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Dr. Norden Box 10 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.

Dr. Norden Box 10 – Arztroman - Patricia Vandenberg


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sich endlich auf den Weg in sein Sprechzimmer, um mit der Behandlung seiner Patienten zu beginnen.

      *

      Als Felicitas Norden an diesem Spätnachmittag das Café ›Schöne Aussichten‹ betrat, hatte sie kaum Augen für Tatjana hinter dem Tresen. Auch die schwangere Mitarbeiterin Marla begrüßte sie geistesabwesend, während sie sich umsah.

      »So oft, wie du in letzter Zeit hier bist, bekommst du demnächst einen eigenen Stammtisch«, witzelte Tatjana, die herbeigekommen war, um die Mutter ihres Freundes zu umarmen.

      »Hmm, das wäre eine schöne Idee!« Felicitas schien ihr gar nicht richtig zugehört zu haben.

      Noch immer sondierten ihre Augen jeden Tisch in dem kleinen Café, als sie an einer Person hängen blieben. Der junge Mann saß in der hintersten Ecke und versteckte sich hinter der Speisekarte, die aber zu klein war für sein Gesicht. Obwohl es Jahre her war, erkannte Fee in den erwachsenen Zügen den kleinen Urs, mit dem sie damals im Sanatorium ihrer Eltern gespielt hatte.

      »Suchst du jemanden?«, fragte Tatjana, der Fees Konzentration nicht entgangen war.

      »Ich glaube, ich hab ihn gerade gefunden.«

      Tatjanas Blick folgte dem von Fee. Trotz ihrer Sehbehinderung wusste sie sofort, wer dort saß. Sie hatte den jungen Mann hereinkommen sehen und gleich gemerkt, wie unsicher sein Schritt, wie misstrauisch seine ganze Ausstrahlung war.

      »Kennst du den jungen Mann?«, fragte sie die Ärztin.

      »Kennen ist übertrieben«, erwiderte Fee, ohne den Blick von Urs wenden zu können. »Es ist viele Jahre her. Aber wegen ihm bin ich hier. Bringst du mir bitte zwei Milchkaffee?« Ohne eine weitere Erklärung machte sich Fee auf den Weg in den hinteren Teil des Cafés, vorbei an den unterschiedlichen Stühlen und Tischen, die Tatjana auf Flohmärkten gekauft und zum Teil eigenhändig restauriert hatte. Dazu passte der dunkle Holzboden, der im Kontrast stand zu der ungewöhnlichen, silberfarbenen Decke. Kissen mit kostbaren Bezügen aus Indien und die Glasvasen mit Blumen komplettierten die heimelige Einrichtung. Wirklich zu Hause fühlten sich die Gäste aber auch durch Marlas Bilder, die neben den Werken anderer Künstler die Wände schmückten.

      Doch auf all diese liebevollen Kleinigkeiten achtete Felicitas diesmal nicht. An diesem Nachmittag gehörte ihre Aufmerksamkeit allein Urs Hausen.

      »Du bist doch Urs, nicht wahr?«, fragte sie, als sie zu ihm an den Tisch trat.

      Als bemerke er sie erst jetzt, ließ der junge Mann die Karte sinken und sah die Ärztin an. Im nächsten Moment erkannte er sie. Seine Miene entspannte sich, und ein Lächeln huschte über seine Lippen.

      »Tante Fee!« Obwohl Urs längst erwachsen war, hatte seine Stimme etwas Kindliches, und auch seine Augen leuchteten wie die eines Kindes an Weihnachten, als er sie zur Begrüßung umarmte. Hinter ihrem Rücken hustete er.

      »Sag bitte nur Fee. Wenn du mich Tante nennst, fühl ich mich so alt«, lächelte Felicitas.

      Sie zog die Jacke aus, hängte sie über den Stuhl und setzte sich zu ihm, als Marla auch schon die Getränke servierte. Dabei stieß sie mit dem Tablett an den Tisch, und der Milchkaffee schwappte über.

      »Kannst du nicht aufpassen?« Urs Stimme knallte wie ein Peitschenhieb, und sowohl Marla als auch Fee erschraken.

      Als Urs die Wirkung bemerkte, sank er sofort in sich zusammen.

      »Tut mir leid«, entschuldigte er sich und schickte Marla ein Bubenlächeln, das nicht so recht zu dem Männergesicht passen wollte. »Ich bin ein bisschen nervös. Man trifft ja nicht alle Tage seine Kinderliebe.« Er sah Fee an, hielt die Hand vor den Mund und hustete.

      »Schon gut. Danke, Marla.« Felicitas war gerührt. Sie nickte der jungen Bäckerin zu, die sichtlich erleichtert den Rückzug antrat. »Hast du dich erkältet?«, wandte sie sich dann an ihr Gegenüber. Die Sorge in ihren Augen war offensichtlich.

      »Keine Ahnung. Diesen Husten hab ich mir irgendwann im Knast … ähm, im Gefängnis eingefangen«, korrigierte sich Urs schnell. »Bitte entschuldige meine Ausdrucksweise. Aber das ist so ungefähr das erste, was man im Gefängnis lernt. Und wehe, man passt sich nicht an.«

      »Hat sich das der Arzt nicht angeschaut?« Fee ging gar nicht auf seine Bemerkung ein. Sie war nervös, wusste nicht recht, was sie bei diesem Treffen erwartete. »Es gibt doch auch in diesen Anstalten so was wie Arztpraxen, nicht wahr?«

      »Klar.« Urs schaufelte den Milchschaum von seinem Kaffee und steckte den Löffel in den Mund. »Aber der Typ da hat mir nur irgendeinen Sirup verschrieben, der nicht geholfen hat.«

      Während er sprach, fiel Fee eine Zeitungsmeldung ein, die vor einigen Monaten die Runde gemacht hatte. Eine ganze Reihe Gefängnisinsassen hatten sich mit TBC infiziert.

      »Hat das mal jemand auf Tuberkulose untersucht?«, erkundigte sie sich.

      Urs schüttelte den Kopf.

      »So viel Mühe geben die sich da drin nicht mit uns.«

      Diese Worte wagte Fee zu bezweifeln, drang aber nicht weiter in ihn. Sie würde Daniel bitten, ihn im Rahmen seiner Sprechstunde zu untersuchen. Als dieser Entschluss gefasst war, konnte sie sich auf die Fragen konzentrieren, die sie sich zurecht gelegt hatte. Sie trank einen Schluck von ihrem Kaffee und sah Urs an.

      »Ich habe gestern mit deiner Mutter telefoniert. Sie hat mir erzählt, was passiert ist.«

      »Ich weiß.« Urs lächelte. Er schien sich wesentlich wohler zu fühlen als seine Verwandte. »Ich hab sie ja schließlich gefragt, ob sie Kontakt zu dir aufnehmen kann.«

      Diese Mitteilung überraschte Fee.

      »Tatsächlich? Warum?«, entfuhr es ihr.

      Urs zuckte mit den Schultern.

      »Ach, weißt du, im Knast hat man viel Zeit nachzudenken. Das ist eigentlich ganz gut.« Wie um seine Worte zu bestätigen, nickte er. »Da hab ich mich auch an die Ferien auf der Roseninsel erinnert und daran, wie lieb du damals zu mir warst. Ich war richtig traurig, als ich heimfahren musste.«

      »Ich weiß. Daran musste ich gestern auch denken.« Fee schluckte die Rührung herunter. Auf keinen Fall wollte sie sich zu viel Blöße geben. »Trotzdem habe ich gezögert, der Bitte deiner Mutter nachzukommen.«

      »Kann ich ja verstehen.« Urs’ Einsicht war erstaunlich. »Immerhin hab ich Drogen genommen und ein paar krumme Dinger gedreht. Aber die Zeiten sind ein für alle Mal vorbei, ich schwör’s!« Die linke Hand auf dem Herzen, hob er die rechte Hand hoch und reckte Daumen, Zeige- und Mittelfinger in die Luft zum Zeichen, dass es ihm ernst war.

      »Und woher soll ich das wissen?« Die Ärztin machte keinen Hehl aus ihrem Misstrauen.

      Urs lehnte sich zurück und streckte die Beine aus. Dabei ließ er Fee nicht aus den Augen.

      »Hätte ich sonst Freigang und einen Job bekommen?«, stellte er eine berechtigte Frage, wartete aber nicht auf eine Antwort. »Am Anfang hab ich noch gedacht, ich bin der Größte. Dass alle anderen Versager sind. Aber dann hab ich kapiert, dass das ja gar nicht stimmt. Von dem Tag an ist alles anders geworden. Ich hab mit den Drogen aufgehört und mich vorbildlich benommen. Du kannst meine Wärter fragen.« Wieder hustete er, und Fee runzelte die Stirn.

      »Was macht man so den ganzen Tag im Gefängnis?«, erkundigte sie sich.

      Urs räusperte sich.

      »Ich habe in der Schlosserei gearbeitet. Hat voll viel Spaß gemacht, und deshalb hab ich auch den Job draußen bekommen. Den Rest der Zeit war ich im Fitnessraum beim Sport. Irgendwie muss man sich ja bewegen, sonst wird man verrückt.«

      Das, was Urs von sich gab, klang sehr vernünftig in Fee Nordens Ohren. Und doch war da ein kleiner Rest Misstrauen. Seine aggressive Reaktion, als Marla das Missgeschick passiert war, lag ihr im Magen.

      »Ich hätte es ja besser gefunden, wenn du in die Schule gegangen und deinen Abschluss nachgeholt hättest«, versuchte Fee absichtlich, ihn ein


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