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Die Frauen von Janowka. Helmut ExnerЧитать онлайн книгу.

Die Frauen von Janowka - Helmut Exner


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einfach mal drüber noch. Ich here so manches, und das merste is nit gut. In Europa braut sich was zusam. Meine Kusins reisen von der Schwarzmeerküste bis nach Ungarn, von Polen bis ins Deitsche. Den Kaisern in Estreich und Deitschland geht’s einzik um Macht. Wie es dem Poier geht, dem Arbeter oder gar dem Jid, kümmert se genauso wenig wie den Zar.«

      In diesem Moment kam eine Bäuerin mit der nächsten Butterlieferung, und die Plauderei war zu Ende. Friedrich verabschiedete sich, bestieg sein Pferd und rief »Bis zur nächsten Woche«, während Salomon ihm hinterherrief: »Griß dei Eltern von mir!« Dann wandte er sich lächelnd der Bäuerin zu.

      »Du bist heute so nachdenklich, Friedrich. Haben dir die Piroggen nicht geschmeckt?« fragte Karl, der Vater der Familie, nachdem die Mutter und die beiden Mädchen sich bereits vom Abendbrottisch entfernt hatten.

      »Ich denke darüber nach, was Salomon heute erzählt hat.«

      »Ach, der Salomon, der ist genauso wie sein Alter. Geht die Welt mal wieder unter? Oder hat der Blitz sein Lokus getroffen?«

      »Es ist meistens was dran, wenn der Salomon was erzählt«, mischte sich die Mutter vom anderen Ende der Küche ein.

      »Er sagt, dass die Schindels jetzt auch verkauft haben und nach Kanada auswandern«, sagte Friedrich.

      »Was?« schoss es gleichzeitig aus Karls und Christines Mund.

      »Natürlich sind die Zeiten schwierig, aber so war es fast immer«, sagte Karl in einer Mischung aus Aufgeregtheit, Trotz und Trauer.

      In den letzten Jahren hatten viele deutsche, aber auch polnische und ukrainische Bauern in der Region ihr Hab und Gut verkauft. Etliche Deutsche waren nach Ostpreußen gezogen, viele aber auch nach Übersee. Seit ein paar Jahren hörte man immer mehr von Kanada. In Kostopol und Tuczyn gab es sogar Plakate in verschiedenen Sprachen, mit denen für eine Auswanderung nach Kanada geworben wurde.

      »Trotzdem kann man nicht alles einfach im Stich lassen, was man sich mühselig aufgebaut hat«, sagte Karl. »Wir sind erst vor ein paar Jahren von Kopan hierher gezogen, weil es hier mehr und besseres Land für uns gibt. In ein paar Jahren kannst du dein eigener Herr sein und Gottlieb auch. Was meinst du, wie es da war, wo der Vater deiner Mutter herkommt? Er hat in Posen gelebt, hat sich da mühsam etwas aufgebaut, so wie sein Vater und sein Großvater vorher. Aber weil die Deutschen nicht mitgemacht haben beim polnischen Volksaufstand, ist es immer schwieriger geworden. Die wollten da einfach keine Deutschen mehr haben, vor allem keine Protestanten. Es ist immer wieder zu Gewalt gekommen, und schließlich hat mein Schwiegervater, ebenso wie viele andere, den Wagen vollgepackt und ist mit der gesamten Familie hierher gekommen, nach Wolhynien. Natürlich war es hier auch nicht leicht. Du weißt ja, dass unser Land in Kopan die größer werdende Familie nicht mehr richtig ernährt hat. Deshalb sind wir ja hierher gezogen. Und es geht uns doch hier richtig gut, oder nicht? Und dein Onkel Robert hat aus der kleinen Weberei deines Großvaters eine angesehene Tuchfabrik gemacht.«

      »Natürlich, es ist wunderbar hier«, entgegnete Friedrich, der sich von seinem Vater ernst genommen fühlte, wenn dieser wie jetzt mit ihm redete. »Ich habe ja auch nur gesagt, was der Salomon erzählt hat. Aber irgendwie hat er trotzdem Recht. Und die Schindels haben auch Recht, wenn sie sich entschlossen haben, nach Kanada zu gehen. Seit einiger Zeit werden immer mehr Deutsche in die Armee des Zaren gesteckt. Vier, fünf Jahre müssen sie da dienen. Viele bekommen von der Bank kein Darlehen mehr, um Land zu kaufen, Pachtverträge werden nicht verlängert. Ich habe manchmal den Eindruck, als ob man uns aus diesem Land rausekeln will.«

      »Dummes Zeug!« brüllte Karl. »Wolhynien, die ganze Ukraine, ja das gesamte Zarenreich ist doch angewiesen auf uns. Katharina die Große hat die Deutschen mit Kusshand ins Reich geholt. Und auch wir, obwohl wir viel später gekommen sind, haben etwas geleistet und dafür viele Freiheiten bekommen. Und so wird es auch bleiben. Wir haben unsere deutschen Kirchen und Schulen. Dies ist die einzige Gegend in diesem riesigen Reich, in dem jeder lesen und schreiben kann. Es gibt Deutsche in der russischen Verwaltung, es gibt deutsche Offiziere in der Armee des Zaren. Wir sorgen dafür, dass es keine Hungersnot gibt – aus welchem Grund sollte der Zar uns hier rausekeln wollen?«

      Karl redete sich in Rage, während Christine sich wieder an den Tisch gesetzt hatte und zu beschwichtigen versuchte: »Ist ja richtig, Karl. Aber bitte etwas leiser.«

      Karl war ein grantiger Mann, der seine Meinung stets lautstark vertrat und durch abrupte Gesten unterstrich. Manchmal haute er auf den Tisch, dass die Teller hüpften. Wer ihn nicht kannte, konnte es da schon mal mit der Angst bekommen. Für seine Familie und die Nachbarn war dieses Verhalten ganz normal. Das war halt der Karl, den sie kannten. Wenn er sich über seine Söhne ärgerte, weil sie etwas angestellt hatten, drohte er ihnen lautstark an, was ihnen blühe, sobald er ihrer habhaft würde. Er brüllte ihnen dann manchmal hinterher, dass sie sich den Hintern lieber mit einer Speckschwarte einreiben sollten, schnitt eine Rute vom Haselnussstrauch und fuchtelte drohend damit herum. Wenn sie dann nach einiger Zeit tatsächlich wieder in seine Nähe kamen, war der ganze Ärger schon wieder verpufft, und es passierte nichts. Allenfalls zog er ihnen am Ohr und sagte: »Wenn ihr das noch mal macht, dann gnade euch der Allmächtige!« Vermutlich hatte er selbst so viel auf dem Kerbholz, dass es ihm unnatürlich erschienen wäre, wenn seine Söhne anders gewesen wären. Gefährlich wurde es nur, wenn er leise wurde. Aber das kam selten vor. Karl hatte einen ausgeprägten Sinn für Humor, je drastischer, desto besser. Er scheute auch nicht davor zurück, Respektspersonen wie den Lehrer zum Mittelpunkt eines deftigen Witzes zu machen. Als der Pastor diesen anlässlich seines Besuches in einer Versammlung in höchsten Tönen für seine gute Arbeit lobte, streckte dieser vor Stolz die Brust vor. Karls lautstarker Kommentar: »Richard, jetzt brauchst du dir nur noch einen Federbusch in den Arsch zu stecken, dann gehst du glatt als Pfau durch.« Christine hätte im Boden versinken können. Aber die Gemeinde prustete vor Lachen und der Pastor sagte mit seiner lauten Stimme: »Das ist der Karl, wie wir ihn kennen. Ohne seine Kommentare wären wir ärmer.« Und niemand nahm es ihm übel, weil jeder wusste, dass er sozusagen eine Seele von Mensch war. Wenn irgenwo Hilfe gebraucht wurde, war er da. Er packte mit seinen kräftigen Händen zu, ohne zu fragen. Wie alle in der Familie, war er nicht sehr groß gewachsen, im Laufe der Jahre dafür aber umso mehr in die Breite gegangen. Er konnte noch immer einen Balken allein schleppen, den seine Söhne nur gemeinsam zu transportieren im Stande waren.

      Christine war das genaue Gegenteil ihres Mannes, ein Vernunftsmensch. Was sie sagte, war gut durchdacht und galt. Die Kinder erledigten, was sie ihnen auftrug. Und Karl war überzeugt, dass seine Frau mit besonderem Verstand gesegnet war. Wenn sie ihn bat, dies oder jenes zu tun, rief er manchmal: »Zu Befehl, General.« Wenn jemand aus dem Freundeskreis ironisch bemerkte, dass Christine alles gut im Griff zu haben scheine, gab er zur Antwort: »Ich bin der Herr im Haus. Was meine Frau sagt, wird gemacht.« Wenigstens einer in der Familie muss ja vernünftig sein, dachte Christine. Wenn schon der Mann sein kindliches Gemüt nicht ablegen konnte, war es halt an der Frau, für Ordnung zu sorgen. Aber sie liebte ihn einfach, wie er war. Um nichts in der Welt wollte sie einen Griesgram oder einen Tyrannen im Hause haben. Bei Karl wusste man immer, woran man war. Er sagte frei heraus, was er dachte.

      Heute allerdings war Karl doch etwas nachdenklich geworden und sinnierte über das nach, was sein Sohn Friedrich ihm berichtet hatte. Die Arbeit war für diesen Tag geschafft, und er saß im Garten hinter dem Haus.

      Himmel, Arsch und Wolkenbruch, dachte er, es können doch nicht alle weggehen. Seit Jahren geht das nun so. Ich bleibe. In meinem Alter kann ich doch nicht alles aufgeben und irgendwo anders, in Deutschland oder in Kanada oder sonstwo, völlig neu anfangen. Mit nichts.

      Nach einer Weile kam Christine aus dem Haus, tätschelte ihrem Mann die Schulter und sagte: »Mach dir keine allzu großen Sorgen. Es gibt immer einen Weg. Am besten, du kommst jetzt erst mal rein und schläfst dich aus. Morgen früh sieht alles schon wieder ganz anders aus. Wir müssen sehr früh aufstehen.«

      »Wie jeden Tag«, antwortete Karl.


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