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Hure spielen. Die Arbeit der Sexarbeit. Melissa Gira GrantЧитать онлайн книгу.

Hure spielen. Die Arbeit der Sexarbeit - Melissa Gira Grant


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dass das NUR FÜR FRAUEN ein Problem sei. Das erklärt ebenfalls, warum wir noch immer überzeugt sind, dass Männer ohne Probleme herumvögeln, schließlich haben sie dabei nichts zu verlieren, während Frauen Sex und Liebe nicht auseinanderhalten können – bis auf die irritierenden Sexarbeiterinnen, versteht sich. Kein Wunder, dass Huren lange als gefährliche, die Stabilität der Gesellschaft gefährdende Wesen galten.

      Im 19. Jahrhundert wurden Prostituierte als Ansteckungsherde betrachtet, denen die Verbreitung sexuell übertragbarer Krankheiten nahezu im Alleingang zugeschrieben wurde. Frauenrechtlerinnen kämpften gegen die diversen Hygienegesetze10, indem sie die Verantwortung den Männern zuwiesen, die mit Prostituierten Geschlechtsverkehr hatten. So hielt die Prostituierte als Opfer (der männlichen Lüsternheit) Einzug in die Rhetorik. Entsetzt von den dramatischen Arbeitsbedingungen in den Elendsvierteln setzten sich Abolitionist_innen wie beispielsweise Josephine Butler darüber hinaus für die komplette Abschaffung der Prostitution ein.

      Der Begriff Abolitionist_in ist nicht zufällig eine Anlehnung an den Abolitionismus – also die Abschaffung der Sklaverei –, mit dem die (amerikanische) Frauenbewegung zu Beginn eng assoziiert war. Doch die gezielte Propaganda, dass schwarze Männer weiße Frauen vergewaltigen würden, womit die Lynchmorde gerechtfertigt wurden11, sorgte dafür, dass ein großer Teil der Abolitionistinnen ihre Energie stattdessen auf die Prostitution richteten und darauf, die Reinheit der (weißen) Frauen zu schützen.12 Mädchenhandel wurde als »white slavery«, also weiße Sklaverei, bezeichnet und mit Bildern händeringender blonder Mädchen illustriert, die von lüsternen schwarzen oder braunen Männern entführt wurden, um in irgendwelchen Harems als Sexsklavinnen zu dienen. Die Angst um die 600 000 Mädchen, die jährlich verkauft würden – eine ähnlich fiktive Zahl wie die 40 000 WM-Menschenhandelsopfer –, führte zur Gründung einer neuen Behörde in den USA, die die Bordelle kontrollierte, um weiße Sexsklavinnen zu finden: das Federal Bureau of Investigation, oder kürzer FBI.

      Ab 1904 gab es internationale Abkommen gegen »weiße Sklaverei« mit dem Ziel, alleinstehende Frauen – am besten gleich in ihren Heimatländern – von der Einwanderung in die USA abzuhalten.13 Darin unterscheidet sich der Mädchenhandelsdiskurs damals kaum von dem Menschenhandelsdiskurs heute, bei dem es ebenfalls um die Regulierung von Migration geht und rassistische Stereotype – wie die ungebildete, migrantische Opfer-Frau versus den kriminellen, migrantischen Täter-Mann – fortgeschrieben werden.14 Für »white slavery« ist inzwischen belegt, dass sie nicht annähernd so verbreitet war wie allgemein vermutet. Historiker_innen bezeichnen sie nicht nur deshalb als »moralische Panik«.15

      Die Gleichsetzung von Menschenhandel mit Prostitution ist bedenklich. Menschenhandel betrifft weder ausschließlich noch hauptsächlich Prostitution, doch wird über diejenigen Opfer von Menschenhandel, die auf dem Bau oder in der Landwirtschaft placken, unverhältnismäßig weniger berichtet. Dafür wird über Prostitution zunehmend in einem Atemzug mit Menschenhandel gesprochen. So erklärte die EMMA in ihrem »Appell gegen Prostitution«, dass Deutschland seit der Veränderung des Prostitutionsgesetzes 2002 »zu Europas Drehscheibe für Frauenhandel«16 geworden sei. Dabei gibt es keine Zahlen, die belegen, dass die Legalisierung der Prostitution Menschenhandel begünstigt, wohl aber Studien, die zeigen – soweit man das in diesem deregulierten Bereich überhaupt kann –, dass es in Ländern mit restriktiveren Gesetzen, wie dem gerne als Vorbild hochgehaltenen Schweden, keine signifikanten Unterschiede zu Deutschland gibt (0,8 Opfer von Menschenhandel zum Zweck der Prostitution pro 100 000 Einwohner in beiden Ländern im Jahre 2010).17 Was seit der Gesetzesnovelle jedoch durchaus zugenommen hat, ist die mediale Berichterstattung über Menschenhandel, oder anders ausgedrückt: der gefühlte Menschenhandel.

      Das »Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten« vom 1.1.2002 ist eines der liberalsten weltweit. Seitdem ist Prostitution bei uns nicht mehr sittenwidrig. Die Schaffung von guten Arbeitsbedingungen und die Ausgabe von Kondomen sind nicht mehr als »Förderung der Prostitution« strafbar. Sexarbeiter_innen können sich kranken- und sozialversichern (Steuern bezahlen mussten sie immer schon, so sittenwidrig war Prostitution dann doch nicht), und sie können klagen, wenn sie ihr Geld nicht bekommen. Verbessert hat sich dadurch die Situation der Sexarbeiter_innen und nicht die derjenigen, die sie ausbeuten. Der Paragraf 180 a besagt explizit, dass »mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft« wird, wer »gewerbsmäßig einen Betrieb unterhält oder leitet«, in dem Prostituierte »in persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit gehalten werden«. Dass bisher trotzdem keine Kommission eingerichtet wurde, um beispielsweise Mindeststandards festzulegen, liegt daran, dass alle Parteien Angst vor diesem heißen Eisen haben.

      Trotzdem wird mir auf internationalen Konferenzen stets zu der deutschen Gesetzgebung gratuliert, was verblüffend ist, schließlich gehöre ich noch zu der Generation ›Entschuldigung, dass ich aus Deutschland komme‹. Dagegen stimmte das Europaparlament im Februar 2014 zugunsten eines Berichts der britischen Abgeordneten Mary Honneyball, der alle Mitgliedsstaaten auffordert, das schwedische Modell einzuführen. Das auf den ersten Blick schrullig absurd anmutende schwedische Gesetz vom 1.1.1999 verfügt, dass Sex zu verkaufen legal ist, aber Sex zu kaufen illegal.18 Kriminalisiert würden damit nicht die Frauen (sic!), sondern die Freier, erklärt die schwedische Regierung und definiert »Prostitution als Männergewalt gegen Frauen und Kinder«19, vor der sie die Ehre, pardon, die »Integrität der Frau«20 schützen müsse. Ein solches Gesetz kann nur als frauenfreundlich feiern, wer davon ausgeht, dass alle Sexarbeiterinnen zu ihrer Arbeit gezwungen werden, und nur darauf warten, dass ihre Kunden aus Angst vor Bestrafung wegbleiben. Doch erzwungene Prostitution ist auch nach dem deutschen Prostitutionsgesetz illegal, da damit nur die freiwillige Prostitution legalisiert wurde. Und erzwungener Sex – mit oder ohne Bezahlung – ist sowieso keine Prostitution, sondern Vergewaltigung. Worüber wird hier also gesprochen?

      Honneyball und ihre »All Party Parliamentary Group on Prostitution and the Global Sex Trade« werden von der homophoben Anti-Abtreibungs-Stiftung »Christian Action Research and Education« (CARE) in Großbritannien finanziert. Die schwedische Regierung hatte sich von einem breiteren Bündnis zu ihrer Gesetzgebung beraten lassen – nur nicht von Sexarbeiter_innen selbst.

      Es hat Tradition, Sexarbeiter_innen nicht als autonome Subjekte anzuerkennen, die über ihre eigenen Belange entscheiden können. Ende des 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts gingen Eugeniker davon aus, dass ererbte Degeneration und Schwachsinn der Grund dafür sei, dass Frauen sich prostituierten (die Psychopathologie der Prostitution).21 Heute sind sie halt Opfer, die nicht mit ihrer Ratio, sondern mit ihren Körpern kommunizieren à la Alice Schwarzer: »Warum tue ich mir so etwas überhaupt noch an? In einer Runde sitzen mit einer Prostituierten, deren Augen so etwas ganz anderes sagen als ihr Mund.«22 Sobald Sexarbeiter_innen selbst das Wort ergreifen, machen sie sich verdächtig, entweder zur »Prostitutionslobby«23 zu gehören oder – wie Melissa Gira Grant, der stets ihre Universitätsausbildung vorgeworfen wird – keine »echten« Sexarbeiter_innen zu sein. In der Studie »Beyond Gender: An Examination of Exploitation in Sex Work« befragte Suzanne Jenkins von der Keele University in Großbritannien erstmals eine repräsentative Gruppe von 440 Sexarbeiter_innen. Im Gegensatz dazu basieren die Evaluationen des schwedischen Modells auf den Aussagen von sieben aktiven Sexarbeiter_innen und sieben ehemaligen. Die Ergebnisse, zu denen Jenkins kam, waren verblüffend: 35,3 % der Männer und 32,9 % der Frauen, die Sexarbeit machen, hatten Bildungsabschlüsse, mehr als 18 % sogar Hochschulabschlüsse, nur 6,5 % waren ohne Ausbildung.24 Das entspricht ziemlich genau dem gesellschaftlichen Durchschnitt.

      Wenn man erst einmal damit anfängt, Sexarbeiter_innen ihre Entscheidungsfähigkeit abzusprechen, was hält einen dann davon ab zu sagen: Frauen wissen einfach nicht, was sie wollen? Vielleicht sollte man ihnen auch andere Wahlmöglichkeiten – zu ihrem eigenen Schutz – vorenthalten, wie beispielsweise das Wahlrecht? Natürlich ist Sexualität kein machtfreier Raum, aber genauso wenig ist es das Gesundheitswesen oder Fernsehgucken oder an der Börse spekulieren. Veränderungen lassen sich nur mit den Menschen erreichen, um die es geht, schließlich sind sie die Expert_innen für ihr eigenes Leben.

      Trotz mehrerer Journalist_innenpreise ist die einzige Auszeichnung, die ich mir gerahmt


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