Sophienlust Paket 4 – Familienroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
Schweigepflicht.« Am liebsten hätte er aufgelegt. Der Ton seines Gesprächspartners gefiel ihm überhaupt nicht.
»Sie sind ohnehin genau informiert? Warum stehlen Sie mir dann die Zeit? Das Wartezimmer ist voller Patienten, ich habe Hausbesuche zu machen und …«
»Weil ich Sie um eine Gefälligkeit bitten will, Doktor«, schnarrte der Anrufer. »Sie wissen, dass Therese Buchholz eine alte Frau ist, die nicht mehr lange zu leben hat.«
Helmut Amberg dachte an seine Patientin. Neunundsiebzig war sie, und ihr Kreislauf war tatsächlich so labil, dass es jeden Tag zu Ende gehen konnte. Doch erstaunlicherweise hielt dieser Zustand schon einige Monate lang an.
»Doktor, sind Sie noch da? Ich rate Ihnen nicht, aufzulegen. Sie könnten es bereuen. Bitter sogar.«
»Was wollen Sie eigentlich?« Dr. Amberg lehnte sich zurück. Drüben im Untersuchungsraum wartete ein Mann, der in der Nacht eine schwere Nierenkolik gehabt hatte. Nervös lauschte er in den Hörer.
»Eine Kleinigkeit nur. Sie spritzen Frau Buchholz täglich ein Kreislaufmittel. Wenn Sie etwas höher dosieren würden …«
»Das wäre Mord!«, empörte sich Helmut Amberg sofort.
»So hart würde ich das nicht ausdrücken.« Der Anrufer lachte gekünstelt. »Es wäre dem Schicksal ein wenig vorgegriffen, nichts weiter. Jeder muss einmal sterben, und bei Frau Buchholz kann es ohnehin nicht mehr lange dauern.«
»Sie verlangen von mir …« Der Arzt fasste den Hörer fester. Hatte er es mit einem Verrückten zu tun?
»Es macht Ihnen doch überhaupt nichts aus. Und niemand wird daran zweifeln, dass die alte Frau eines natürlichen Todes gestorben ist. Es weiß doch jeder, wie schlecht es ihr geht.«
»Niemals!«, keuchte Dr. Amberg. »Ich bin Arzt und kein Mörder!«
»Eine Weigerung könnte sehr unangenehme Folgen für Sie haben, Doktor!«
Dr. Amberg wusste, dass es keinen Sinn haben würde, nochmals nach dem Namen des mysteriösen Anrufers zu fragen. »Wollen Sie mich erpressen?«, fragte er. »Brauchen Sie Geld?«
»Dass Geld Ihnen nicht viel bedeutet, ist hinlänglich bekannt. Doch es gibt etwas, was wertvoller ist. Damit wird man Sie zum Handeln zwingen, Doktor. Das ist keine leere Drohung, das ist Ernst!«
Helmut Amberg schluckte. Er streckte den Arm aus, um die Verbindung zu unterbrechen. Doch der Kerl am anderen Ende der Leitung schien das zu ahnen. »Was Sie jetzt tun, kann Ihren Kindern das Leben kosten«, schrie er.
Die Hand des Arztes zuckte zurück. »Wie bitte?«, stöhnte er.
»Sie haben ganz richtig verstanden. Ich weiß, dass Sie Ihre Kinder in einem piekfeinen Kinderheim untergebracht haben. Es hat nur einen Fehler. Es ist nicht sicher genug. Hören Sie jetzt genau zu! Wenn Sie das tun, was ich verlange, passiert überhaupt nichts. Es ist für Sie eine Kleinigkeit. Sie besuchen die alte Dame ohnehin jeden Tag. Der einzige Unterschied wird sein, dass Sie eine größere Spritze nehmen. Es wird keinem auffallen.«
»Sind Sie wahnsinnig? Ich soll einen Menschen, der mir vertraut, der erwartet, dass ich ihm helfe, gemein hintergehen? Das können Sie nicht verlangen. Weder heute, noch morgen, noch zu einem anderen Zeitpunkt. Für solche Sachen gebe ich mich nicht her! Ist das klar?«
»Ich hätte Sie für klüger gehalten, Doktor. Liegt Ihnen denn gar nichts an Ihren Kindern? Wenn Sie meinen Forderungen nicht nachkommen, könnte es nämlich sein, dass Sie die lieben Kleinen nie mehr wiedersehen.«
»Das werden Sie nicht wagen. Ich werde sofort die Polizei anrufen und dafür sorgen, dass Sie ausfindig gemacht werden.«
»Zum Kriminalisten eignen Sie sich nicht, Doktor« Die widerliche Stimme klang höhnisch. »Lassen Sie die Polizei aus dem Spiel. Dann räume ich Ihnen auch bis morgen Bedenkzeit ein. Sie können sich also in Ruhe überlegen, was Ihnen lieber ist. Ihre Kinder oder Ihre alberne Arztehre.«
»Ich lasse mich nicht erpressen!« Der Atem Dr. Ambergs ging rasch. In Gedanken sah er Dany und Sanny vor sich, fühlte ihre schüchternen Zärtlichkeiten.
»Ausdrücke haben Sie, Doktor! Tttt … Tttt« Der Sprecher schien sich sehr sicher zu fühlen. »Wir machen ein kleines Geschäft, nichts weiter. Sicherheit für Ihre Kinder gegen eine kleine Gefälligkeit. Das werden Ihnen die Kleinen doch wert sein.«
Helmut Amberg horchte auf die Laute aus der Muschel. Er war ganz sicher, diese Stimme noch nie zuvor gehört zu haben. Wer war es, der mit einer so unverschämten Forderung an ihn herantrat? Wer hatte einen Nutzen vom vorzeitigen Tod der alten Frau? Dr. Amberg überlegte, was er von ihr wusste. Eigentlich kümmerte er sich um die persönlichen Verhältnisse seiner Patienten nie. Aber Frau Buchholz schien vermögend zu sein. Sie wohnte in einem großen Haus, hatte einige Dienstboten. Gehörte ihr nicht auch eine große Fabrik? Vielleicht sollte er sich genauer darüber informieren. Doch war es dazu nicht längst zu spät? Der Erpresser hatte die besseren Karten. Er drohte damit, Dany und Sanny umzubringen. Vielleicht war er sogar skrupellos genug, es auch zu tun.
Kalt und heiß lief es Helmut den Rücken hinunter. In ohnmächtiger Wut krampfte er seine Rechte um den Telefonhörer. Für ihn gab es im Moment nur eine Möglichkeit: den Kerl hinzuhalten. Er musste alles tun, um die Kinder zu retten. Für Eva hatte er damals nichts tun können. Jetzt hatte er das Leben seiner Kinder in der Hand.
»Hören Sie, ich komme erst morgen zu Frau Buchholz. Inzwischen werde ich mir alles noch einmal überlegen.« Dabei wusste er genau, dass es nichts zu überlegen gab. Niemals würde er den Eid brechen, den er als Arzt geschworen hatte. Den Eid, jedes Leben zu schützen. »Versprechen Sie mir, dass Sie zwischenzeitlich nichts unternehmen werden?« Die Gedanken des Arztes wirbelten wild durcheinander. Es war ganz klar, dass er bis morgen eine Lösung finden musste. Auf jeden Fall würde er Dany und Sanny in Sicherheit bringen. Aber darüber hinaus musste er auch herauszufinden versuchen, wer der anonyme Anrufer war. Würde die Zeit ausreichen?
»Sie können sich darauf verlassen. Nur eine Bedingung habe ich noch. Lassen Sie die Polizei aus dem Spiel. Sobald Sie sich mit ihr in Verbindung setzen, ist es um Ihre Kinder geschehen.«
»In Ordnung«, stöhnte der Arzt. Schweiß stand auf seiner Stirn.
»Gut. Dann rufe ich morgen irgendwann wieder an. Und denken Sie daran, keine Mätzchen!«
Ein metallisches Klicken verriet, dass der Gesprächspartner aufgelegt hatte. Dr. Amberg fuhr hoch, warf den Hörer auf den Apparat und rief nach seiner Sprechstundenhilfe. »Bitte, sagen Sie die Sprechstunde ab. Ich muss dringend weg.«
Das Mädchen im blütenweißen Kittel sah ihn überrascht an. »Der Nierenkolik-Patient hat wieder starke Schmerzen.«
»Ja. Ich sehe selbstverständlich gleich nach ihm.«
»Und da ist noch ein Unfall, der dringend verbunden werden muss. Eine Frau hat den Finger in eine elektrische Küchenmaschine gebracht. Sie blutet stark.«
»Bringen Sie die Patientin in den Verbandsraum und richten Sie bitte die Tetanus-Spritze.«
»Aber da ist noch ein kleiner Junge, der eine Nadel verschluckt hat.«
Dr. Amberg machte ein Gesicht, als hätte er fürchterliche Schmerzen. Nahmen denn die dringenden Fälle kein Ende? Er musste doch sofort nach Sophienlust. »Bringen Sie den Kleinen auch herein«, seufzte er. »Sind schon Röntgenaufnahmen gemacht worden?«
*
Eilig schlüpfte Dr. Amberg aus seinem weißen Kittel und griff nach seiner Lederjacke.
»Du willst weg?«, fragte da plötzlich eine hohe gurrende Stimme hinter ihm. Martha Thaler stand im Sprechzimmer. Sie trug ein buntschillerndes Kleid, das sie für besonders schick hielt.
»Ich muss. Es ist sehr eilig.«
»Aber für mich hast du doch noch Zeit. Ich habe nämlich wieder diese Nackenschmerzen.«
Dr. Amberg wusste genau, dass dies nur ein Vorwand