Audiovisuelles Übersetzen. Heike E. JüngstЧитать онлайн книгу.
eingesetzt. Ob man Soziolekt und Dialekt in irgendeiner Form in den Untertiteln wiedergeben soll, darüber streiten sich Theoretiker wie auch Praktiker. Eine Partei vertritt die Ansicht, man solle in Untertiteln nur Standardsprache nutzen, weil sie sich leichter liest.
Ein leises Unbehagen angesichts der Tatsache, dass der Text verändert wird, wenn soziolektale und dialektale Elemente in standardisierte Schriftsprache übertragen werden, gab es schon immer, und der typische Untertitelungsstil wird wieder und wieder in Frage gestellt (z. B. Bastian im Abstractband Leipzig 2010; Hamaidia 2007, Kaufmann 2004, Elefante 2004). Es stellt sich grundsätzlich auch die Frage, ob Untertitel als Schriftsprache wahrgenommen werden oder ob sie nicht eine eigene Kategorie zwischen gesprochener Sprache und Schriftsprache bilden (dazu auch Guillot 2007).
Dialekte und Soziolekte kommen weder in Filmen noch in Romanen oder Theaterstücken so gehäuft und in so komplexer Form vor, wie die vielen Forschungsarbeiten dazu suggerieren. Das Thema ist einfach nur reizvoll. Die Übersetzung von Dialekten und Soziolekten ist schon in Romanen und Theaterstücken schwierig; die Ergebnisse sind oft unbefriedigend, da nicht alle Konnotationen der ausgangssprachlichen Variante auch in der Zielsprache wiedergegeben werden können. Beim Platzmangel und Zeitdruck in den Untertiteln potenzieren sich diese Probleme.
Angenommen, Sie möchten einen Dialekt in irgendeiner Form im Untertitel darstellen, weil er für die Charakterisierung der betreffenden Figur sehr wichtig ist. Welchen Weg wählen Sie? Hängt Ihre Entscheidung mit dem Filmgenre zusammen? Mögliche Lösungen können Sie in den Untertiteln zu dem französischen Film Willkommen bei den Sch’tisWillkommen bei den Sch’tis (Bienvenue chez les Ch’tisBienvenue chez les Ch’tis, Frankreich 2008) finden; weiter unten sind aus diesem Film Vergleichsbeispiele von Untertiteln und Synchrontext abgedruckt. Für Soziolekte eignen sich Filme des italienischen Neorealismo (Neoverismo) und der französischen Nouvelle vague. Ein Film, der die französische Jugendsprache nutzt, darunter insbesondere das Verlan, ist L’esquiveL’esquive (Frankreich 2003, in Deutschland im Fernsehen 2005 Nicht ja, nicht neinNicht ja, nicht nein); Varianten französischer Jugendsprache findet man auch in Entre les mursEntre les murs (Die KlasseDie Klasse, Frankreich 2008). Sie sehen die Erscheinungsjahre: Die Filme spiegeln keinen aktuellen Sprachstand wider.
Oft werden auch in den Originalfilmen und in den Synchronfassungen nur sehr leichte dialektale Einfärbungen verwendet, die kaum ins Gewicht fallen. In solchen Fällen sollte man auf eine Markierung verzichten.
Eine Sprachvarietät, auf die bei der audiovisuellen Übersetzung sehr selten eingegangen wird, ist die FachspracheFachsprache, die doch sonst in der übersetzungswissenschaftlichen Literatur eine so große Rolle spielt. In DokumentarfilmenDokumentarfilm erwarten wir ohnehin fachsprachliche Elemente und geben sie ohne große Nachdenkensanstrengung als solche wieder, allerdings meist als Voice-over. Doch auch in Spielfilmen und Serien ist Fachsprache extrem häufig.
Darüber denken wir zwar auch bei der Synchronisation nach … Welche Fachsprachen erwarten Sie?
Hier einfach ein paar andere Beispiele als im Kapitel über Synchronisation: In den populären Weltuntergangsfilmen wird über Klimawandel und meteorologische und geologische Erscheinungen gesprochen, in anderen Katastrophenfilmen geht es um Viren und Genetik.
Viele dieser Spielfilme haben den Vorteil, dass zwischen Experten und Zuschauern eine Vermittlerfigur steht, zum Beispiel ein Reporter. Diese Vermittlerfigur hat dann die Aufgabe, den Experten zu einer Erklärung der Fachbegriffe zu bewegen. Falls es eine solche Figur nicht gibt, sollte der Untertitler diese Aufgabe nicht übernehmen, auch wenn es verlockend ist, sein Wissen weiterzugeben.
2.4.2 Mehrsprachigkeit im Film
Diese Erscheinung wird in Kapitel 3.5.2 anhand der Synchronisationspraxis ausführlich diskutiert, da sie dort ein weit größeres Problem darstellt. Doch auch bei der Untertitelung stellen sich Fragen, wie man damit umgeht, wenn mitten in einem englischsprachigen Film plötzlich Deutsch gesprochen wird.
Es werden zwar stets dieselben Filme zitiert (wie es auch im vorliegenden Buch geschieht), doch mit trafilm.net existiert eine Forschungsgruppe zu diesem Thema. Zur Untertitelung mehrsprachigermehrsprachig Filme siehe auch Bartoll (2006). Auch hier sollten Sie sich mit den Inglourious BasterdsInglourious Basterds beschäftigen (USA 2009) – nachdem Sie die Aufgabe im Kapitel Synchronisation bearbeitet haben.
Es gibt bei der interlingualen Untertitelung hier ähnliche Traditionen wie bei der Synchronisation, die man durchaus hinterfragen kann:
A special case requiring the use of quotation marks is when a ‚second foreign language‘ is used in the film or programme. Such cases call for judgment. Does the original audience understand, more or less, what is being said? Elementary Spanish in an American film or Italian in a French TV programme should normally be translated into e.g. Dutch, and quotation marks (or italics) used to indicate that another language is being spoken, but the audience is certainly not supposed to understand two foreigners conversing in Japanese in a Norwegian film. Even the most ambitious subtitlers should refrain from translating such conversations. (Ivarsson / Carroll 1998: 114f.)
Aber nur der hörende Zuschauer hört die Tonspur. Interlinguale Untertitel für das Kino sollten auch für hörgeschädigte Zuschauer geeignet sein. Und übrigens gab es Versuche mit der Mehrsprachigkeit schon bei ZwischentitelnZwischentitel für StummfilmeStummfilm:
Abel Gance thematisierte die Sprachübertragungsmethoden bereits in seinem ohnehin verblüffend originellen Film Napoléon – vu par Abel Gance (Napoleon, 1925-1927), in dem es einen Zwischentitel gibt, der durch Sätze in 4 verschiedenen Sprachen (Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch) das Sprachenwirrwarr im Lager des Feindes bei der Eroberung Toulons darstellen soll. Die Sätze flimmern gleichzeitig und hintereinander, horizontal und diagonal über die Leinwand und verbildlichen damit nicht nur das Durcheinander an Sprachen, sondern auch die sprichwörtliche Hitze der Diskussion. Ein paar Zwischentitel vorher heißt es denn auch: ‚Beim Kriegsrat der Feinde ging es zu wie beim Turmbau zu Babel‘. (Wahl 2003: 88)
Auch wenn in diesem Buch immer wieder Vorschläge gemacht oder Richtlinien bemüht werden: Treffen Sie Ihre eigenen Entscheidungen. Oft sind die besser, weil sie sich auf einen konkreten Fall beziehen.