Wechselgeld für einen Kuss. Ruth GogollЧитать онлайн книгу.
sich wunderbar an auf ihrer Haut, weich, kühl und seidig, fast wie ein Streicheln. Aber sie war doch keine Kleiderpuppe, die Lian einfach so herumscheuchen konnte!
Als sie wieder nach vorn kam, warteten Lian und Dorothea schon auf sie.
Mit zusammengezogenen Augenbrauen ließ Lian ihren Blick erneut über Nicola schweifen. »Machen Sie auch Änderungen?«, fragte sie Dorothea beiläufig. »Die Dame, für die das Kleid gedacht ist, hat etwas mehr«, sie lachte leicht und blinzelte ihr zu, »Oberweite.«
Ich bringe dich um, dachte Nicola. Am liebsten hätte sie mit den Zähnen geknirscht, aber sie hielt sich im letzten Moment zurück.
»Drehen Sie sich doch mal, Frau Harnoncourt«, fauchte Dorothea Wrede zur Mühlen Nicola an. Oder sie hätte sie angefaucht, wenn Lian nicht dabei gewesen wäre. So ließ sie ein kleines Lachen folgen, als ob sie diesen Tonfall nicht ernstgemeint hätte. Was sie natürlich hatte. »Damit Frau . . .« Sie schaute Lian fragend an.
»Lorenz«, sagte Lian.
»Ach ja, entschuldigen Sie, bitte. Ich habe Ihren Namen ja auf der Kreditkarte gelesen.« Dorothea bat mit einem theatralisch überzogenen mädchenhaften Lachen um Verzeihung. Als sie sich dann allerdings wieder Nicola zuwandte, war jede Mädchenhaftigkeit verschwunden. »Damit Frau Lorenz einmal sehen kann, wie das Kleid fällt«, fuhr sie in scharfem Ton fort.
Oh ja, dachte Nicola sarkastisch. Warum lege ich nicht gleich einen Bauchtanz hin, damit sie sehen kann, was in dem Kleid DRIN ist? Etwas widerwillig drehte sie sich einmal um ihre eigene Achse. »Reicht das?«, flüsterte sie so, dass nur Lian es hören konnte, als sie sich während des Drehens leicht zu ihr beugte und von Dorothea abgewandt war. »Oder soll ich mich auch noch auf den Kopf stellen?«
Lians Mundwinkel zuckten heftig, was Nicola jedoch nur aus dem Augenwinkel wahrnahm, weil sie sich schon wieder weitergedreht hatte.
»Sehr schön«, sagte Lian. »Ich nehme das Kleid.«
Dorothea fiel fast in Ohnmacht. »Sie wollten doch noch . . . Änderungen«, hauchte sie schwach.
»Zuerst einmal nehme ich das Kleid mit«, verkündete Lian entschlossen. »Damit die junge Dame entscheiden kann, ob es ihr überhaupt gefällt. Dann kann man immer noch über Änderungen reden.« Sie hob die Augenbrauen und blickte Nicola an. »Was sagen Sie denn dazu, Frau Harnoncourt?«, fragte sie ganz unschuldig. »Gefällt Ihnen das Kleid? Würden Sie es kaufen?«
Das war zu viel. Jetzt konnte Nicola sich nicht mehr bezähmen. »Das kann ich mir leider nicht leisten«, gab sie kühl zurück. »Aber ich werde es jetzt so schnell wie möglich ausziehen, damit Sie es mitnehmen können.« Und fast im Laufschritt verschwand sie nach hinten.
In der Umkleidekabine lehnte sie sich erst einmal schweratmend gegen die Wand. Was wollte Lian hier? Was hatte sie hier zu suchen? Und woher wusste sie überhaupt, wo Nicola arbeitete? Die Frage hatte sie nicht beantwortet.
Ist sie etwa eine Stalkerin? Sie musste schmunzeln, denn so richtig fühlte sie sich von dem Gedanken nicht bedroht. Na ja, zuzutrauen wäre es ihr. Ehrlich gesagt traute Nicola Lian so ziemlich alles zu. Für sie schien es keine Grenzen zu geben wie für andere Menschen.
Kopfschüttelnd stieß sie sich mit dem Rücken von der Wand ab und stellte sich noch einmal vor den Spiegel. Wirklich ein schönes Kleid. Und es passte ihr perfekt. Aber so etwas würde sie sich nur leisten können, wenn sie sich darauf einstellte, es in Raten abzuzahlen, die hundert Jahre in Anspruch nehmen würden.
Seufzend stieg sie aus dem Kleid heraus und zog ihr eigenes Kleid wieder an. Wem Lian das Kleid wohl schenken wollte? Sie hatte sicher eine ganze Armee von Freundinnen, so draufgängerisch, wie sie war.
Oder war es nur eine? Eine ganz spezielle Freundin? Hatte sie deshalb keinen Versuch gemacht, den Abend nach ihrem gemeinsamen Restaurantbesuch im Bett ausklingen zu lassen? Weil sie treu war?
Ha! Treu! Diese Frau doch nicht! Nicola hätte fast laut gelacht. Nie im Leben. Warum hatte sie Nicola dann so offensiv angemacht? Wenn man treu war, fuhr man fremden Frauen nicht im offenen Cabrio hinterher. Und man kletterte auch nicht an ihren Fassaden hoch.
Sie schüttelte noch einmal den Kopf, um diese Gedanken endgültig abzuschütteln, legte sich das Kleid über den Arm und brachte es nach vorn zur Kasse, wo Dorothea schon ungeduldig auf sie wartete.
»Was haben Sie dahinten denn so lange gemacht?«, fragte sie unfreundlich, ließ aber gleich wieder dieses künstliche Lachen folgen, weil ihr – wenn auch zu spät – anscheinend plötzlich eingefallen war, dass Lian ja noch im Laden stand.
»Ich nehme an, Frau Harnoncourt ist sehr vorsichtig mit dem Kleid umgegangen, damit sie es nicht beschädigt«, vermutete Lian verbindlich lächelnd. »Das war sehr aufmerksam von Ihnen, Frau Harnoncourt. Ich bedanke mich für Ihre rücksichtsvolle Vorgehensweise.« Sie neigte leicht den Kopf zu Nicola.
Dorothea hätte wohl am liebsten nach Luft geschnappt wie ein Fisch auf dem Trockenen, aber sie fing sich, bevor sie sich ganz und gar lächerlich machen konnte. »Dazu halte ich meine Angestellten immer an«, bemerkte sie mit einem giftigen Blick auf Nicola. »Das ist ein Grundsatz unseres Hauses.«
»Dann werde ich hier vielleicht noch öfter einkaufen«, entgegnete Lian so charmant, dass wahrscheinlich selbst Dorothea die Knie weich wurden.
»Geschenkpapier?«, fragte Nicola, die das Kleid mittlerweile sorgfältig in einen schützenden Karton verpackt hatte. »Irgendeinen speziellen Wunsch? Eine Schleife vielleicht? Oder eine Grußkarte? Sollen wir das Kleid liefern?«
»Nein, ich denke«, Lians weiße Zähne blitzten raubtierhaft, »ich werde es selbst überreichen. Wenn Sie es mir bitte als Geschenk einpacken würden, das wäre ganz reizend von Ihnen.«
Ein bisschen hatte Nicola den Eindruck, Lian wollte sie auf den Arm nehmen, aber sie war sich nicht ganz sicher. »Aber selbstverständlich, gern«, erwiderte sie deshalb betont geschäftsmäßig, griff nach einer Rolle mit exquisit bedrucktem bunten Papier, die in dem Regal unter der Kasse lag, zog sie heraus und verpackte den Karton schnell und geschickt darin. Dann versah sie ihn noch mit einer passenden kleinen Schmuckapplikation. »Ist es so recht?«, fragte sie Lian mit möglichst neutraler Stimme.
»Wundervoll«, sagte Lian. Ihr Blick suchte Nicolas Augen. »Jetzt ist die Verpackung ja fast schöner als das Kleid.«
Mit diesen Worten und einem tiefen Blick in Nicolas Augen nahm sie den Karton entgegen, klemmte ihn lässig unter den Arm und verließ leicht damit herumschlenkernd das Geschäft.
Nicola hätte sich gern noch etwas von Lians Blick erholt, der ihr durch und durch gegangen war, und von dem Vibrieren in ihrer Stimme, als sie ihre Augen zum Schluss hatte in Nicolas versinken lassen, aber sie sah Dorotheas Lippen sich verdächtig bewegen, und bevor ihre unartige Chefin etwas sagen konnte, begab sie sich schnell wieder nach hinten. »Ich habe noch mit Auspacken zu tun«, erklärte sie schon halb im Gang. »Darin bin ich vorhin ja unterbrochen worden.«
Obwohl sie sich gleich wieder dem Pullover widmen wollte, den sie zuvor hatte liegenlassen müssen, konnte sie es nicht.
Lian hatte bei ihr auf jeden Fall weiche Knie hinterlassen, und sie musste sich erst einmal setzen.
Diese blauen Augen! Verdammt, diese blauen Augen! Und überhaupt . . . Ihr ganzes Verhalten. Wie sie Dorothea Wrede zur Mühlen in die Schranken gewiesen hatte. Und die hatte nichts dagegen tun können.
Ein Kichern wollte sich durch ihren Brustkorb nach oben schieben. Und auch wenn sie es zu unterdrücken versuchte, es gelang ihr nicht. Wie gern hätte sie ihre Chefin einmal so behandelt. Und nun hatte es Lian getan. Für sie.
Nein, natürlich nicht für sie. Für sich selbst. Lian war eben so.
Aber trotzdem musste sie sich für mindestens zwei Minuten auf der Toilette einschließen, bis der Lachanfall vorbei war.
Dafür hatte es sich gelohnt, früher zur Arbeit zurückzukehren, obwohl sie noch nicht ganz gesund gewesen war. Das hätte sie auf keinen Fall verpassen