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Wie künstlich ist Intelligenz?. Andreas EschbachЧитать онлайн книгу.

Wie künstlich ist Intelligenz? - Andreas Eschbach


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      »Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Amen.«

      Rob leerte seinen Kaffeebecher, reckte die Arme wie ein gestresster Familienvater am ersten Tag seines wohlverdienten Urlaubs. Dann sagte er: »Wir wissen es nicht. Stimmt. Im schlimmsten Fall sind heute und morgen unsere letzten Tage in Freiheit. Ich denke, die sollten wir entsprechend genießen, anstatt sie mit Sorgen und Grübeln zu verplempern.« Er stand auf, zog das T-Shirt aus, streifte die Hose herab und sagte: »Wer zuerst im Wasser ist!«

      Sie schwammen stundenlang, dösten am Ufer auf der Böschung und sahen den Vögeln zu, wie sie einander jagten. Sie ließen Holzstücke hinaustreiben und warfen mit Steinen danach. Abends machten sie den Eintopf warm, tranken Bier und redeten. Alan erzählte, wie sein Vater lange versucht hatte, alles vor den Nachbarn zu verheimlichen.

      »Aber er hatte sich bis dahin alle zwei Jahre ein neues Auto gekauft. Wir waren bis dahin jedes Jahr im Urlaub. Das ging nicht mehr. Meine Mutter hat unsere Klamotten geflickt, aber irgendwann hat man einfach gesehen, dass sie nicht mehr neu waren.« Er kippte den Rest der Dose hinunter. »Aber da konnten wir sowieso das Haus nicht mehr halten und mussten umziehen, und in der neuen Schule kannte mich ja niemand …«

      »Das ist ein echtes Trauma bei dir«, diagnostizierte Rob gnadenlos. »Meine Eltern sind zwar keine Millionäre, aber am Geld hat es nie gefehlt. Ich mach mir da echt keine Sorgen deswegen.«

      Alan sah hinaus über den See, der dunkel und leer hinter den schwarzen Bäumen lag, erhellt nur vom Licht der Sterne am Himmel. »Hmm, schon seltsam. Ist ja nicht so, dass wir gehungert hätten. Und ans MIT geschafft hab ich’s trotzdem. Es ist einfach nur … der Abstieg, verstehst du? Wenn’s von oben nach unten geht, das ist schmerzhafter, glaub ich, als wenn du unten bist und es nie nach oben schaffst.«

      Rob griff sich eine zweite Dose. »Ja, das liebe Geld. War vielleicht doch keine so gute Erfindung. Wie die Atombombe. Wär’ auch besser, die hätte nie jemand erfunden.«

      Am späten Sonntagnachmittag beschlossen sie, sich wieder nach Boston zurück zu wagen. Sie waren beide sehr schweigsam, während sie ihre paar Sachen ins Auto packten, die Hütte aufräumten und den Schlüssel wieder unter den Blumentopf legten. Kurz vor fünf erreichten sie die erste geteerte Straße. Es war wenig los.

      »Schwer vorstellbar, dass sie mit Blaulicht und Polizeihunden auf uns warten«, meinte Rob.

      »Stimmt«, sagte Alan. »Eine Staffel Hubschrauber ist das Mindeste.« Die zwei Tage im Wald, stellte er fest, hatten ihm gutgetan. Er nahm seine Ängste nicht mehr ganz so ernst wie noch Freitagnacht.

      Sie hielten an derselben Tankstelle wie auf dem Hinweg, tankten und kauften noch zwei Flaschen Cola. Als sie an der Kasse standen und ihre letzten Scheine und Münzen zusammenwarfen, fiel Alans Blick auf das grau-weiße Bild, das der Fernseher zeigte: Ein Mann war zu sehen, der erregt auf eine Reporterin einsprach und der Alan bekannt vorkam.

      Dann schob sich ein Textbalken unter ihn: Jesse Lyman, Hedgefonds-Manager.

      »Hey«, entfuhr es Alan. »Das ist Tammys Vater!« Er wandte sich an den hageren Tankwart. »Können Sie das bitte laut machen?«

      »Hmm«, brummte der, drehte den Ton aber auf.

      »… albern, das eine Krise zu nennen«, erregte sich der teuer gekleidete Mann. »Das ist eine Katastrophe unglaublichen Ausmaßes! Und es ist ein Skandal, dass nichts getan wird. Geld ist das Blut der Wirtschaft, und wie es aussieht, verbluten wir gerade!«

      »Vielen Dank, Mister Lyman, für diese Einschätzung der Lage«, sagte die Reporterin mit beflissener Professionalität. Sie wandte sich der Kamera zu. »Das war ein Stimmungsbild von der Wall Street. Damit zurück ins Studio.«

      Rob und Alan sahen einander an.

      »Uh-oh«, machte Rob.

      »Danke«, sagte Alan, an den Tankwart gewandt.

      Dann machten sie, dass sie weiterkamen.

      Es warteten tatsächlich weder Polizeihunde noch Wagen mit Blaulicht auf sie, als sie wieder am Institut ankamen, und es kreisten auch keine Hubschrauber am Himmel.

      »Nicht ein einziger Typ mit Sonnenbrille«, stellte Rob fest. »Enttäuschend.«

      »Keine flachen Witze jetzt, bitte«, bat Alan nervös. »Lass uns einfach nur nachschauen, was los ist.«

      Auch im Labor wartete niemand auf sie. Als sie die Tür aufschlossen, war alles, was sich dahinter bewegte, der Bildschirmschoner auf dem Monitor.

      Alan schaltete den Fernseher ein und zappte die Programme durch, Rob setzte sich an den Computer und nahm sich das Logfile vor.

      In den Nachrichten gab es nur ein Thema. Sie nannten es Krise der Zahlungssysteme: Man konnte an Automaten kein Geld mehr abheben, die Banken konnten keine Überweisungen mehr tätigen, die vielen Finanz-Apps und Buchungsprogramme funktionierten alle nicht mehr, und so weiter.

      Ein verschwitzter ITler erklärte einem Reporter, sie hätten schon zum dritten Mal die Back-ups eingespielt, aber es nutzte nichts. »Sobald das System wieder hochgefahren wird, passiert genau dasselbe wieder«, sagte er mit bebender Stimme. »Es ist, als gäbe es im Netz ein schwarzes Loch, das alles Geld ansaugt und verschwinden lässt.«

      »Rob«, sagte Alan mit einem ganz unguten Gefühl, »sag mir bitte, dass wir damit nichts zu tun haben.«

      »Hmm, hmm«, machte Rob.

      »Rob!«

      Rob seufzte abgrundtief, rollte mit seinem Sessel ein Stück von der Tastatur weg und sagte: »Also … Wie es aussieht, hat unsere KI schon wieder ein bisschen zu gut funktioniert.«

      »Was heißt das? Hat sie eine Bank geknackt oder nicht?«

      »Nicht eine Bank«, sagte Rob. »Alle

      Alan fiel fast der Kinnladen herab. »Alle.«

      »Alle.«

      »Und dann?«

      »Die KI hat alle Konten gefunden und alles Geld, was darauf war, auf unsere beiden Konten transferiert.« Rob hob die Hände in einer hilflosen Geste. »Alles Geld der Welt, sozusagen.«

      Alan spürte seine Beine schwach werden. Er ließ sich in den anderen Sessel fallen. »Und was heißt das in … in Dollar? Sind jetzt Billionen auf unserem Konto? Trillionen? Fantastilliarden? Oder was?«

      »Tja«, meinte Rob seufzend, »das Problem ist, dass Datenfelder nur eine bestimmte Länge haben, auch die für die Höhe des Kontostands. Es ist eine großzügig bemessene Länge, die auch für Bill Gates, Warren Buffett und arabische Scheichs ausreicht, aber eben nicht für alles Geld der Welt.« Er wies auf den Monitor. »Mein Konto zeigt nur Sternchen. Das Zeichen für Überlauf.«

      »Überlauf!«, wiederholte Alan fassungslos.

      »Wird bei deinem genauso sein.« Rob hüstelte. »Und jedes Mal, wenn die IT-Leute bei den Banken die Back-ups einspielen, transferieren die hunderttausend Kopien unserer KI, die sich in all die Systeme eingenistet haben, das ganze Geld noch einmal auf unsere Konten. Ohne dass wir was davon hätten, weil es dann natürlich wieder genauso weg ist.«

      Alan schüttelte langsam den Kopf. »Das heißt …?«

      »Das heißt, wir haben praktisch das Geld abgeschafft. Die Banken. Schecks. Konten. Derivate. Hedgefonds. Alles weg. Wir haben alle Vermögen vernichtet und alle Schulden annulliert. Und die Chancen, das je wieder repariert zu kriegen, stehen ziemlich schlecht.«

      Sie sahen einander mit großen Augen an.

      »Und jetzt?«, fragte Alan.

      Rob wiegte den Kopf. »Man darf gespannt sein.«

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