Der kleine Fürst Staffel 13 – Adelsroman. Viola MaybachЧитать онлайн книгу.
Auf Sternberg lebten sie schon lange. Elisabeth und Leopold hatten die Kants vor über zehn Jahren gebeten, hierherzuziehen, damit Christian nicht ohne andere Kinder aufwachsen musste. Damals wussten sie bereits, dass ihr kleiner Sohn ein Einzelkind bleiben würde. Und so waren Sofia und Friedrich mit ihren Kindern Konrad und Anna nach Sternberg gekommen. Besonders Anna und Christian hatten sich sofort eng aneinander angeschlossen. Heute war Anna dreizehn, Konrad sechzehn Jahre alt.
»Wir schaffen es«, wiederholte Sofia. »Aber es gibt immer wieder Tage, an denen die Trauer übermächtig wird, Annabelle. Dunkle Tage, an denen ich denke, dass ich es nicht aushalte, nie mehr mit Lisa sprechen zu können. Natürlich trauere ich auch um Leopold, wie wir alle. Aber Lisa war der Mensch, der mir am nächsten stand, wir sind zusammen aufgewachsen, haben über alles miteinander sprechen können. Sie fehlt mir so sehr.«
Hastig tupfte sie sich über die Augen. »Manchmal denke ich, dass Christian reifer mit seiner Trauer umgeht als ich. Jeden Tag besucht er die Gruft seiner Eltern und erzählt ihnen in Gedanken, was ihn bewegt. Er tut einfach so, als wären sie noch da, auch wenn er sie nicht sehen kann. Und wenn dann hinterher das Lied eines Vogels erklingt, nimmt er das als Zeichen dafür, dass seine Eltern ihn gehört haben und noch immer bei ihm sind und in gewisser Weise über ihn wachen.«
»Was für eine schöne Vorstellung«, erwiderte Annabelle. »Ich kann mir schon denken, dass ihm das hilft, seine Trauer zu bewältigen.«
»Ich habe versucht, es wie er zu machen, aber das scheitert schon daran, dass ich es nicht über mich bringe, den Hügel zu betreten. Es bricht mir einfach das Herz, den Namen meiner Schwester und meines Schwagers auf einer Gruft zu lesen, mit Geburts- und Todestag.«
Sie sah aus dem Fenster, wo am hinteren Ende des Schlossparks, kurz bevor er in Wald überging, eine kleine Anhöhe zu sehen war. Das war der Familienfriedhof und somit der Ort, den Christian jeden Tag aufsuchte, um dort mit seinen Eltern zu ›sprechen‹.
»Das ist doch auch in Ordnung, Sofia. Jeder Mensch muss seinen eigenen Weg finden, mit Trauer umzugehen. Du machst es anders als Christian, andere Menschen machen es wieder anders. Du denkst viel an deine Schwester, und sollte sie noch irgendwo sein und dich sehen können, so weiß sie das. Ihr seid einander immer so nah gewesen, in gewisser Weise, denke ich mir, kann euch auch der Tod nicht trennen.«
Die Baronin lächelte unter Tränen. »Das hast du schön gesagt, Annabelle. Ich danke dir für deine Worte.«
Als sie Stimmen in der Eingangshalle hörten, tupfte sich Sofia ein letztes Mal die Augen trocken. »Wir haben Besuch«, sagte sie. »Kennst du Florian von Damm?«
»Nein, wir sind uns nie begegnet, aber ich habe seinen Namen in letzter Zeit öfter gehört. Er macht sich einen Namen als Pferdetrainer, nicht wahr?«
Noch während Sofia nickte, wurde die Tür geöffnet. Friedrich und Florian traten ein.
Auch Friedrich freute sich sehr, Annabelle zu sehen, er begrüßte sie ebenso herzlich, wie Sofia es zuvor getan hatte. Danach stellte er Annabelle und Florian einander vor, die sich sofort sympathisch waren.
»Schade, dass ich wieder fahren muss«, sagte Annabelle eine Viertelstunde später, »aber jetzt wird es wirklich höchste Zeit für mich, ich sollte längst weg sein.«
»Dann halten wir dich nicht länger auf, du kommst ja bald wieder, Annabelle«, erwiderte die Baronin.
Sie begleiteten die junge Frau zum Hauptportal. Eilig stieg Annabelle in ihren Wagen. Sie hupte mehrmals, während sie die lange Auffahrt in recht hoher Geschwindigkeit hinunterfuhr.
»Die ist ja richtig nett«, stellte Florian fest.
»Ja, das ist sie. Sie war länger in Frankreich, wir hatten sie deshalb eine Weile nicht gesehen.«
»Was macht sie beruflich?«
Sofia lächelte. »Sie fängt zum nächsten Schuljahr als Referendarin für Französisch und Deutsch an einem Gymnasium an und wollte vorher ihr Französisch noch einmal auffrischen.«
»Ich sollte mich auch bald auf den Weg machen«, seufzte Florian. »Aber es fällt mir immer schwer, Sternberg zu verlassen. Bei euch wird auch viel gearbeitet, aber trotzdem kommt es mir hier oben auf eurer Anhöhe immer so vor, als hätte ich eine andere Welt betreten.«
»Das geht allen so, uns auch«, stellte der Baron fest. »Ich hoffe, du nimmst unser Angebot an, Florian, dann kannst du für eine Weile richtig in unsere andere Welt eintauchen.«
Florian nickte nur, erwiderte jedoch nichts.
Der Baron drängte ihn nicht weiter. Er wusste ja, dass Florian noch einiges zu klären hatte, bevor er eine Entscheidung fällen konnte.
*
»Wieso ist Flo denn schon wieder weg?«, fragte Anna von Kant empört. »Er hätte doch wirklich warten können, bis wir aus der Schule zurück sind!« Sie war ein niedlich aussehendes Mädchen mit blonden Locken, unverkennbar die Tochter ihrer Mutter.
»Wenn das möglich gewesen wäre, hätte er sicherlich gewartet, Anna«, erwiderte Baronin Sofia. »Er hat viel zu tun, und vielleicht nimmt er ja das Angebot an, für eine Weile hier zu arbeiten. Wir wären darüber sehr froh. Dann seht ihr euch jeden Tag.«
»Wie schätzt ihr denn die Chancen ein, dass er das Angebot annimmt, Tante Sofia?«, fragte Christian von Sternberg.
Er war fast einen Kopf größer als seine jüngere Cousine. Schmal war er, mit dunklen glatten Haaren, die er ziemlich lang trug. Wer ihm in die Augen sah, erkannte schnell, dass er mit seinen fünfzehn Jahren schon viel Leid erfahren hatte. Aber er konnte auch lachen und ausgelassen wie ein ganz normaler Teenager sein.
»Er ist daran interessiert, hat er gesagt, aber natürlich will er noch darüber nachdenken. Das ist ja ein gewaltiger Schritt, Chris. Bisher war er immer angestellt, für eine bestimmte Zeit. Das bedeutet Sicherheit, und die gibt man nicht leichtfertig auf.«
»Ich fände es schön, wenn er eine Weile hier wäre«, warf nun der sechzehnjährige Konrad ein. »Er ist ein guter Typ, sagt immer klar, was er denkt, und er kann toll mit Pferden umgehen. Wisst ihr noch, wie er einmal diesen wilden Rappen, der jemandem unten im Dorf durchgegangen war, beruhigt hat? Die wollten schon einen Tierarzt holen, damit der das Pferd betäubt. Florian ist auch ohne Spritze mit ihm fertig geworden.«
Ihnen fielen noch weitere Geschichten über Florian ein, und schließlich endete das Gespräch mit dem einhellig geäußerten Wunsch, er möge das Angebot des Barons annehmen und eine Weile bei ihnen auf Sternberg wohnen und arbeiten.
*
Gabriela schien es nicht aufzufallen, wie still Florian blieb, während sie ihm von der Party erzählte, auf der sie kürzlich zusammen mit Robert und Philipp gewesen war. Er hatte sich schon mehr als einmal überlegt, ihr ganz direkt zu sagen, was er für sie empfand, und jedes Mal hatte er sich letzten Endes dagegen entschieden. Er hatte Angst vor der Antwort, die er im Grunde seines Herzens zu kennen glaubte: Er war ihr bester Freund, und in den besten Freund verliebte man sich nicht.
»Wann willst du dich denn endlich entscheiden?«, erkundigte er sich. »Ich verstehe, ehrlich gesagt, überhaupt nicht, wie das geht, Gaby. Man kann doch nicht gleichzeitig in zwei Männer verliebt sein.«
»Sie gefallen mir nun einmal beide, und ich sehe nicht ein, dass ich nur noch mit einem von beiden ausgehen soll, wenn ich sie doch beide gernhabe.«
»Gern hast du mich auch«, erklärte er und wartete mit bebendem Herzen auf ihre Erwiderung.
Die kam prompt und fiel so anders aus, als er es sich wider besseres Wissen erhofft hatte, dass seine Stimmung augenblicklich auf den Nullpunkt sank. Sie brach nämlich in vergnügtes Gelächter aus. »Das kann man nun wirklich nicht vergleichen, Flo! Du bist mein Freund, mit dir rede ich über alles, bei uns prickelt es nicht.«
Er musste mehrmals schlucken, bevor er mit einigermaßen neutraler Stimme fragen konnte: »Und bei Robert und Philipp prickelt es?«
»Ja, natürlich,