Die Vögelfarm. Carrie FoxЧитать онлайн книгу.
tat sie das wirklich. Sie griff zum Telefon und tippte Ricardos Nummer ein. Marie-Claire hieß mit bürgerlichem Namen Maria Klarissa von Moosberg. Um ihren Namen aufzupeppen und jung und dynamisch zu wirken, nannte sie sich selbst Marie-Claire. Dieser Name klang weitaus melodischer als der echte und zerschmolz beim Aussprechen auf der Zunge, fand sie. Ihr spezieller Beruf brachte die seriöse Idee mit sich, einen einprägsamen Namen zu besitzen. Auch ihre angestellten Ladys trugen Pseudonyme. Um Stalkern vorzubeugen, die in die Privatsphäre der Angestellten eingreifen könnten, sah sie es als sie beste Lösung an, die Vornamen zu verändern.
Erst seit zwei Jahren hatte Marie-Claire sich ihre eigene Agentur für den speziellen Begleitservice aufgebaut, das entsprach ihrer offenen Art und ihrem Lebensstil. Sie hatte sozusagen ihr Hobby mit dem Beruf kombiniert, Menschen zusammenzubringen, indem sie Begleiterinnen für wohlhabende Herren anbot. Ihr Job bestand nicht nur aus eintönigen Vermittlungen, manchmal musste sie sich kluge Strategien einfallen lassen, damit den Herren etwas geboten wurde. Ihre Handlungen waren stets diskret. Es war sozusagen ihr spezielles Erfolgsgeheimnis, unter verdeckter Hand die besten und aufregendsten Verbindungen zu schaffen.
Und genauso wandte sie sich erneut ihrer Aufgabe zu, in der Datei nach einer passenden Begleitung zu suchen. Es sollte eine attraktive, junge Frau sein, die Englisch oder Französisch sprach. Ein Amerikaner hatte sich telefonisch gemeldet. Er war auf der Durchreise von Genf nach Wien und suchte für einen Messebesuch in Landsberg eine hübsche Frau zum Vorzeigen. Schlank, schwarzhaarig und gebildet waren seine Wünsche und Marie-Claire fand sogleich eine Dame, die diese Anforderungen erfüllte. Bella-Lolita war genau die Richtige. Alle Herren, die eine Begleit-Lady suchten, wollten Eindruck machen. Meist waren die Abende und die Nächte lang und Marie-Claire wusste genau, was dann abging. Sie selbst hielt sich zurück und begleitete niemanden beruflich. Privat angelte sie sich hin und wieder einen knackigen Kerl. So wie Ricardo. Ob es ihr gelingen würde, Susanna in dieselbe Richtung zu bringen, oder zumindest ihre Lust auf Männer zu wecken? Sie musste behutsam vorgehen, andernfalls würde Susanna wieder einen Rückzieher machen.
Susanna Ammerland schlenderte gut gelaunt durch die Stadt. Sie trug ihre halblangen, blonden Haare offen. Der Wind blies sie sanft in leichten Wellen nach hinten. Ihre Erscheinung war durchschnittlich bei einer unauffälligen Größe von einssechzig. Sie hatte keine Modelmaße, wie ihre Freundin Marie-Claire, besaß jedoch ein anziehendes Wesen, das nicht zuletzt wegen ihres strahlenden Lächelns jedermann sympathisch war. Ihre blauen Augen waren scheu und groß, wie die eines Rehs. Ihre süßen Grübchen auf den Wangen arrangierten sich perfekt mit ihrer Gestalt. Ihre angenehmen Rundungen saßen an der richtigen Stelle und ihre Gangart war gemütlich. Sie trug flache Sneakers, eine weit schwingende, hellgelbe Tunika und Jeans. Susanna begab sich nicht jedes Wochenende auf nächtliche Touren und Diskothekenbesuche. Wenn schon, dann besuchte sie ruhigere Lokalitäten, wie Restaurants oder Museen. Neben ihrem Job in einem Großraumbüro pflegte sie ihre Wohnung und ging in Hausarbeiten auf. Kochen war ihre Leidenschaft und Ordnung lag ihr im Blut. Die fast schon übertriebene Hausarbeit hatte sie sich während ihrer letzten Beziehung angewöhnt. Auf Dauer bot sich ihr jedoch keinerlei Abwechslung und brachte ihr keinen Ausgleich. Es fehlte etwas Neues, ein gewisser Kick. Sollte sie in ihrer Arbeit und in ihrem Haushalt etwa versauern?
Tief in ihrem Inneren spürte sie, dass sie ihr Leben ändern musste. Vielleicht reichte der Tipp ihrer Freundin aus, um Türen zu öffnen, die ihr bisher verschlossen geblieben waren? Susanna hatte vor drei Tagen einen Anruf von Marie-Claire bekommen, die ihr vorschlug, sich von einem Wahrsager beraten zu lassen. Und nun hatte sie sich auf den Weg gemacht, um eine spannende Sache zu erleben. Sie ging durch die größte von Münchens Einkaufsmeilen, bevor sie hinter der Kirche abbiegen musste. Während sie über ihre Lebenssituation nachdachte, war sie am Ziel angekommen. Einmal noch musste sie die lebhafte Straße im Münchner Stadtkern überqueren. Sie stand an der Fußgängerampel und wartete auf das grüne Zeichen, während sie ihre Umgebung als laut und unerträglich wahrnahm. Das ständige Vorbeirauschen der Autos und die vielen Menschen nervten sie. Vor dem Haus des Wahrsagers legte sie einen Finger auf den Klingelknopf. Er sei aus London nach München gezogen, um mit seinen seherischen Kräften den Menschen zu helfen und sein eigenes mystisches Label samt den dazugehörigen Räumen zu organisieren und aufzubauen, hatte Marie-Claire erzählt. Inzwischen sei er in der Szene bekannt. In Susannas Augen hatten solche Leute etwas Geheimnisvolles und Verruchtes an sich. Sie hatte von Scharlatanerie gehört, von Betrug und Abzocke, aber auch von Geschichten, die in einem Happy-End gipfelten.
Ob er ihr helfen konnte? Ein fremder Mann? Ihm sollte sie vertrauen? Marie-Claire hatte begeistert berichtet, was er alles über sie herausgefunden hatte, obwohl er sie am Anfang nicht kannte. Susanna war skeptisch, doch sie sah es als ihre Chance an, herauszufinden, ob sie in Zukunft die große Liebe finden würde. Ein Jahr ohne Freund und ohne Liebe war bitter genug. Es hatte sich der Wunsch gefestigt, eine neue Beziehung zu beginnen. Mit einer gemeinsamen Wohnung, Interessen, die man teilen würde und mit viel Sex. Susanna hatte in verschiedenen Cafés versucht neuen Anschluss zu finden. Bisher waren ihre Bemühungen umsonst gewesen. Sex hatte im vergangenen Jahr nicht stattgefunden und sie fühlte sich regelrecht ausgehungert. Sie hatte sich des Öfteren ertappt, Männern hinterher zu sehen und Fantasien zu genießen. Jemanden anzusprechen hatte sie sich nicht getraut. Obwohl sie sicher war, dass es Männer geben musste, die ihre fraulichen Kurven zu schätzen wussten, war ihr ein solches Exemplar bisher nicht über den Weg gelaufen. Mit dem Kontakt zu Männern haperte es, weil sie schüchtern war und sich distanziert benahm. Wie eine unsichtbare Schranke verhinderte ihre Angst, dass einer sie ansprach. Sie vergrub sich in ihrer Arbeit. Sie war Sekretärin in einem Großraumbüro und wohnte mitten in der großen, lauten Stadt. Eigenartig, dass man unter dermaßen vielen Menschen einsam sein konnte. München hatte Flair und versprach viel, was auf Susannas Leben aber nicht zutraf. Irgendwo musste es ihn doch geben, den Mann ihrer Träume.
Ricardo Foresee stand auf einem Emaille-Schild mit silbernen Sternchen. Foresee … hieß das nicht Vorsehung?
Susanna nahm all ihren Mut zusammen und klingelte. Schritte waren zu hören, ein leises Knacksen in der Tür. Sie öffnete sich. Ricardo Foresee stand vor ihr. Er war einen Kopf größer als sie, hatte schulterlanges, schwarz glänzendes Haar und einen durchdringenden Blick wie der Schauspieler Sky Dumont. Den graugrünen Augen nach würde ihm die Rolle eines Ganoven gut stehen. Susanna empfand seinen Blick als Provokation. Trotzdem wirkte er mit seinen weichen Gesichtszügen vertrauenswürdig. Seine Lippen waren zu einem angedeuteten Lächeln verzogen. Diese seltsame Mischung beeindruckte Susanna. Die unergründlichen Augen, die geheimnisvoll blickten, passten perfekt in sein Gesicht, das männliche Züge hatte. Als Ricardo zu sprechen begann, war Susanna fasziniert von den Bewegungen seiner vollen Lippen. Was er für einen schönen Kussmund besaß. Er lächelte, während er sie freundlich und bestimmend ansah. Je länger Sie ihm ins Gesicht sah, desto mehr verlor sie von ihrer Scheu und der Skepsis. Es fühlte sich an, als wollte er sie hypnotisieren.
»Sie sind sicher Susanna Ammerland?«, fragte er und gab ihr zum Gruß die Hand.
Er sprach gut Deutsch, nur ein Hauch von einem englischen Akzent war hörbar. Susanna griff zu und spürte den Bruchteil einer Sekunde etwas, das sie wie einen elektrischen Sog bezeichnen würde. Kurz und doch sehr intensiv. Ihre Hand zuckte zurück. Eigenartig, es fühlte sich wie ein kleiner Stromschlag an.
»Äh ja«, stammelte sie, ballte die Faust und rieb die Fingerkuppen am Daumenballen, um das eigenartige Gefühl von der Handfläche zu verbannen.
»Kommen Sie rein.« Er deutete in den Raum hinter sich und ging vor. Susanna betrachtete ihn von hinten. Er war schlank, trug ein blütenweißes, durchscheinendes Hemd, das sich an seine Taille schmiegte und die muskulöse Schulterpartie betonte. Was für ein kräftiger Rücken, er trainierte bestimmt, um so toll auszusehen. Er trug eine schwarze, eng anliegende Lederhose, die seinen knackigen Hintern betonte. Bei jedem seiner Schritte sah Susanna seine Muskeln spielen. Was für eine Erscheinung. Dieses Aussehen passte in Susannas Schema, was Männer betraf. Foresee war ein Traum aus Knackigkeit und Freundlichkeit. Die Kombination war perfekt. Die schlanken Seiten des Hinterns animierten zum Anfassen. Wie gern hätte Susanna gefühlt, wie sich seine prallen Muskeln unter ihren Fingern bewegten.