Elfenzeit 5: Trugwandel. Uschi ZietschЧитать онлайн книгу.
sich von seiner besten Seite, und das Thermometer kletterte auf zwanzig Grad. Der Zaun von Newgrange lag etwa zwei Kilometer entfernt und konnte praktisch zu Fuß erreicht werden. Um zum Visitor Centre zu kommen, brauchten sie allerdings das Auto, weil sie das Gelände fünf Kilometer umfahren mussten. Vor Jahrzehnten war man direkt vor den Tumulus gefahren, doch das war längst nicht mehr möglich. Das Besucherzentrum lag auf der anderen Seite des Boyne, von dort aus mussten die Freunde über die Fußgängerbrücke gehen und am Parkplatz auf den Bus warten, der entsprechend dem farbigen Punkt auf ihren Shirts – Grün zur Abfahrt, Gelb zur Rückfahrt – zur Führung fahren würde. Man hatte sich genau an die vorgegebenen Zeiten zu halten, sonst müsse das Gelände wegen Überfüllung geschlossen werden. In der Hochsaison fanden sich bis zu dreitausend Besucher pro Tag ein. Weiter zu Fuß zu gehen, war nicht erlaubt.
Das Besucherzentrum war recht groß und innen von der Aufteilung teilweise dem Hügelgrab nachempfunden, und es ging lebhaft zu. Touristen aus allen Ländern drängelten sich an der Information und der Kasse und wollten so schnell wie möglich eine Führung. Nadja konnte mit ihrem Presseausweis eine Führung in zwei Stunden ergattern, andere hatten eine bedeutend längere Wartezeit – falls es überhaupt noch an diesem Tag klappte. David war erbost über die vergeudeten Stunden und wollte seinen Elfenzauber einsetzen, aber Nadja hielt ihn zurück: Sie konnten sich in aller Ruhe ein wenig auf dem Gelände umsehen und Fotos machen. Außerdem liebte sie es, durch irische Touristenshops zu stromern und nach Sachen zu suchen, die niemand brauchte, aber unwiderstehlich waren. Und natürlich Kladden und Stifte, schon allein in Erinnerung an Robert. Sie hätte ja an einen Abstecher auf die nah gelegene Isle of Man gedacht, aber ihr Freund war inzwischen abgereist, um einige Schauplätze seines Buches aufzusuchen und den Kapiteln den letzten Schliff zu geben.
Trotz Davids Ungeduld schlenderten sie anschließend gemütlich über die Brücke und schauten sich auf dem Gelände um. Nadja machte Aufnahmen mit ihrem Handy; dann hatte sie eine Idee.
»Pirx, Grog – könnt ihr Gegenstände auch unsichtbar werden lassen, die ihr bei euch tragt?«
»Wenn sie nicht zu groß sind, klar«, antwortete der Pixie.
»Gut. Einer von euch wird mit Fabios Handy fotografieren, der andere mit meinem Handy filmen. Es ist nämlich verboten, innen Bilder zu machen.«
»Hoffentlich kann ich das«, murmelte Grog.
»Ich zeige es euch, ist gar nicht schwer«, versicherte Nadja.
»Und wie willst du das mit der Belichtung machen?«, fragte Rian.
»Wir stellen auf Nachtmodus und schalten den Blitz aus. Versuchen können wir es ja. Grog, du übernimmst das Filmen, denn wir brauchen eine ruhige Hand.«
»Aber ich …«, setzte Pirx an und hüpfte mit ausgestreckten Ärmchen auf und ab, um ihr Smartphone zu ergattern.
»Siehst du?«, sagte Nadja. »Du bist ein Zappelphilipp, das geht nicht. Du verwackelst den gesamten Film. Lieber ein paar Wackelfotos, das meiste kann die Kamerafunktion ausgleichen.«
»Fotos machen sowieso mehr Spaß«, maulte der Pixie.
Der Wartebereich war als Park angelegt, mit einem Teich voller Seerosen, auf deren Blättern Teichhühner herumstaksten. Bisher fiel den Freunden nichts Sonderbares auf; wenn die Helfer des Getreuen hier irgendwo waren, so zeigten sie sich nicht.
Schließlich konnten sie mit allen anderen aus ihrer Gruppe in den Bus einsteigen und wurden den knappen Kilometer an den Megalithbau herangekarrt, wo der Guide schon wartete. Das Gebiet rings um den Tumulus war sanft hügelig und mit typisch irischem knallgrünem Gras bewachsen, das wie englischer Rasen kurz gehalten wurde. Vereinzelt standen Menhire herum, und ein großes Informationsschild mit schwarz-weiß Fotos von Ausgrabungen war aufgestellt. In etwa zweihundert Metern Entfernung begann ein Heckenzaun, hinter dem Schafe grasten, und dahinter öffnete sich bewaldetes Weideland, wie nahezu überall in Parzellen mit Stein- und Heckenzäunen aufgeteilt.
Die Zwillinge betrachteten den uralten Bau staunend, und auch Fabio zeigte sich beeindruckt. »Mal was anderes als Venedig, nicht wahr?«, flüsterte Nadja ihm schmunzelnd zu.
Pirx und Grog waren schon unterwegs, um die Aufnahmen zu machen, bevor der Tumulus voller drängelnder Menschen war.
»Was ist das?«, fragte David und deutete auf ein kleines Nebengebäude ganz aus Stein, rund und mit einem niedrigen, schnabelartigen Anbau.
»Man vermutet, dass es sich um ein Observatorium handelte, misst ihm aber keine besondere Bedeutung bei«, antwortete Nadja. »Man kann hineingehen, findet aber nur Hinterlassenschaften der Touristen, mit den üblichen Herzchen, Zoten und dergleichen, und jede Menge Abfall.«
David näherte sich ein Stück und schloss halb die Augen. Er streckte den linken Arm aus. »Sie sind dort …«, wisperte er. »Sie haben einen Bann darum gelegt, dass niemand Lust verspürt, dorthin zu gehen.«
Rian kam an seine Seite. »Auch er?«
»Ich kann ihn nicht spüren. Du?«
»Nein. Seine Präsenz kann man aber nicht übersehen. Wahrscheinlich ist er nicht da …«
»Aber wo steckt er dann?«, brummte Fabio. »Wozu diese Zeitverzögerung? Oder bereitet er sich anderswo vor?« Er sah sich kritisch um. »Wisst ihr, was hier fehlt?«
Die Zwillinge sahen ihn ratlos an, aber Nadja begriff sofort. »Es verläuft keine Ley-Linie!«
»Aber trotzdem kann man Magie spüren …«
Fabio nickte. »Nun wäre es doch besser gewesen, Julia wäre mitgekommen. Dieser Grabhügel hat Verbindung zur Geisterwelt! Damit ist das Zeitgrab umso bedeutungsvoller …«
»Die Führung fängt an«, unterbrach Nadja. »Kommt.«
Sie folgten der Gruppe an dem imposanten, wunderschön verzierten Eingangsstein vorbei über die Brückenstiege ins Innere. Der von Menhiren gesäumte Gang war sehr schmal, und die Trockenheit darin war sofort auffällig. Eine matte Beleuchtung sorgte für entsprechendes Schattenspiel, ein Vorankommen war fast nur geduckt und im Gänsemarsch möglich.
»Gefällt mir«, murmelte David.
»Entspricht irgendwie dem Stil unseres Vaters«, wisperte Rian. »Aber ob er eine besondere Verbindung zur Geisterwelt hat, weiß ich nicht.«
»Was wissen wir denn schon über Fanmór.«
Nadja zischte leise, weil die Führerin vorn zu reden anfing, und sie hörten aufmerksam zu.
»Der gesamte Grabhügel erstreckt sich über eine Fläche von etwa einem halben Hektar und ist damit der größte bekannte Megalithbau. Er ist elf Meter hoch, sein Durchmesser zählt bis zu fünfundachtzig Meter. Einstmals wurde er von siebenundneunzig Steinen eingefasst, von denen heute nur noch wenige erhalten sind. Der eindrucksvollste steht vorn am Eingang.« Der Rest deckte sich mit dem, was Nadja schon erzählt hatte, und sie richteten ihre Aufmerksamkeit auf die Strömungen innerhalb des Tumulus und tasteten das knochentrockene, kunstvoll aufgeschichtete Gestein ab. In der Hauptkammer verteilten sich die Besucher. Ab und zu blitzte die Stirnlampe der Führerin zwischen den hin- und herschwankenden Leibern hindurch. Nacheinander betrachtete Nadja die drei Ausbuchtungen, die effektvoll ausgeleuchtet waren. Mit ein wenig Verbiegung konnte sie weitere Steinmuster ausmachen, sowie Rückstände von Rauchentwicklung. Der Altar in der Mitte war kaum mehr als solcher erkennbar, auf dem die Leichname wohl verbrannt worden waren. Es konnte sich nur um hochgestellte Persönlichkeiten gehandelt haben, und Nadja hätte darüber gern ein wenig spekuliert und fantasiert. Leider hatte ihr Vater hierzu keine Erzählung, allerdings war er bei weitem nicht so alt wie dieses Bauwerk. Und warum kreuzförmig, dachte sie bei sich. Drei Kammern …
Denk an die Trinität, wisperte es in ihr, eine ferne Stimme. Dunkel erinnerte sie sich, was Morgana zu ihr gesagt hatte, doch dann war es auch schon wieder verschwunden. Sie konnte nichts damit anfangen, nur ein weiteres Rätsel mehr. Im Moment mochte das keine Rolle spielen.
Behutsam tastete sie die Steine ab, blickte zu dem Kraggewölbe hoch. Der Winkel sei derselbe