Toni der Hüttenwirt Paket 2 – Heimatroman. Friederike von BuchnerЧитать онлайн книгу.
ich vermisse bei Pascal etwas. Ich dachte, so etwas gibt es nicht. Doch jetzt weiß ich, mein Gefühl und meine Sehnsucht danach haben mich nicht getäuscht.«
Karoline trank einen Schluck Kaffee.
»Meta, sag mal! Du mußt es doch wissen! Ich muß dich fragen, weil ich sonst niemanden fragen kann. Damit meine ich zum Beispiel meine Mutter! Gibt es so etwas wie die Liebe auf den ersten Blick? Ein junger Mann sieht eine junge Frau und die junge Frau schaut den jungen Mann an.
Ein kurzer Blick genügt. Ein Blickkontakt im Vorübergehen, zum Beispiel auf der Straße, an der Ampel… sehen und dann spüren, daß… Jedenfalls ist danach alles anders.«
Meta lächelte Karoline an.
»Mei, Madl! Des hast schon richtig erkannt. Des ist dann Liebe, denk’ ich. Willst mir damit sagen, daß des mit deinem Pascal net so ist? Es niemals so war, oder?«
»Nein! Mit Pascal war es niemals so. Ich vermißte etwas, ohne daß ich genau sagen konnte, was es war. Ich weiß nur, tief in meinem Herzen war eine Sehnsucht. Ich wartete auf etwas. Ich suchte nach etwas. Ich konnte es nicht genau benennen. Aber jetzt habe ich da jemanden gesehen… Jetzt bin ich mir sicher, daß es mit mir und dem Pascal nicht so ist, wie es sein soll. Damit will ich gegen Pascal nichts Schlechtes sagen. Nur… es tut nicht prickeln! Ich habe keine Herzklopfen in seiner Nähe. Genaugenommen…«
Karoline schaute in ihren Kaffee.
»Genaugenommen sehne ich mich nicht nach Pascal. Ist das schlimm? Ist es vermessen, wenn ich mehr will als ein geordnetes Zusammensein, kultiviert, geplant und ausgewogen? Fast bin ich geneigt zu fragen, ob es eine Sünde ist, mehr zu wollen. Alle daheim versuchen, mir ein schlechtes Gewissen zu machen.«
»Naa, Madl! Des ist net schlimm. Es muß prickeln. Des Herz muß dir klopfen, daß du denkst, gleich platzt des Mieder. Des Blut muß dir die Wangen rot färben. Jede Minute, die du net bei deinem Liebsten bist, muß dir unerträglich erscheinen. Dann ist es Liebe, die wahre, die einzige Liebe! Die wirklich große Liebe! Ist es so bei deinem Pascal?«
Karoline schüttelte den Kopf.
»So ist es auf keinen Fall! So war es noch nie!« seufzte Karoline tief.
»Mei, mein liebes Madl, des ist aber net schön! Da hast mein ganzes Mitleid.«
Meta Baumberger sah Karoline an.
»Willst deshalb am liebsten für immer in Waldkogel bleiben?«
»O ja, das wäre ein Traum. Hier fühle ich mich so frei. Es kommt mir vor, als wäre alles heiter und sonnig, sogar mitten in der Nacht oder im Regen. Ich bin hier so glücklich. Alles kommt mir so einfach, so ehrlich vor.«
Meta Baumberger lächelte gütig.
»Madl! Madl! Wir haben den ›Engelssteig‹ und des ›Höllentor‹. Was ich damit sagen will, des ist, daß jeder hier auch schon mal Kummer und Leid erfahren mußte. Des gibt es net im Jahresablauf und net im
Leben: dreihundertfünfundsechzig Tage Sonnenschein. Dann würde nix wachsen und nix gedeihen. Der Regen und der Schnee, die Kälte, des wird auch gebraucht. Um so mehr freut sich jeder, wenn die Sonne wieder scheint. Doch in einer Beziehung, da stimme ich dir zu: Die Leut’ hier in unserem schönen Waldkogel, die tragen die Sonne im Herzen mit sich, jeden Tag, jede Stunde. Damit auch in die dunkelsten Stunden ein Sonnenstrahl fallen kann.«
»Das hast du schön gesagt, Meta! Das ist es doch, warum ich hier so glücklich bin.«
Meta schob den Topf wieder auf die Flamme. Sie rührte den Eintopf um.
»So, dann hast schon einmal einem jungen Burschen in die Augen geschaut, so direkt, daß dir war, als hüpfe dein Herz. Und dieser Bursche, des ist aber net der Pascal. Jetzt hast etwas zum Nachdenken, richtig?«
»Genau so!«
»Dann erzähle mir von ihm.«
»Das ist es doch! Ich weiß nichts. Nur, daß er gut aussieht, wundervolles blondes Haar hat. Braungebrannt ist er, nicht so wie der Pascal, der immer ins Sonnenstudio rennt. Nein, der junge Mann ist richtig braun. Wunderbare Augen hat er und breite Schultern. Mehr weiß ich nicht. Ich kenne seinen Namen nicht und habe nicht mit ihm gesprochen. Ich weiß nicht, wo er wohnt, was er tut. Wie kann ich ihn nur finden? Weißt, ich bin ihm vorhin auf dem Weg hierher vor der Kirche begegnet. Meta, das muß doch etwas bedeuten, glaubst du nicht auch?«
Meta Baumberger überlegte. Es gab einige junge hellblonde Burschen in Waldkogel.
»Ich denke nicht, daß er aus Waldkogel ist, Meta!« erzählte Karoline weiter. »Da hätte ich ihn schon einmal gesehen. Zum Beispiel im letzten Jahr auf der Kirchweih. So ein Mann wäre mir aufgefallen. Wenn er Tourist ist, dann finde ich ihn nie wieder.«
»Des heißt, du willst ihn suchen?«
»Ja, warum nicht? Ich bin auch zu blöd, Meta! Ich bin weggelaufen. Ich war so überwältigt, daß ich davongerannt bin. Ich habe mich in der Kirche versteckt.«
»Mei, Madl! Dich hat es ja ganz schön erwischt. Du bist in den unbekannten Burschen verliebt. Ja mei, was kann man denn da machen?«
Meta Baumberger dachte nach. Im Augenblick fiel ihr nichts ein. So versuchte sie Karoline zu trösten.
»Wenn die Liebe euch zusammenführen will, dann tut sie des! Wenn net, dann hast jetzt einen Vorgeschmack auf die wirkliche Liebe bekommen. Jetzt mußt du nur entscheiden. Da gibt’s Fragen, die du dir stellen mußt und auch beantworten: Tust du den Pascal vergessen? Willst du auf die Liebe, die richtige Liebe warten? Oder bist du mit dem zufrieden, was du hast, Madl?«
»Ja, Meta! Nur, im Augenblick weiß ich nichts mehr. Ich wünsche ihn nur wiederzusehen! Es dreht sich alles in meinem Kopf. Mein Herz schlägt wie nach einem Marathonlauf oder noch schlimmer, verstehst?«
»Dann bist du verliebt! So viel steht fest! Also, dann mache ich dir einen Vorschlag: Bleibe doch einige Tage hier bei uns. Geh spazieren! Vielleicht siehst du ihn ja noch einmal.«
»Das ist eine gute Idee, Meta! Dir fällt nicht ein, wer es sein könnte?«
Meta Baumberger schmunzelte und schüttelte den Kopf.
»Naa, Madl! Mir fällt nix ein! Aber ich sage dir jetzt etwas. Jetzt tust erst mal schön essen, dann machst du einen schönen Spaziergang. Ich werde mal genau darüber nachdenken und auch mit meinem Xaver darüber
reden. Vielleicht fällt ihm jemand ein.«
Meta Baumberger holte einen Suppenteller und gab Karoline eine Portion von dem Gemüseeintopf mit Hühnerstückchen. Erst beim Essen bemerkte Karoline, wie hungrig sie war.
Nachdem Karoline ihren Rucksack nach oben gebracht hatte, machte sie sich etwas frisch. Dann ging sie spazieren.
Sie lief zum Bergsee und setzte sich ans Ufer.
Die Sonne versank langsam hinter den Bergen. Die Gipfel leuchteten rosa bis glutrot und spiegelten sich auf der Wasseroberfläche des Berg-sees.
Es ist hier wie im Paradies, dachte Karoline. Und der Mann, der mir gefällt, den habe ich heute auch noch gesehen.
Karoline schaute hinauf zum Gipfel des »Engelssteigs« und redete stumm mit den Himmelsboten.
Hört ihr Engel dort oben, ich bin wieder in Waldkogel, ich bin es, die Karoline. Nächste Woche klettere ich rauf zu euch auf den Gipfel. Jetzt will ich erst mal versuchen, den jungen Mann zu finden – also den Burschen, wie man hier in den Bergen sagen tut. Ihr kennt ihn. Könnt ihr ihn mir nicht noch einmal über den Weg schicken? Er ist so wunderbar. Er ist so ganz anders als Pascal! Danke, daß ihr ihn mir gezeigt habt. Aber das genügt mir nicht. Ich will ihn haben, wenn er noch frei ist. Und das ist er doch, oder? Also, ihr Engel dort oben, ich habe so ein wunderbares Gefühl in meinem Herzen, wenn ich an ihn denke. Bitte, bitte laßt mich ihn wiederfinden.
Die Sonne versank ganz hinter den Bergen. Die Nacht schob sich westwärts über das Tal. Der Vollmond stand inmitten des Sternenhimmels.