Sophienlust Paket 4 – Familienroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
später schon ein geeignetes Heim finden.«
»Ich will aber nicht, dass sie in ein Heim kommt!« Die sonst so nachgiebige Grit zeigte sich in dieser Sache unerwartet hartnäckig. »Anja ist ein empfindsames Kind. Der Aufenthalt in einem Heim würde sie seelisch stark belasten. Sie würde verkümmern.«
David ging zu der großen Hausbar, ließ sich auf einem der hohen Stühle nieder und schenkte sich Whisky ein. »Willst du auch einen?«, fragte er und zeigte auf sein Glas.
Grit schüttelte den Kopf. »Fährst du mich nach Sophienlust?«, fragte sie.
David ließ den Alkohol in seinem Glas kreisen. »Tut mir leid, mein Herz, aber ich habe heute wirklich keine Zeit. Geschäfte, weißt du. Zwischendurch habe ich nämlich auch zu arbeiten. Das verstehst du doch?«
Grit ärgerte der überhebliche Ton, in dem er mit ihr sprach. »Gut, dann werde ich mit der Bahn fahren«, erklärte sie.
David hob sein Glas und lachte. »Weißt du, dass Sophienlust überhaupt keine Bahnstation hat? Du musst vom nächsten Dorf aus mit dem Bus fahren, und wenn du Pech hast, darfst du laufen.« Er trank genussvoll seinen Whisky.
»Das macht mir gar nichts aus«, erwiderte Grit eigensinnig. Dass David schon am frühen Morgen Whisky trank, passte ihr überhaupt nicht. Eigentlich hatte sie ihn so noch nie kennengelernt. War dies wirklich der Mann, mit dem sie ein Leben lang zusammen sein wollte?
Zum ersten Mal stiegen Zweifel in Grit auf. In einer Woche schon sollte die Hochzeit sein. Bisher hatte sie sich unbändig darauf gefreut. Sie war überzeugt gewesen, dass sie mit David das große Glück finden würde. Doch nun war sie dessen nicht mehr so sicher. War es nicht denkbar, dass dieser Mann sie eines Tages ebenso herzlos behandelte wie Anja?
»Schätzchen, so sei doch vernünftig.« Wieder sprach David in einem überheblichen, herablassenden Ton. »Morgen können wir über diese Fahrt reden, nur heute habe ich wirklich etwas anderes vor. Es ist ziemlich wichtig. Und es wird uns eine Menge Geld einbringen.« Er lachte geheimnisvoll.
»Um was geht es denn?«, fragte Grit, neugierig geworden.
David sah seine Braut sekundenlang durchdringend an. »Ich möchte nicht, dass du dich damit befasst«, sagte er dann kalt und schneidend. »Eine verwöhnte Frau sollte sich nicht um die Geschäfte ihres Mannes kümmern. Außerdem mag ich es nicht, wenn man mir nachspioniert. Das ist alles.«
Grit schluckte. Heimlichkeiten und Misstrauen? War dies die richtige Basis für eine Ehe? Nein, so hatte sie sich das Zusammenleben mit David eigentlich nicht vorgestellt.
»Ich dachte nur, dass ich dir vielleicht helfen könnte. Ich habe zu Hause in Schweden im Büro meines Bruders eine sehr verantwortungsvolle Stelle gehabt. Er kam oft, um mich vor Geschäftsabschlüssen um Rat zu fragen.«
David Danner lachte belustigt auf. Fast mitleidig sah er auf Grit herab. »Ich möchte, dass meine Frau ganz allein für mich da ist und nicht den Kopf voller Geschäfte hat. Dafür bist du viel zu hübsch, Grit. Frag nun nicht weiter. Glaube mir, es gibt viele Mädchen, die überglücklich wären, wenn man ihnen ein so sorgenfreies Leben anbieten würde.«
»Vielleicht. Aber ich möchte mit meinem Mann gern alles teilen. Auch seine geschäftlichen Interessen, seine Sorgen und seine Erfolge.«
Tränen spiegelten sich in Grits blauen Augen. Sie fühlte sich erniedrigt, gedemütigt.
»Ich mag aber lieber die romantischen Mädchen, die nur von Liebe träumen und nicht von Bilanzen.« David füllte sein Glas erneut.
»Morgen hast du vielleicht wieder etwas anderes vor«, kam Grit auf ihr Anliegen zurück.
»Schon möglich. Ein erfolgreicher Geschäftsmann ist nie Herr seiner Zeit. Daran wirst du dich gewöhnen müssen, mein Herz.«
»Dann werde ich doch mit dem Zug fahren.«
David leerte sein Glas in einem einzigen Zug. Er fuhr sich mit dem Handrücken über die Lippen. Seine dunklen Augen funkelten gefährlich. »Das wirst du nicht!«, erklärte er sehr bestimmt. »Aus dem einfachen Grund, weil ich es nicht will. Ich kann nicht zulassen, dass meine zukünftige Frau mit dem Zug fährt und in einen Bus umsteigt wie eine arme Landfrau. Ich werde dich schon nach Sophienlust bringen. Es hat doch überhaupt keine Eile. Außerdem könnte es doch auch sein, dass du dir die ganze Sache noch anders überlegst. So ein Kind ist eine Last. Das habe ich dir schon einmal gesagt.«
»Anja wird mir nie zu viel sein.«
Noch war Grit nicht bereit, nachzugeben. David sah es an dem unerschrockenen, furchtlosen Blick ihrer Augen und an den energisch zusammengepressten Lippen. War dies noch das Mädchen, das er so leicht beherrscht hatte? Das Mädchen, das ihm voll vertraut hatte?
»Hast du überhaupt schon mit der Heimleiterin gesprochen? Hast du ihr gesagt, dass du die Kleine mit dir nehmen willst? In Sophienlust muss man doch darüber rechtzeitig Bescheid wissen.«
Grit wurde es plötzlich heiß. Daran hatte sie noch gar nicht gedacht. Sie hatte sich in Gedanken immer nur mit Anja befasst, hatte überlegt, was der Kleinen Freude machen würde, und hatte sich Fachzeitschriften besorgt, um mehr über Schocks und deren Bekämpfung zu erfahren.
»Na, siehst du. Man sollte nie etwas überstürzen. Ich bin dafür, dass du heute zunächst einmal anrufst. Alles andere wird sich finden.« Davids Optimismus gewann wieder die Oberhand. Irgendwie würde das Problem Anja bestimmt zu lösen sein. Sicher würden ihm mit der Zeit so stichhaltige Argumente einfallen, dass sich Grit einer Überweisung der Kleinen in ein Heim nicht länger widersetzen würde.
»Dann sehen wir uns morgen. Rufst du mich an?« Grit hatte jetzt den dringenden Wunsch, das luxuriöse Heim ihres Verlobten so rasch wie möglich zu verlassen. Sie ekelte sich fast vor ihm. Liebte sie ihn vielleicht doch nicht so sehr, wie sie immer geglaubt hatte?
Grit hatte plötzlich Angst. Angst, den größten Fehler ihres Lebens zu begehen. Die Papiere waren eingereicht, der Hochzeitstermin stand fest. Es gab kein Zurück mehr.
»Okay, Schätzchen!« David war sehr zufrieden mit sich und kippte schon wieder einen Whisky. Als er das Glas absetzte, deutete er mit den Lippen einen Abschiedskuss an. Doch Grit erwiderte diese Geste nicht. Fast fluchtartig verließ sie den modernen Bungalow.
*
Seit jenem unglücklichen, nächtlichen Zwischenfall auf der Pferdekoppel waren die älteren Kinder von Sophienlust auffallend still. Auch ihr Appetit hatte merklich nachgelassen. Nur Waldi hatte keinen Schuldkomplex und fraß begeistert die jetzt so üppigen Reste.
»Bitte, spielt doch Versteck mit uns«, bettelte Heidi und hüpfte an Pünktchen hoch.
»Wir haben noch zu lernen.« Pünktchen sah auf Nick, als erwarte sie von ihm eine Bestätigung.
»Ist doch gar nicht wahr. Ihr habt eure Bücher schon eingepackt.«
»Na schön, euch zuliebe«, meinte Nick gnädig.
Heidi klatschte übermütig in die Händchen. Schon im nächsten Augenblick stimmten alle Kleinen von Sophienlust ein Freudengeschrei an. Wenn Nick und die älteren Kinder mitspielten, machte alles noch einmal so viel Spaß.
»Wir laufen zu der Pferdekoppel«, schlug der kleine Peter eifrig vor.
Nick schüttelte den Kopf. Nein, von der Pferdekoppel wollte er nichts mehr sehen und hören. Dort hatte er sich unsterblich blamiert. Es würde noch lange dauern, ehe er die Schmach überwunden haben würde.
»Dann spielen wir auf der Fohlenweide«, schlug Vicky vor.
Damit waren alle einverstanden. Frau Rennert wurde verständigt, und dann zog die kleine Schar los. Die jüngeren Kinder schwatzten und lachten, während die Größeren wortkarg waren und bedrückt wirkten.
Die Fohlenweide war ein eingezäuntes Gelände nahe dem Gut Schoeneich. Sträucher und Büsche gab es hier in Hülle und Fülle. Außerdem war der Wald ganz nahe. Verstecke gab es also mehr als genug.
Ȁnne,