine Dummheit machen konnte.« Sie nippte an ihrem Kaffee und gab sich einen Moment ihren Gedanken hin, ehe sie wieder zum Thema zurückkehrte. »Aber dich kenne ich wenigstens so gut, dass ich weiß, was dir auf der Seele brennt.«
Janine lachte und gönnte sich eine weitere karamellisierte Apfelrose.
»Und? Wie geht es jetzt mit Manfred weiter? Willst du ihn immer noch treffen?«
»Stell dir vor, das Schicksal hat mir diese schwere Entscheidung abgenommen.« Sichtlich zufrieden zog Wendy die prall gefüllte Unterschriftenmappe zu sich heran und stand auf, um sie den Chefs vorzulegen. »Gestern Abend lag ein Brief von ihm in meinem Briefkasten.«
»Lass mich raten«, platzte Janine aufgeregt heraus. Die nächste Patientenakte lag vor ihr. Doch Wendys Geständnis war so spannend, dass sie sich jetzt nicht auf ihre Arbeit konzentrieren konnte. »Er hat sich in eine andere Frau verliebt und will deshalb den Kontakt abbrechen.«
»Um Gottes willen, nein!«, lehnte Wendy sichtlich entsetzt ab. »Ich denke ja immer noch, dass man nicht alle Menschen über einen Kamm scheren darf, und finde ihn immer noch nett. Auf ein Treffen kann ich allerdings erstmal verzichten. Und das muss auch nicht sein.« Sie ging um den Tresen herum und machte sich auf den Weg in Danny Nordens Sprechzimmer. Schon hatte Janine Angst, noch länger im Ungewissen leben zu müssen, als sich Wendy noch einmal umdrehte. »Manfred hat mir geschrieben, dass er in ein anderes Gefängnis verlegt wird. Das ist so weit weg, dass ich ihn leider nicht besuchen kann. Eine Männerbekanntschaft mit Sicherheitsabstand also. Das ist die ideale Lösung!« Sie zwinkerte Janine zu und genoss das helle Lachen ihrer Freundin und Kollegin, das hinter ihr her durch den Flur hallte.
»Schön, dass Sie schon wieder lachen können«, freute sich auch Dr. Norden, der den Fröhlichkeitsausbruch schon vor der Praxis gehört hatte.
»Na, der Mann, der uns die Laune verderben kann, muss erst noch geboren werden«, verkündete Janine und wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel, ehe sie aufstand und ihrem Chef eine Tasse Kaffee holte.
*
Und auch Felicitas Norden hatte an diesem Vormittag allen Grund zur Freude. Schneller als erwartet zeigte die Therapie bei Kevin Trostmann eine erste Wirkung, und als Jenny Behnisch vierzehn Tage später von ihrer Vortragsreise zurückkehrte, war er längst als geheilt entlassen.
Staunend studierte die Klinikchefin den Bericht über die Dinge, die während ihrer Abwesenheit vorgefallen waren.
»Sieh mal einer an!« Kopfschüttelnd hob sie den Hörer, um ihre Assistentin anzurufen. »Bitte schicken Sie Mario, Fee und Dr. Lammers in mein Büro.«
Andrea Sander gab diesen Befehl mit der ihr eigenen Sachlichkeit weiter.
»Was glaubst du, was Jenny von uns will?«, fragte Fee, als sie eine halbe Stunde später mit ihrem Bruder den Flur hinab ging.
»Wahrscheinlich hat sich Lammers mal wieder über uns beschwert«, mutmaßte Mario Cornelius. Erst tags zuvor war er mit dem seit Tagen schlecht gelaunten Kollegen wegen des Ultraschallskalpells aneinander geraten. »Er findet, das alte Gerät ist noch gut genug, und will lieber eine neue Kamera für seine minimalinvasiven Spielchen«, machte er keinen Hehl aus seinem Ärger.
»Nur weil du dich in das Skalpell verliebt hast, heißt das noch lange nicht, dass eine neue Kamera nicht auch eine sinnvolle Anschaffung wäre«, schlug sich Fee jedoch zu seiner großen Überraschung auf die Seite des Feindes.
»Was ist denn mit dir los?«, fragte er argwöhnisch. »Ihr beiden werdet doch nicht etwa hinter einem Rücken ein Bündnis geschlossen haben?«
Diese Idee war dann doch zu absurd, und Fee musste herzlich lachen.
»Nein, so weit reicht die Liebe noch nicht. Und wird es nie tun«, gestand sie und wurde ernst. »Aber ich rechne es ihm hoch an, dass er mich bei Kevins Behandlung unterstützt hat.«
»Als er gesehen hat, wie gut deine Therapie anschlägt, ist ihm ja gar nichts anderes übrig geblieben«, wollte Mario diese Begründung jedoch nicht gelten lassen.
Fee schickte ihrem Bruder einen amüsierten Seitenblick.
»So unversöhnlich bist du doch sonst nicht«, sagte sie ihm auf den Kopf zu. »Am Ende geht es gar nicht um Lammers, sondern darum, dass du den Chefsessel wieder räumen musstest.«
»Hach, nein! Aber um meine einträgliche Einnahmequelle ist es schon schade«, grinste Mario und vergaß seine Ressentiments schnell wieder. »Nie war die Kaffeekasse so voll wie heute.«
»Und wann werden wir alle zu einer rauschenden Party in Tatjanas Café eingeladen?«, fragte Fee.
Sie machten vor Jennys Büro Halt und sah ihren Bruder an.
Bedauernd schüttelte Mario den Kopf.
»Da muss ich dich leider enttäuschen. Marianne und ich haben uns unterhalten. Urs’ Schicksal beschäftigt sie so sehr, dass sie mich gebeten hat, das Geld in ein Projekt für Suchtprävention zu stecken.«
Doch von Enttäuschung konnte keine Rede sein. Diese Idee war ganz in Fees Sinn, und sie nickte zufrieden, als sie ins Vorzimmer zu Andrea Sander traten.
»Die Chefin und Herr Lammers erwarten Sie schon!«, erklärte die Assistentin, und um ein Haar wäre Mario das Grinsen wieder vergangen.
Es war nur dem mahnenden Blick seiner Schwester zu verdanken, dass er ein freundliches Gesicht aufsetzte.
»Ah, da seid ihr ja!«, begrüßte Jenny die beiden Ärzte und bat sie zu Volker Lammers an den Tisch. »Es freut mich, dass ihr so schnell Zeit gefunden habt. Ich will euch gar nicht lange aufhalten.«
Andrea kam herein und versorgte die Kollegen mit Getränken, und erst, als sie die Tür wieder hinter sich geschlossen hatte, kam Jenny Behnisch zur Sache.
»Ihr habt während meiner Abwesenheit ja mal wieder nichts ausgelassen«, bemerkte sie mit vielsagendem Blick auf den Bericht, den Andrea Sander für sie verfasst hatte. »Gibt es eigentlich einen Grund, warum ihr euch die schwierigen Entscheidungen immer aufhebt, bis ich aus dem Haus bin?«
»Meine Idee war das nicht«, brummte Volker Lammers, der seit Fees Behandlungserfolg dauerhaft schlecht gelaunt war. »Und ehrlich gesagt bin ich froh, dass Sie endlich wieder da sind. Ich habe Ihnen ja schon von der Kamera erzählt…«
»War ja klar, dass Sie wieder damit anfangen«, fiel Mario Cornelius ihm ärgerlich ins Wort. »Das Ultraschallskalpell…«
»Schluss jetzt!«, sprach die Klinikchefin ein Machtwort. Sie