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Der Grenadier und der stille Tod. Petra ReateguiЧитать онлайн книгу.

Der Grenadier und der stille Tod - Petra Reategui


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      Petra Reategui, geboren in Karlsruhe, war nach einem Dolmetscher- und Soziologiestudium Redakteurin bei der Deutschen Welle. Sie arbeitet heute als freie Journalistin und Autorin in Köln.

      Dieses Buch ist ein Roman. Die Handlung ist frei erfunden, wenn auch eingebettet in ein zeitgeschichtliches Umfeld und vor dem Hintergrund eines tatsächlich stattgefundenen Ereignisses erzählt. Einige Personen der Geschichte haben tatsächlich gelebt, ihre Charaktere und Handlungsweisen entspringen jedoch der Phantasie der Erzählerin.

      Der Anhang enthält eine Übersicht über die realen Personen, ein Glossar, Hinweise zu den im Buch angesprochenen Themen sowie Literatur- und Quellenangaben.

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      © 2020 Emons Verlag GmbH

      Alle Rechte vorbehalten

      Umschlagmotiv: Montage aus akg-images/Jürgen Raible, Joanna Czogala/Arcangel.com, shutterstock.com/ilolab, shutterstock.com/kuzmaphoto

      Umschlaggestaltung: Nina Schäfer

      Stadtplan: Stadtarchiv Karlsruhe 8/PBS XVI 95 (bearbeiteter Ausschnitt)

      Lektorat: Dr. Marion Heister

      eBook-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

      ISBN 978-3-96041-657-9

      Historischer Kriminalroman

      Originalausgabe

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      Denken ist das Selbstgespräch der Seele.

      Platon

      1

      Freitag, den 17ten Januarij 1772

      Es ist so weit. Ihm wird übel. Er schwankt, wendet sich ab. Und sieht doch in den Mienen der Umstehenden,

      … dass der Scharfrichter zum Schwert greift …

      … dass er zielt …

      … ausholt …

      Die Gaffer recken die Köpfe, stellen sich auf Zehenspitzen, Kinder werden hochgehoben.

      Jetzt …

      Der Mann neben ihm zuckt zusammen, zieht jäh die Schultern hoch, die frisch gepuderte Perücke verrutscht. Eine Frau hält dem Jungen auf ihrem Arm die Augen zu, unter ihrer Haube löst sich eine Haarsträhne. Zwei Mädchen klammern sich aneinander, weinen.

      Dann ist es vorbei. Die Menschen atmen auf. Münder öffnen und schließen sich aufgeregt, pusten Wölkchen in die kalte Luft. Drei Herren in Beinkleidern und Röcken aus edlem Tuch nicken einander zu, leeren gleichmütig die Becher, die sie zuvor beim Getränkehändler erstanden haben. Einer kratzt sich im Schritt.

      Es fängt zu schneien an, Bewegung kommt in die Schaulustigen. Die ersten machen sich auf den Nachhauseweg. Die Magd des Gürtelmachers von der langen Morgenabendstraße bückt sich nach ihrem Korb, ihre Hände sind rau und rissig, die Nägel abgekaut. Sie grüßt ihn, bevor sie von Bekannten untergehakt und fortgezogen wird. Schon haschen Kinder mit weit ausgebreiteten Armen nach den vom Himmel herabwirbelnden Flocken. Buben schwingen Stöcke wie eben der Henker seine scharfe Waffe, stupsen und schubsen sich, bald tobt auf der weiten Flur vor dem Stadttor eine wilde Schlacht. Schneebälle fliegen. Einer der Kleineren fällt, die anderen stürzen sich auf das Kerlchen, halten es fest und reiben ihm das Gesicht mit den nassen Bollen ab, der Junge kann sich nicht wehren.

      Es ist ungerecht, alle gegen einen. Als er im selben Alter war, hatten die Kinder in seinem Viertel es auch ständig auf ihn abgesehen. Machten sich einen Spaß daraus, ihm aufzulauern, immer von hinten, sodass er sie nie bemerkte. Traten ihn, stellten ihm ein Bein, verprügelten ihn. Aber er hat sich nichts gefallen lassen. Er hat wild um sich geschlagen. Gebissen. Geboxt. Gekratzt. Und er hat gespürt, wie aus seiner Kehle, aus seinem geöffneten Mund, ein Beben herausbrach, Stöße, so heftig, dass ihm schier gar der Kopf zersprang. Bis einmal das Mädchen vom Nachbarhaus angeschossen kam. Aufhören! Lasst ihn in Ruhe! Ihre Augen spuckten Feuer, ihre Hände verteilten Ohrfeigen. Er rannte in den Hof und verkroch sich hinter Gerümpel. Aber seither hatte er eine Beschützerin, eine Freundin, einen Menschen, vor dem er sich nicht fürchten musste. Nie im Leben würde er vergessen, wie sie dem prahlerischen Fettwanst, der der Gemeinste von allen war, eine solche Maulschelle verpasst hat, dass die Backe des Dicken drei Tage lang geschwollen war.

      Er hält sein Gesicht in das Schneegegriesel und schmeckt die kalten Kristalle, die ihm auf den Lippen zerschmelzen. Flockenfangen mit dem Mund. Wie oft haben sie dieses Spiel gespielt, er und seine Beschützerin. Eine und noch eine und noch eine. Und wenn sie dann müde waren, warfen sie sich in den Schnee und kullerten die Böschung zum Steineschiffkanal hinunter, unter Herzklopfen, denn kurz vorm Wasser galt es abzubremsen, um nicht hineinzurollen.

      Endlich dreht er sich um und starrt hinüber zu der Stelle, wo die Hinrichtung stattgefunden hat. Der Stuhl, auf dem sie gesessen und mit verbundenen Augen den furchtbaren Streich erwartet hat, ist leer. Zwei Männer mühen sich ab, den leblosen Körper in eine Kiste zu legen. Sie stopfen die überhängenden Zipfel des Totenhemds zwischen Leichnam und Kastenwand und schließen den Deckel. Ein dritter wirft ein Tuch über den Korb, in den der Kopf gefallen ist, und verstaut den Behälter auf einem Leiterwagen. Schon sind andere dabei, das Schafott abzubauen. Das Holz des Gerüsts ist Teil des Henkerlohns, es wird dem Mann mit der langen Hiebwaffe gutes Geld bringen.

      Er weiß, dass es so ist. Trotzdem packt ihn die Wut. Trauer und das Gefühl von Verlassenheit übermannen ihn. Wieder wird ihm schwindlig. Die Bäckersfrau aus der Gasse, in der er wohnt, eilt besorgt zu ihm herüber und will ihn halten. Er schüttelt den Kopf: Es ist nichts, gar nichts, mach dir um mich keine Sorgen. Sie zweifelt, zögert, kehrt dann aber doch zu den Leuten zurück, mit denen sie zum Richtplatz gekommen ist.

      Der Schnee fällt jetzt in dichten Schwaden. Hastig packen die Essensverkäufer die übrig gebliebenen Brezeln und Weckle zurück in die Brotkästen, die Schankknechte verstöpseln angebrochene Flaschen und verstauen sie samt Gläsern und Bechern wieder bruchsicher auf ihren Karren. Nur ein welscher Bauchladenkrämer, dem das Wetter nichts anzuhaben scheint, zählt ungerührt das Geld in seiner Hand. Er hat gut verkauft, Knöpfe, Borten, Seifen, fast seinen gesamten Vorrat an Citronen. Eben ersteht eine Frau schnell noch einen billigen Halsschmuck. Als ihr der sonnendunkle Händler das Bändchen mit dem glitzernden Anhänger unter ihrem Haarknoten zu einer Schleife bindet und seine gelenken Finger ihren Hals streicheln, kichert sie verlegen, ruckelt ihren Umhang zurecht und blinzelt dem Mann zu, bevor sie lachend der Menschenmenge hinterherrennt, die zum Abendtor strömt. Der Himmel sieht aus, als stürze er gleich auf die Stadt herab.

      Er geht, als niemand mehr auf dem Richtplatz ist. Es muss Mittag sein, denn in der kargen Wachtstube am Tor sitzen die Posten beim Essen. Er würde sich gern zu ihnen setzen, um nicht allein zu sein. Aber den einen, mit dem er sich hin und wieder unterhält, leidlich, mit armseligen Gesten, sieht er nicht. Die anderen hier würden ihn nicht verstehen, würden nicht begreifen, was er von ihnen will, ihn fortwinken, im schlimmsten Fall auslachen. Er grüßt im Vorbeigehen. Sie mustern ihn kurz, aber scheren sich nicht weiter um ihn. Der eine der Wächter trägt einen gebieterischen Schnäuzer, der zu beiden Seiten der Mundwinkel in je einer dünnen, gezwirbelten Spitze endet. Ihm selbst sprießt nur weicher Flaum.

      Ohne auf Schnee und Kälte zu achten, läuft er die Morgenabendstraße entlang. Der Seifensiedemeister steht unter seiner Ladentür inmitten einer Wolke übel riechenden Laugendampfs und blickt den Passanten hinterher, die in die


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