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Der Reiher. Giorgio BassaniЧитать онлайн книгу.

Der Reiher - Giorgio  Bassani


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und Knarren, als ob da drinnen jemand mit großer Anstrengung Möbel rückte.

      Er wartete eine Pause ab; dann klopfte er bescheiden mit den Knöcheln an das Wellblech.

      Eine Stimme fuhr ihn an, laut, zornig und doch zugleich auch Angst verratend:

      »Wer ist da?«

      »Ich«, antwortete er leise.

      »Wer ist ich?«

      Er zögerte. Er hörte da drinnen Schritte näher kommen, die schließlich stockten.

      »Limentani«, sagte er.

      »Wer?«

      »Li-men-ta-ni«, wiederholte er, ohne die Stimme zu erheben und plötzlich verwundert über seinen eigenen Namen und darüber, wie fremd die Silben im Freien widerhallten.

      Mit einem Ruck wurde der Rolladen hochgezogen.

      Es war wirklich Bellagamba; er erkannte ihn gleich; er war nur noch stärker, dicker und stierhafter geworden. Unter dem Unterhemd zeichnete sich seine Brust wie die einer Frau ab. Jäh von seinem alten Widerwillen gepackt, war er drauf und dran, sich umzudrehen und wieder zu gehen. Vielleicht war jetzt noch Zeit dazu.

      Aber es war schon zu spät. Der andere riß die Augen auf (hellblaue Augen); er hatte ihn erkannt.

      »Das ist aber eine Überraschung!« erklärte er mit gedämpfter Stimme.

      Er lächelte ihm zu, wie von der Freude übermannt, wobei er seine kleinen kräftigen Boxerzähne zeigte.

      »So eine Überraschung!« wiederholte er. »Aber wissen Sie, Herr Rechtsanwalt«, fuhr er flüsternd fort und blinzelte ihm, höflich beiseite tretend, komplizenhaft zu, »wissen Sie, daß Sie mir beinahe einen Schrecken eingejagt haben? Aber kommen Sie doch herein, ich bitte Sie! Es ist kalt draußen. Treten Sie näher!«

      Alles hätte er erwartet, nur nicht diesen herzlichen und so wortreichen Empfang (merkwürdig: Auch Bellagamba sprach wie jener William, der Mann Irma Manzolis, ein gewandtes, flüssiges, korrektes Italienisch). Wie dem auch sei, er war darüber nicht glücklich. Fast wäre ihm ein schlechter, feindseliger Empfang noch lieber gewesen, bei dem es ihm überlassen geblieben wäre, dann die Rolle des großmütig Verzeihenden, des vornehmen Herrn zu spielen, der über gewisse Dinge hinwegsieht. Und was sollte diese Pose des Mitverschworenen, in der sich Bellagamba gefiel? Rechnete er etwa damit, er könne ihn, wenn er ihn erst einmal in seine Höhle gezogen hatte, dazu bewegen, mit ihm gemeinsam den schönen Zeiten des faschistischen Imperiums oder gar der Republik von Salò nachzuweinen? Sicher wußte auch Bellagamba so gut wie jeder andere in Codigoro genau, was ihm im vergangenen April in der Montina zugestoßen war. Aber wenn er sich jetzt vielleicht einbildete, er würde bei ihm seinem Herzen Luft machen, dann hatte er sich gründlich geirrt. Er hatte gegen niemanden etwas, und schon gar nichts gegen Bellagamba. Aber, wohlverstanden, keine plumpen Vertraulichkeiten!

      Indessen war er eingetreten, übrigens mit dem Gefühl – vielleicht auch des ungemein starken Geruchs nach gebratenem Fisch wegen, der ihm schon auf der Schwelle schier den Atem benahm –, tatsächlich in eine Höhle zu kommen, in den Bau eines wilden Tieres. Er nahm seine Pelzmütze ab und sah sich um. Er befand sich in einem mittelgroßen, saalartigen Raum, der in fast vollkommene Dunkelheit getaucht war. Nur an der dem Eingang gegenüberliegenden Seite verbreitete auf einer Art Katheder eine Tischlampe mit grünem Seidenschirm ein wenig Licht.

      Das Katheder war freilich, wie er bald begriff, nur die Rezeption des Hotels; alles funkelnagelneu. Hinter dem Tisch, an der Wand, hingen an numerierten Haken, die in doppelter Reihe in der frisch gekalkten Wand angebracht waren, zehn oder zwölf Schlüssel. Mehr konnte er in dem schwachen Lichtschein nicht erkennen, aber es genügte ihm. Ihm genügte der Tisch der Rezeption mit den Schlüsseln an der Wand, um sich bewußt zu werden, wie wenig dieses Lokal, das der einstige Korporal der faschistischen Miliz zu einem Restaurant und Hotel gemacht hatte, der anspruchslosen ländlichen Schenke glich, wie sie in seiner Erinnerung existierte.

      Bellagamba war zurückgeblieben. Er hörte ihn leise fluchen: Der Rolladen wollte sich nicht wieder herunterziehen lassen. Dazwischen rief er ihm in Abständen zu, ja vorsichtig zu sein. Auf dem Fußboden stehe eine erst halb geöffnete Kiste mit etwas Schwerem darin – einer Schnellwaage; sie war gestern abend mit der Post aus Mailand gekommen. Er möge also aufpassen, daß er nicht darüber stolperte und sich weh tat.

      Aber schließlich kam auch Bellagamba. Er ging an ihm vorbei, nicht ohne ihn versehentlich anzustoßen und ihn in dem Augenblick, in dem er ihn streifte, mit dem Geruch seiner Achselhöhlen zu belästigen. Hinter der Bank der Rezeption drehte er einen neben den Schlüsseln befindlichen Schalter an. Dann saßen sie sich endlich bei dem nicht sehr hellen Licht einer großen Neonröhre gegenüber, die in der Mitte der Decke angebracht war, er in einem kleinen Sessel aus Kunstleder und Bellagamba sozusagen in seinem Büro, die breite Kieferpartie wie halbiert von dem gelben Licht der Lampe auf der Tischplatte vor ihm.

      Mehr denn je mit dem Gefühl, sich außerhalb der Welt zu befinden, wußte Edgardo nicht, wie beginnen. Irgend etwas zu sich zu nehmen kam nicht in Frage. Er hatte das Empfinden, daß sich sein Magen wie eine Faust geschlossen hatte.

      Doch Bellagamba kam ihm zu Hilfe.

      »Aber was hat Sie«, fragte er in einschmeichelndem Ton und auf einmal in den Dialekt übergehend, wobei er die wasserhellen Augen halb schloß, »entschuldigen Sie, was hat Sie in diese Gegend verschlagen? Sind Sie vielleicht zur Jagd nach Codigoro gekommen?«

      Angesichts seiner Kleidung erübrigte sich die Frage eigentlich. Aber der Ton, in dem sie gestellt worden war, einschmeichelnd und demütig – der Ton, in dem sich noch vor ein paar Jahren ein Bauer auf seinem Besitz an ihn hätte wenden können –, dieser Ton gab ihm ein Minimum an Selbstvertrauen zurück.

      Er nickte.

      »Ja«, bestätigte er dann. Tatsächlich sei er aus diesem Grunde gekommen – um ein paar Schüsse abzugeben. Aber ob er dazu noch kommen würde, fügte er in fragendem Ton hinzu und zweifelte plötzlich wirklich daran. Er habe sich verspätet, fuhr er fort. Um diese Zeit habe er längst in Volano sein wollen, ja schon um Viertel nach sechs. Wohingegen es jetzt (und er schob mit einem Finger den Ärmel zurück und warf einen Blick auf seine Armbanduhr) bereits nach sieben sei.

      Endlich entschloß er sich.

      Mit einem suchenden Blick rundum stand er auf.

      »Dürfte ich einen Augenblick die Toilette aufsuchen?« fragte er.

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