Die Vögelfarm. Carrie FoxЧитать онлайн книгу.
durch Ihre guten Gedanken sorglos sein. Das hängt wiederum mit dem Gehängten zusammen, der Sie warnt. Sie dürfen keine schlechten Eigenschaften zulassen. Gehen Sie einfach, wenn Ihnen eine Situation unangenehm vorkommt.«
»Okay«, sagte Susanna und war baff, wie nahe Ricardo an der Wahrheit war. Sie begriff, dass die heutige Sitzung sie in eine andere Spur lenken würde. Es war wie eine Bestätigung ihrer Gedanken. Sie fand ihre Überlegungen, was den Ortswechsel betraf, richtig und fühlte eine Kraft in sich aufsteigen, die sie glauben ließ, alles erreichen zu können, was sie sich wünschte.
»Der Baum des Gehängten spielt eine Rolle. Die Karte grenzt an die Lebenskarte, das heißt, dass eine Überraschung auf Sie wartet. Der Baum des Gehängten sagt ein persönliches Schicksal voraus. Es könnte ein Stammbaum sein, oder die Kraft ihres Rückgrates symbolisieren.« Ricardo grübelte Sekundenlang und schüttelte vage seinen Kopf, als könne er selbst nicht verstehen, was da vor ihm lag. »Die letzte Karte des Quadrats ist das Gericht. Diese Karte bedeutet Entscheidung, Befreiung und Erlösung. In Kürze werden Sie von Ihren Zweifeln, Ängsten und Sorgen befreit werden. Dies ist die Voraussetzung, dass Sie Ihren eigenen Weg gehen und sich frei entfalten können. Ihre Entscheidungen werden klug sein und mit der Zeit Früchte tragen.«
»Alles wird gut«, seufzte Susanna und fand, dass die Wahrsagerei tief in ihrem Unterbewusstsein einen Denkanstoß verursacht hatte, dem zu folgen es nun galt. Sie verstand, was sie tun sollte.
»Ich fasse noch einmal zusammen: Sie haben eine Änderung vor sich, ein bestimmtes Ereignis treibt Sie nach vorn und am Ende werden Sie Ihr Glück finden.«
»Haben Sie vielen Dank, Ricardo.«
»Denken Sie an meine Worte in jeder befremdlichen oder eigenartigen Situation, dann werden Sie schnell herausfinden, was auf Sie zukommt.« Sein Blick drang tief in sie hinein, als wollte er etwas Wichtiges in ihr Unterbewusstsein pflanzen. Dieser Typ könnte ihr gefallen.
Sie spürte nicht nur seine Magie, sondern etwas Faszinierendes, was sie nicht beschreiben konnte. Es wäre schön, wenn sie ihn wiedersehen könnte, doch das würde nur ihr Schicksal entscheiden können. Wer weiß, am Ende käme sie noch mit einem Wahrsager zusammen und nicht mit dem weißen Ritter ihrer Träume, der auf der Hohen Arkane zu sehen war.
Susanna atmete tief durch, als ihr bewusst wurde, dass die große Änderung, von der Ricardo gesprochen hatte, an ihr lag. Sie stand auf, zog die Strickjacke an, die sie über die Stuhllehne gehängt hatte, und gab Ricardo zum Abschied die Hand. Ihre Finger prickelten leicht, als sie seine Hand berührte. Irgendwie als stünde Ricardo ständig unter Strom. Bei jeder Berührung ihrer Hände funkte es.
»Ich wünsche Ihnen alles Glück der Welt«, sagte Ricardo mit Nachdruck. Susanna war ihm dankbar und ließ ihre Grübchen funkeln, als sie ihren Mund zu einem strahlenden Lächeln formte. Sie versprühte neue Lebensfreude, das war ihr in diesem Augenblick bewusst. Sie drückte ihm die vereinbarten fünfzig Euro in die Hand. Marie-Claire hatte ihr gesagt, das wäre ein Freundschaftspreis.
»Danke. Ich glaube, Sie haben etwas in mir ausgelöst. Ich fühle mich auf einmal so anders.«
»Wie meinen Sie das?«
»Irgendwie stärker, entschlossener. Haben Sie vielen Dank.«
Als Susanna die Räumlichkeiten verließ, war ihr, als beträte sie eine andere Welt. Das Sonnenlicht empfing sie, als wäre sie aus den stockfinsteren Tiefen der Erde nach oben aufgefahren. Sie blinzelte, bis sie sich an die Helligkeit gewöhnt hatte. Auch die lauten Geräusche der lebhaften Straße waren wieder da. Was für ein krasser Gegensatz zu dieser entspannenden Ruhe in Ricardos Räumen!
Marie-Claire … Susanna musste mit ihr sprechen. Vielleicht könnte sie ihr noch mehr Ratschläge geben, damit sie ihrem Ziel näher kam. Sie war schließlich ihre beste Freundin und hatte ihr schon oft geholfen.
Einsamer Jonathan
Die Julisonne schien auf das kleine Örtchen in Bayern. Unterpfaffenhofen gehörte zu München und lag weit von der Innenstadt entfernt. Die Landschaft war hügelig und geprägt von verstreuten Bauernhöfen. Das satte Grün der Wiesen und die vielen Wildblumen erfüllten die Frühsommerluft mit einem süßlichen Duft. Vogelgezwitscher begleitete Jonathans Weg. Er streifte durch die Wiesen, hielt seine Handflächen vom Körper abgespreizt nach unten, ließ sie von den Grashalmen kitzeln, und lauschte der Feldlärche. Es war warm, sodass Jonathan beschlossen hatte, ohne Shirt, nur mit langen Hosen und Gummistiefeln bekleidet, zu den Wiesen zu gehen. Dadurch würde sein Oberkörper bald eine knackige Bräune erhalten. Das passte zu seinem naturburschenhaften Aussehen, fand er. Er hatte sein braunes Haar bis in den Nacken wachsen lassen und sich seit Längerem nicht rasiert, sodass es an dichten Barthaaren nicht mangelte. Der plätschernde Wiesenbach faszinierte ihn, er floss über eine Natursteinstufe und das spritzige Wasser glitzerte in der Mittagssonne. Über den Bach spannte sich eine breite Holzbrücke, die bei jedem Schritt knarzte. Als er über die Brücke ging, hörten sich seine schweren Gummistiefel an, wie dumpfe Schläge auf eine Holztruhe. Der Bach teilte zwei große Wiesen voneinander, die Jonathan abwechselnd von seinen Rindern beweiden ließ. Heute war er unterwegs, um nach dem Rechten zu sehen. Ob die Zäune dicht waren, ob es den Tieren gut ging und ob der Unterstand intakt war, falls es ein Gewitter gäbe. Hier und da rüttelte er prüfend an einem Zaunpfahl. Alle Tiere standen zufrieden grasend in der Sonne, alles war normal, es gab anscheinend keine besonderen Vorkommnisse.
Jonathan stieß einen grellen Pfiff aus und alle Rinder hoben den Kopf oder wackelten mit den Ohren. Zenzi, seine Lieblingskuh kam sogleich gemächlich schaukelnd auf ihn zu, wurde jedoch am Stacheldrahtzaun gestoppt. Jonathan streichelte und kraulte ihre breite Stirn, dass seine Finger in den dicken weißen Locken versanken und bewunderte die Anhänglichkeit dieser Kuh. Sie sah ihn mit großen Kulleraugen an. Wunderbar geschwungene, weiße Wimpern verdeckten das halbe Auge. Jonathan hatte diese Rasse zur Zucht gewählt, weil sie für überdurchschnittlich gute Fleischerträge und einer hohen Milchleistung bekannt war. Zenzi und die anderen wurden als Original Simmertaler Fleckvieh bezeichnet und Jonathan war stolz darauf, aus eigener Zucht schon über zwanzig Rinder großgezogen zu haben.
»Wenn ein Mädel so treu wäre, wie meine Kuh …« Verträumt strich er seinen Vollbart mit den Fingern der rechten Hand glatt und dachte daran, wie schön es wäre, eine Frau zum Kuscheln und Reden zu haben, die an seiner Seite die leichten landwirtschaftlichen Arbeiten erledigte oder den Haushalt schmeißen könnte. Eine Frau wäre eine himmlische Gabe, die sein Leben komplettieren würde. Er würde alles mit ihr teilen, das Frühstück und die Gefühle. Selbst die Lust am Sex würde sich in Sekundenschnelle entfalten.
Ein unerklärliches Gefühl der Sehnsucht übermannte ihn und ihm wurde bewusst, dass er endlich mit dem Suchen anfangen musste.
Er kehrte zu der Brücke zurück. Das Wasser hatte einen besonderen Klang, wenn es unter der Holzbrücke hindurchfloss. Es gluckerte dumpf unter dem Holz und rauschte hell und spritzig auf der anderen Seite heraus. Jonathan liebte diese Geräusche. Er verweilte auf der Brücke und dachte nach.
Er war achtundzwanzig, der einzige Sohn eines senil werdenden Großbauern und auf der Suche nach einer Frau. Es wurde Zeit, dass Jonathan echte Liebe und von Herzen kommende Zärtlichkeit kennenlernen sollte. Zwar hatte er Versuch unternommen, die Richtige zu finden, ab und zu ergab sich auch ein One-Night-Stand, aber ansonsten war alles ergebnislos geblieben. Jonathan war naturverbunden, passte sich seiner Umwelt an und war einer, der wusste, was es bedeutete, mit der Natur und ihren unvorhersehbaren Ereignissen zu leben.
Vielleicht war das der Grund: sein Leben war typisch ländlich.
Die Hoffnung stirbt zuletzt, dachte er. Irgendwo da draußen, wo das Leben der Stadt pulsierte, wartete sie vielleicht auf ihn. Er lehnte sich auf das breite Geländer der Holzbrücke, kaute auf einem dürren Grashalm und blickte in den blauen Himmel. Hinter dem Hügel, etliche Kilometer entfernt, hörte das Landleben