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Philosophisches Taschenwörterbuch. VoltaireЧитать онлайн книгу.

Philosophisches Taschenwörterbuch - Voltaire


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Antike sich ausdachte. Der Mensch schuf die Götter immer nach seinem Bilde. Man sah, dass die Fürsten ihre Befehle durch Boten übermitteln ließen, also schickte auch die Gottheit ihre Kuriere, Merkur, Iris waren Kuriere, Sendboten.

      Die Hebräer, dieses einzige von der Gottheit selbst geführte Volk, gaben den Engeln, die Gott ihnen schließlich zu schicken geruhte, zunächst keine Namen; sie entlehnten die Namen, die die Chaldäer ihnen gaben, als das jüdische Volk in Babylonien gefangengehalten wurde. Michael und Gabriel werden zum ersten Mal von Daniel, einem Sklaven dieses Volkes, genannt. Der Jude Tobias, der in Ninive wohnte, wusste vom Engel Raphael, der mit seinem Sohn auf die Reise ging, um ihm das Geld eintreiben zu helfen, das ihm der Jude Gabael schuldete.*

      In den jüdischen Gesetzen, das heißt, im Levitikus und im Deuteronomium, findet sich nicht die geringste Bemerkung über die Existenz von Engeln, geschweige denn über ihre Verehrung; daher glaubten die Sadduzäer nicht an Engel.*

      Aber in den Geschichten der Juden ist viel von ihnen die Rede. Diese Engel besaßen einen Körper, sie hatten Flügel auf dem Rücken, so, wie die Heiden erfanden, dass Merkur welche an den Fersen hatte; manchmal verbargen sie ihre Flügel unter ihren Gewändern. Wie sollten sie auch keine Körper haben, wo sie doch aßen und tranken und die Einwohner Sodoms die Sünde der Päderastie mit den Engeln begehen wollten, die zu Lot kamen.

      Nach Maimonides kannte die alte jüdische Tradition zehn Stufen, zehn Ordnungen von Engeln. 1. Die Chajot Hakodesch, die Reinen, Heiligen. 2. Die Ophanim, die Schnellen. 3. Die Oralim, die Starken. 4. Die Chasmalim, die Flammenden. 5. Die Seraphim, die Brennenden. 6. Die Malakim, Engel, Boten, Abgesandte. 7. Die Elohim, die Götter oder Richter. 8. Die Bene Elohim, Kinder der Götter. 9. Die Cherubim, die Spiegelbilder. 10. Die Ychim, die Beseelten.*

      Die Geschichte vom Sturz der Engel findet sich nicht in den Büchern Mose; das erste Zeugnis, von dem man berichtet, ist das des Propheten Jesaja, der den König von Babylon anherrscht: »Was ist aus dem Tributeintreiber geworden? Die Tannen und die Zedern erfreuen sich seines Sturzes; wie bist du vom Himmel gefallen, o Helel, Stern des Morgens?« Man übersetzte dieses Helel mit dem lateinischem Wort Luzifer, und danach hat man den Namen Luzifer in allegorischem Sinn dem Fürsten der Engel gegeben, die im Himmel Krieg führten; und schließlich ist dieser Name, der Träger des Lichts und Morgenröte bedeutet, zum Namen des Teufels geworden.

      Die christliche Religion ist auf dem Sturz der Engel aufgebaut. Diejenigen, die sich auflehnten, wurden aus den Sphären, die sie bewohnten, hinabgestürzt in die Hölle im Inneren der Erde und wurden zu Teufeln. Ein Teufel in Schlangengestalt verführte Eva und brachte dem Menschengeschlecht die Verdammnis. Jesus kam zur Erlösung des Menschengeschlechts und um den Teufel zu bezwingen, der uns noch immer in Versuchung führt. Jedoch ist die dem zugrunde liegende Überlieferung nur in dem apokryphen Buch Henoch zu finden, zudem unterscheidet sie sich stark von der traditionellen Überlieferung.

      Der heilige Augustinus hat in seinem 109. Brief keinerlei Schwierigkeiten, den guten und den bösen Engeln von allem losgelöste und geschmeidige Körper zuzuordnen.* Papst Gregor II. hat die zehn von den Juden anerkannten Engelchöre auf neun Chöre, neun Stufen oder Ordnungen, verringert; dies sind die Seraphim, die Cherubim, die Throne, die Herrschaften, die Tugenden, die Gewalten, die Fürsten, die Erzengel und schließlich die Engel, die den acht weiteren Ordnungen ihren Namen geben.*

      Die Juden hatten im Tempel zwei Cherubim mit jeweils zwei Köpfen, einen Stier- und einen Adlerkopf, dazu sechs Flügel. Heute stellen wir sie als fliegenden Kopf mit zwei kleinen Flügeln unterhalb der Ohren dar. Die Engel und die Erzengel stellen wir in Gestalt junger Männer dar, mit zwei Flügeln auf dem Rücken. Hinsichtlich der »Throne« und der »Mächte« ist man noch nicht auf den Gedanken gekommen, sie darzustellen.

      Der heilige Thomas sagt in seiner Quaestio 108, Artikel 2, die Throne seien ebenso nah bei Gott wie die Cherubim und die Seraphim; sind sie es doch, auf denen Gott sitzt. Scotus hat tausend Millionen Engel gezählt. Nachdem die alte Mythologie von den guten und den bösen Genien vom Orient auf Griechenland und Rom übergegangen war, haben wir diese Ansicht bestätigt, indem wir jedem Menschen einen guten und einen bösen Engel zuordneten, von denen der eine ihm beisteht, der andere ihm von der Geburt bis zum Tode schadet; aber man weiß noch nicht, ob diese guten und bösen Engel andauernd von einem Einsatzort zum anderen wechseln, oder ob sie von anderen Engeln abgelöst werden. Man konsultiere zu dieser Frage die Summa des heiligen Thomas.*

      Man weiß nicht genau, wo sich die Engel aufhalten, ob in der Luft, im leeren Raum oder auf den Planeten. Gott wollte nicht, dass wir etwas darüber wissen.

      ANTHROPOPHAGES – Menschenfresser

      Wir haben von der Liebe gesprochen. Es ist schwierig, einen Übergang zu finden von Leuten, die einander küssen, zu solchen, die einander auffressen. Aber es ist nur allzu wahr, dass es Menschenfresser gab; wir haben welche in Amerika vorgefunden, und vielleicht gibt es sie immer noch; und die Kyklopen* waren in der Antike nicht die Einzigen, die sich manchmal von Menschenfleisch ernährten. Juvenal berichtet, dass bei den alten Ägyptern, diesem doch so weisen und für seine Gesetzgebung bekannten Volk, diesem so frommen Volk, das Krokodile und Zwiebeln verehrte, die Tintiriten* einen ihrer Feinde aufaßen, der ihnen in die Hände gefallen war; sein Bericht beruht nicht auf bloßem Hörensagen, dieses Verbrechen geschah nahezu vor seinen Augen, denn er war damals in Ägypten, in der Nähe der Stadt Tentyra. Er erwähnt in diesem Zusammenhang die Gaskogner* und die Sagunter*, die sich früher einmal vom Fleisch ihrer Landsleute ernährten.

      1725 brachte man vier Wilde vom Mississippi nach Fontainebleau, ich hatte die Ehre, mich mit ihnen unterhalten zu dürfen. Unter ihnen befand sich eine Dame aus diesem Land, die ich fragte, ob sie Menschenfleisch gegessen habe, und sie antwortete mir in aller Unschuld, dass sie davon gegessen habe. Ich muss etwas schockiert gewirkt haben, woraufhin sie sich damit entschuldigte, dass sie sagte, es sei doch wohl besser, seinen toten Feind aufzuessen, als ihn den Tieren zum Fraß zu überlassen, und dass den Siegern dieses Vorrecht gebühre. Wir töten in einer offenen Schlacht oder in Scharmützeln die Bewohner unserer Nachbarländer und arbeiten für die schäbigste Belohnung daran, die Speisekammer der Raben und Würmer zu füllen. Das ist das Grauenerregende, das ist das wahre Verbrechen. Was macht es schon, wenn man getötet wurde, ob man von einem Soldaten oder einem Raben und einem Hund verspeist wird?

      Wir haben mehr Achtung vor den Toten als vor den Lebenden. Doch hätten wir die einen wie die anderen achten sollen. Die Völker, die man zivilisiert nennt, taten recht daran, ihre besiegten Feinde nicht am Spieß zu braten; denn wenn es erlaubt wäre, die Bewohner der Nachbarländer zu essen, so äße man bald auch seine Landsleute, was sehr nachteilige Folgen für die gesellschaftlichen Tugenden hätte. Doch die zivilisierten Völker waren dies nicht schon immer. Alle waren sie lange Zeit Wilde, und während der unendlich vielen Umwälzungen, die diese Erde erlitten hat, war die menschliche Gattung bald zahlreich, bald recht spärlich vertreten. Den Menschen widerfuhr das, was heute mit den Elefanten, Löwen und Tigern geschieht, Tierarten, deren Zahl stark abgenommen hat. In den Zeiten, wo nur wenige Menschen einen Landstrich bevölkerten, kannten sie nicht so viele Techniken, sie waren Jäger. Die Gewohnheit, sich von dem zu ernähren, was sie getötet hatten, führte dann leicht dazu, dass sie ihre Feinde wie ihre Hirsche und ihre Wildschweine behandelten. Aus Aberglauben brachten sie Menschenopfer dar, aus Notwendigkeit aßen sie andere Menschen.

      Was ist wohl das größere Verbrechen: sich andächtig zu versammeln, um einem mit Haarbändern geschmückten Mädchen zu Ehren Gottes ein Messer in das Herz zu stoßen, oder einen üblen Kerl aufzuessen, den man notgedrungen getötet hat?

      Wir haben jedoch viel mehr Beispiele von geopferten Mädchen und Jungen als von verspeisten Mädchen und Jungen. Fast alle bekannten Völkerschaften haben Jungen und Mädchen geopfert. Die Juden brachten sie zum Opfer dar. Das nannte man Weihegeschenk, es war ein regelrechtes Opfer, und es wird im 27. Kapitel, Vers 29, des Levitikus verfügt, keine Lebewesen, die geweiht waren, zu verschonen; doch nirgends wird den Juden vorgeschrieben, Menschenfleisch zu essen, es wird ihnen nur angedroht. Mose sagt, wie wir gesehen haben,* zu den Juden, dass sie, sollten sie seine Zeremonien nicht einhalten, nicht nur die Krätze bekommen werden, sondern dass die Mütter ihre Kinder essen werden. Es ist wahr, dass zur Zeit Ezechiels die Juden


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