Führungsinstinkt. Anke van BeekhuisЧитать онлайн книгу.
nimmt, kann als Person beeindrucken und im Idealfall auch andere damit authentisch, wertschätzend und respektvoll führen.
Stellen Sie sich folgende Fragen:
Was habe ich in meinem Rucksack, das meine Führung beeinflusst?
An welche Person erinnert mich mein größter Rivale oder Feind im Unternehmen?
Welches Teammitglied kann ich nicht leiden? An wen erinnert mich diese Person?
Welches Umfeld brauche ich, um gut führen zu können?
Vertraue ich meinen Instinkten?
Wie kann ich in nächster Zeit meine Instinkte schärfen?
Leader sind unweigerlich in Kontakt mit Menschen. Dabei ist wichtig, welche Rolle Sie einnehmen, an wen Sie jemanden erinnern und was andere in Ihnen auslösen. Ihr Rucksack führt Sie und stellt Sie gleichzeitig immer wieder vor neue Herausforderungen im Alltag.
Aufwachen und aufmachen – Antworten und Lösungen in sich selbst finden
Die Dinge einigermaßen klar zu erkennen und nicht mehr alles persönlich zu nehmen, ist jedoch nur ein erster Schritt. Letztlich müssen die neuen Erkenntnisse auch ins Tun einfließen. Nur dann macht man »etwas aus sich«, das auch für andere erlebbar ist.
Aber wie kommt man dorthin? Der klassische und manchmal auch einzig denkbare Weg ist für viele die Teilnahme an möglichst vielen Führungsworkshops. Nur das – so glauben viele – bringt einen auf den richtigen Kurs, ins »bessere Führen«.
Wir wollen in keiner Weise abstreiten, dass Workshops und Lehrgänge tatsächlich gut und sinnvoll sind. Allerdings ist es einer der größten Fehler, zu glauben, dass ein Workshop oder eine ähnliche Veranstaltung jegliche Arbeit an sich selbst 100-prozentig ersetzt und Menschen an zwei, drei Workshop-Tagen wie von Zauberhand in Leadertypen verwandelt.
Trotz aller Ambitionen auf ein wichtiges Führungstool, das im Rahmen eines Workshops vielleicht kurz angesprochen und auch kurz geübt werden kann, vergessen viele etwas, das man eigentlich schon davor entdecken, trainieren und wertschätzen muss und dem man zu vertrauen lernen sollte: die eigene Wahrnehmung.
Tatsächlich ist die Wahrnehmung jenes menschliche Werkzeug, das heutzutage in unseren Breiten am wenigsten geschult wird, obwohl es speziell in der Führung anderer Menschen am dringendsten benötigt wird.
Die menschliche Wahrnehmung ist eine Gabe, die – virtuos eingesetzt – sogar manchmal wie Magie wirken kann: Wir können prinzipiell, ohne ein Wort zu wechseln, erkennen, wie es jemand anderem geht. Das ist eine Basiseigenschaft, mit der wir alle von Kindheit an ausgestattet sind. Und simpel ist sie auch noch: Wir nehmen Dinge wahr und verhalten uns danach.
Auch wenn uns als Kinder vielleicht noch die nötigen Worte fehlen, um uns adäquat verbal auszudrücken, sind uns Eindrücke und Empfindungen von außen nicht nur vertraut, sondern wir suchen sie geradezu. Das Gras der Wiese unter den nackten Füßen zu spüren, ist für viele Erwachsene geradezu eine Klischee-Empfindung für eine unbeschwerte Kindheit und Jugend. Und dennoch wiederholen wir sie später so gut wie kaum bewusst – vielleicht einmal im Jahr, wenn mit uns im Sommerurlaub die nostalgischen Pferde durchgehen. Aber selbst dann kommt uns das schnell irgendwie albern oder auch enttäuschend vor, weil es die erlebte Erfahrung mit der in der Erinnerung abgespeicherten doch nicht aufnehmen kann.
Die menschliche Wahrnehmungsebenen: erkennen, verstehen, sich selbst wahrnehmen
Wie ist es möglich, dass unsere Wahrnehmung mit steigendem Alter dermaßen abstumpft? Warum fühlen wir manchmal sogar gar nichts mehr? Die traurige Wahrheit ist, dass die Wahrnehmung ein sehr sensibles menschliches Spezialinstrument ist, das bei »Überbelastung« schnell kaputtgehen kann oder etwas ist, das man unbewusst auch sehr oft ganz ausschaltet, um sich zu schützen. Dafür verantwortlich ist letztlich jede und jeder selbst.
Mögliche Auslöser gibt es entlang des Lebensweges viele: Menschen, die Grenzen überschreiten, keine Distanz einhalten, uns einfach so viel zumuten, dass wir uns künftig lieber auf unser rationales Wissen verlassen, anstatt auf unser Bauchgefühl zu hören. Und so sehr uns Wissen dienlich sein kann: Wenn es in manchen Situationen die Oberhand gewinnt, indem es zu Vorsicht, Distanz und Oberflächlichkeit »rät«, berauben wir uns selbst eines zutiefst menschlichen Sinns, der uns (an dieser Stelle ein gedanklicher Gruß an Viktor und Hermine ins Robotiklabor) dann womöglich wirklich zu Führungsrobotern werden lässt.
Wissen ist bekanntlich Macht – aber es ist nicht alles und es benötigt Updates. Was man im Kopf hat, reicht also nicht aus, um aus der Perspektive eines Leaders einen guten Job als Führungskraft zu machen.
Schauen wir uns das anhand eines konkreten und plakativen Beispiels an: Vielleicht haben Sie vor Jahren in einem Buch über Körpersprache gelesen, dass vor der Brust verschränkte Arme bei einem Gegenüber nur eines bedeuten können: Ablehnung auf allen Ebenen! Verlassen Sie sich 100-prozentig auf dieses Wissen (auf diese rationale Wahrnehmung und Erfahrung), werden Sie bei sämtlichen Meetings, in denen jemand die Arme verschränkt, auf eine vermeintliche Ablehnung Ihrer Person, Ihrer Botschaft oder Ihrer Position reagieren. Wenn Sie aber Ihre anderen Sensoren (Ihr Bauchgefühl) einsetzen, würden Sie vielleicht etwas ganz anderes wahrnehmen: Möglicherweise ist Ihr Gegenüber trotz verschränkter Armer hochkonzentriert, gelassen, interessiert. Vielleicht hat er einen Tennisarm oder eine Mausschulter und verschafft sich mit den verschränkten Armen lediglich eine halbwegs schmerzfreie Körperhaltung. Wenn Sie dieser Wahrnehmung (ganz oder auch nur zu einem Teil) vertrauen, ändert sich auch sofort Ihre eigene Haltung und das Gespräch nimmt höchstwahrscheinlich einen völlig anderen Verlauf als nach der rein rationalen Wahrnehmung.
Halten wir fest:
Rationale Wahrnehmung basiert auf Wissen und Erfahrung, also auf Vergangenem.
Bauchgefühl basiert auf realer Erfahrung im Moment.
Um Bezug auf das schöne Rucksack-Bild aus dem vorigen Kapitel zu nehmen: Rationale Wahrnehmung ist zu einem Großteil in unserem persönlichen »Rucksack« beheimatet, in dem all unsere Erfahrungen – positive wie negative – verstaut sind. Schauen wir uns kurz im Detail an, was wir dort noch finden: unvergessliche Glücksmomente mit Menschen, die wir geliebt haben, aber auch die enttäuschte Liebe. Genauso finden sich im Rucksack vergangene Erfahrungen in Jobs – gute und schlechte, bedeutungslose und katastrophale. Beim Durchwühlen würden wir auch Gefühltes finden, das zu einer Zeit passiert ist, an die wir uns nicht bewusst erinnern können (z. B. Erlebnisse als Säugling).
Um es auf den Punkt zu bringen: Alles, was Menschen mit uns gemacht haben, was wir selbst mit uns gemacht haben und was wir erlebt haben – also alle Erfahrungen – sind in unserem Rucksack aufbewahrt. Auf manches können wir nicht bewusst, sondern nur über unser Unterbewusstsein zugreifen.
Und das Unterbewusstsein greift ziemlich oft in den Rucksack: Jede Begegnung mit Menschen lässt das Unterbewusstsein aktiv werden und es vergleicht sie mit früheren Erfahrungen. Je größer die Anzahl früherer Begegnungen und Situationen, desto größer sind die Möglichkeiten des Abgleichs. Sind Sie bisher nur relativ wenigen Menschen begegnet, wird Ihre Wahrnehmung schwächer ausgeprägt sein. Ein praller Rucksack wird zu einer prallen Einschätzungsfähigkeit führen.
Natürlich ist alles weitaus komplexer, als wir es hier schildern: Neben dem Rucksack und unserem Bauchgefühl spielt auch die Körperlichkeit eine Rolle. Klarer formuliert: Der Mensch (bzw. sein Unterbewusstsein) kann andere auch über Einfühlungsvermögen – besser bekannt unter Empathie – wahrnehmen. Empathie ist sogar mehr als »nur« passive Wahrnehmung, sondern hat auch eine wichtige aktive Komponente: Sie vereint Einfühlungsvermögen und die angemessene Reaktion auf die Gefühle von anderen.
Was das mit Körperlichkeit zu tun hat? Sie kennen vielleicht folgende Reaktionen ihres Körpers auf Musik oder einen Vortrag oder ein Gespräch: