Sophienlust Staffel 15 – Familienroman. Elisabeth SwobodaЧитать онлайн книгу.
Fernau verbrachte den Samstagabend in einem exklusiven Pariser Nachtklub. Für den Sonntag waren keine Dreharbeiten angesetzt.
»Also können wir ruhig einmal ein bisschen über die Stränge schlagen«, sagte John zu Carsta und drückte ihre Hand, die unter dem Tisch in seiner Hand lag. »Wir müssen ja morgen früh nicht aufstehen.«
Sie lächelte ihm kokett zu. »Was schlägst du vor?«
»Dass wir uns von den anderen absetzen«, lautete prompt seine Antwort. »Ich möchte mit dir allein sein, Carsta.«
»Warum?«, fragte sie scheinheilig.
»Das weißt du ganz genau.« Seine Stimme hatte sich um einige Nuancen verdunkelt. »Seit Rom waren wir nicht mehr allein aus. Nur immer mit einer Riesenclique. Das geht mir allmählich auf die Nerven.« Er rührte unwillig in seinem Kaffee, der den Abschluss eines delikaten Essens bildete. »Lass uns einfach verschwinden«, drängte er. »Wir könnten irgendwo noch eine Flasche Champagner trinken. In einer schummrigen kleinen Bar. Davon gibt es in Paris so viele. Du kennst diese Stadt noch gar nicht richtig.«
»Dann werde ich sie heute Nacht kennenlernen«, sagte Carsta entschlossen. »Mit dir.«
Sie strich ihm über den Nacken. Ein Reporter fing diese Geste mit seiner Kamera ein. Doch das merkte Carsta nicht. Sie hatte an diesem Abend nur Augen für John, den männlichen Hauptdarsteller des Films. Am Nachmittag hatte sie mit ihm zusammen die ersten Liebesszenen gedreht. Am Ufer der Seine hatten die beiden sich küssen müssen. »Leidenschaftlich«, hatte der Regisseur verlangt. Und John hatte Carsta in die Arme genommen. Doch die Leidenschaft, die er dann entwickelt hatte, hatte alle Erwartungen des Regisseurs übertroffen. Und der Kameramann hatte vor Staunen aufgeblendet statt abgeblendet. Natürlich war damit die Aufnahme kaputt gewesen, und die Szene hatte von vorn beginnen müssen.
Bebend hatte Carsta in Johns Armen gelegen. Sie hatte vergessen, dass sie nur eine Filmszene spielte.
»Großartig«, hatte der Regisseur gerufen. Er war begeistert gewesen und hatte Carsta für eine begnadete Schauspielerin gehalten. Dass sie die Leidenschaft nicht gespielt, sondern wirklich empfunden hatte, hatte er nicht geahnt.
Als die Filmclique das Restaurant verließ, verschwanden Carsta und John. Mit einem Taxi fuhren sie nach Montmartre und bummelten Arm in Arm durch die belebten nächtlichen Straßen. Schließlich landeten sie in einer versteckten kleinen Bar.
»Hier findet uns kein Reporter«, sagte John. Er bestellte Champagner.
»Auf uns!« Er hob sein Glas und prostete ihr zu.
Carsta stieß mit ihm an und ließ geschehen, dass er seinen Arm um sie legte und sie an sich zog.
Neben ihnen saß ein junges Pärchen, das auf französisch miteinander flüsterte und sich zwischendurch immer wieder küsste.
John schaute den beiden nicht lange zu. Er zog Carsta in seine Arme und küsste sie ebenfalls.
»Du bist verrückt«, flüsterte sie.
»Stimmt auffallend. Verrückt nach dir.«
»Seit wann? Seit heute Nachmittag?«, fragte Carsta. Sie dachte keine Sekunde an ihren Mann oder an ihr Kind.
»Seit Rom«, antwortete der hühnenhafte Amerikaner. »Seit ich dich zum ersten Mal sah.«
Er zog sie wieder an sich. Carsta wehrte sich nicht. Sie erwiderte seine Küsse und hatte auch nichts dagegen, als er vorschlug, in eine andere Bar zu gehen. Dort tranken sie wieder Champagner.
Als schon der Morgen dämmerte, fuhren sie zum Fischmarkt. Und als der Tag anbrach, kehrten sie in ihr Hotel zurück.
*
Als Carsta an diesem Morgen in Paris zu Bett ging, war Daniel bereits auf dem Weg nach Sophienlust.
Eigentlich hätte er zu Anjuta fahren und ihr von seinem Misserfolg berichten müssen, doch das brachte er nicht fertig. Deshalb hatte er seinen Besuch in Sophienlust angekündigt.
Ulrike erwartete ihn vor dem Haus. »Vati!« Sie hing schon an seinem Hals, kaum dass er aus dem Wagen ausgestiegen war.
Daniel nahm sie auf den Arm und vergaß vorübergehend alle Sorgen. »Ich habe schon gestern auf dich gewartet«, sagte sie.
»Ich weiß.«
»Bleibst du den ganzen Tag hier?«
Er nickte. »Bis zum Abend.«
»Toll. Ich hatte nämlich schon Angst, dass du gleich wieder wegfahren würdest.«
»Aber nein«, sagte Daniel. Dann zuckte er zusammen. Denn auf seinem Fuß spürte er plötzlich etwas Warmes. Er schaute hin und musste lachen. Da saß auf seinem Schuh gemütlich ein weißer Hase und begann sein Hosenbein anzuknabbern.
»Das ist Schneeweißchen«, klärte Ulrike ihn auf.
»Aha. Und woher kommt Schneeweißchen?«
»Aus dem Stall. Er darf herumlaufen, weil er so brav ist. Er läuft nämlich nie weg.«
Daniel betrachtete besorgt seine Hosenbeine. »Meinst du nicht, dass wir ihm etwas zu fressen geben sollten? Vielleicht hat er Hunger.«
»Er hat doch schon etwas gekriegt. Von Justus.« Sie bückte sich und nahm Schneeweißchen auf den Arm. »Er hat noch einen Bruder. Der heißt Rosenrot. Die beiden gehören Heidi. Aber ich darf auch mit ihnen spielen. Willst du Schneeweißchen einmal auf den Arm nehmen, Vati?«
»Lieber nicht. Sonst knabbert er mir auch noch meine Krawatte an. Und ich trage gerade heute meinen Lieblingsbinder.«
»Ach so.« Ulrike setzte das Häschen ins Gras.
Dabei registrierte Daniel, dass seine Tochter nicht mehr so blass war wie vor einer Woche. Ihr Nacken und ihr Gesicht waren leicht gebräunt. »Wie gefällt es dir in Sophienlust?«
Sie schaute zu ihm auf. »Die Kinder sind alle lieb.«
»Dann gefällt es dir also?«
Ulrike betrachtete intensiv ihre Schuhspitzen. »Ja …, aber ich weiß nicht …« Sie wusste es offensichtlich wirklich nicht genau.
Daniel beugte sich zu ihr hinab. »Was gefällt dir denn nicht in Sophienlust?«
»Dass du nicht da bist, Vati.«
Gerührt streichelte er ihr Haar. »Das stört mich auch.« Er nahm sie bei der Hand. »Wollen wir ein bisschen spazieren gehen? Oder möchtest du lieber Auto fahren?«
»Auto fahren«, antwortete Ulrike spontan.
Nachdem Daniel der Heimleiterin Bescheid gesagt hatte, unternahm er mit Ulrike einen kleinen Ausflug in die Umgebung von Sophienlust. Glücklich saß die Kleine auf dem Rücksitz und erzählte ihm von Sophienlust.
Anfangs hörte Daniel ihr aufmerksam zu. Doch nach kurzer Zeit schon merkte er, dass seine Gedanken abschweiften. Früher hatte ihn die Gegenwart des Kindes immer getröstet. In Ulrikes Nähe hatte er seine Probleme am ehesten vergessen können. Doch diesmal gelang ihm das nicht. Immer wieder kehrten seine Gedanken zu Anjuta zurück – und seinem Sohn, der irgendwo bei fremden Leuten aufwuchs.
»Bist du traurig, Vati?«, fragte Ulrike leise.
Daniel kehrte in die Gegenwart zurück und schüttelte schnell den Kopf. »Nein, mein kleiner Schatz. Nur nachdenklich.«
»Denkst du über Mutti nach?«
Verblüfft wandte er den Kopf. »Ja, das auch.« Er dachte an das letzte Gespräch mit Carsta, daran, dass sie seine Bitte um finanzielle Unterstützung kalt und entrüstet abgelehnt hatte. »Hast du manchmal Sehnsucht nach Mutti, Ulrike?«
Mit großen Augen schaute sie zu ihm auf. Aber sie sagte nichts.
Keine Antwort ist auch eine Antwort, dachte Daniel und bremste. »Magst du ein Eis essen?«
»O ja.«
»Dann