Der Stechlin. Theodor FontaneЧитать онлайн книгу.
mit einem Pflaumenbaum dahinter, dessen einer Hauptzweig aus dem Nachbargarten her in den der Domina herüberreichte.
Rex führte die Tante. Dann folgte Woldemar mit Hauptmann Czako, weit genug ab von dem voraufgehenden Paar, um ungeniert miteinander sprechen zu können.
„Nun, Czako“, sagte Woldemar, „bleiben wir, wenn’s sein kann, noch ein bisschen weiter zurück. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie gern ich in diesem Garten bin. Allen Ernstes. Ich habe hier nämlich als Junge hundertmal gespielt und in den Birnbäumen gesessen; damals standen hier noch etliche, hier links, wo jetzt die Mohrrübenbeete stehen. Ich mache mir nichts aus Mohrrüben, woraus ich übrigens schliesse, dass wir heute welche zu Tisch kriegen. Wie gefällt Ihnen der Garten?“
„Ausgezeichnet. Es ist ja eigentlich ein Bauerngarten, aber doch mit viel Rittersporn drin. Und zu jedem Rittersporn gehört eine Stiftsdame.“
„Nein, Czako, nicht so. Sagen Sie mir ganz ernsthaft, ob Sie solche Gärten leiden können.“
„Ich kann solche Gärten eigentlich nur leiden, wenn sie eine Kegelbahn haben. Und dieser hier ist wie geschaffen dazu, lang und schmal. Alle unsre modernen Kegelbahnen sind zu kurz, wie früher alle Betten zu kurz waren. Wenn die Kugel aufsetzt, ist sie auch schon da, und der Bengel unten schreit einen an mit seinem ,Acht um den König!‘. Für mich fängt das Vergnügen erst an, wenn das Brett lang ist und man der Kugel anmerkt, sie möchte links oder rechts abirren, aber die eingeborene Gewalt zwingt sie zum Ausharren, zum Bleiben auf der rechten Bahn. Es hat was Symbolisches oder Pädagogisches oder meinetwegen auch Politisches.“
Unter diesem Gespräche waren sie ganz nach unten hin bis an die Stelle gekommen, wo der nachbarliche Pflaumenbaum seinen Zweig über den Zaun wegstreckte. Neben dem Zaun aber, in gleicher Linie mit ihm, stand eine grüngestrichene Bank, auf der, von dem Gezweig überdacht, eine Dame sass, mit einem kleinen runden Hut und einer Adlerfeder. Als sich die Herrschaften ihr näherten, erhob sie sich und schritt auf die Domina zu, dieser die Hand zu küssen; zugleich verneigte sie sich gegen die drei Herren.
„Erlauben Sie mir“, sagte Adelheid, „Sie mit meiner lieben Freundin, Fräulein von Schmargendorf, bekannt zu machen. Hauptmann von Czako, Ministerialassessor von Rex . . . Meinen Neffen, liebe Schmargendorf, kennen Sie ja.“
Adelheid, als sie so vorgestellt hatte, zog ihre kleine Uhr aus der Gürtel hervor und sagte: „Wir haben noch zehn Minuten. Wenn es Ihnen recht ist, bleiben wir noch in Gottes freier Natur. Woldemar, führe meine liebe Freundin, oder lieber Sie, Herr Hauptmann — Fräulein von Schmargendorf wird ohnehin Ihre Tischdame sein.“ Das Fräulein von Schmargendorf war klein und rundlich, einige vierzig Jahre alt, von kurzem Hals und wenig Taille. Von den sieben Schönheiten, über die jede Evastochter Verfügung haben soll, hatte sie, soweit sich ihr „Kredit“ feststellen liess, nur die Büste. Sie war sich dessen denn auch bewusst und trug immer dunkle Tuchkleider, mit einem Sammetbesatz oberhalb der Taille. Dieser Besatz bestand aus drei Dreiecken, deren Spitze nach unten lief. Sie war immer fidel, zunächst aus glücklicher Naturanlage, dann aber auch, weil sie mal gehört hatte: Fidelität erhalte jung. Ihr lag daran, jung zu sein, obwohl sie keinen rechten Nutzen mehr daraus ziehen konnte. Benachbarte Adlige gab es nicht, der Pastor war natürlich verheiratet und Fix auch. Und weiter nach unten ging es nicht.
Adelheid und Rex waren meist weit voraus, so dass man sich immer erst an der Glaskugel traf, wenn das voranschreitende Paar schon wieder auf dem Rückwege war. Czako grüsste dann jedesmal militärisch zur Domina hinüber.
Diese selbst war in einem Gespräch mit Rex fest engagiert und verhandelte mit ihm über ein bedrohliches Wachsen des Sektiererwesens. Rex fühlte sich davon getroffen, da er selbst auf dem Punkte stand, Irvingianer zu werden; er war aber Lebemann genug, um sich schnell zurechtzufinden und vor allem auf jede nachhaltige Bekämpfung der von Adelheid geäusserten Ansichten zu verzichten. Er lenkte geschickt in das Gebiet des allgemeinen Unglaubens ein, dabei sofort einer vollen Zustimmung begegnend. Ja, die Domina ging weiter, und, sich abwechselnd auf die Apokalypse und dann wieder auf Fix berufend, betonte sie, dass wir am Anfang vom Ende stünden. Fix gehe freilich wohl etwas zu weit, wenn er eigentlich keinem Tage mehr so recht traue. Das seien nutzlose Beunruhigungen, weshalb sie denn auch in ihn gedrungen sei, von solchen Berechnungen Abstand zu nehmen oder wenigstens alles nochmals zu prüfen. „Kein Zweifel“, so schloss sie, „Fix ist für Rechnungssachen entschieden talentiert, aber ich habe ihm trotzdem sagen müssen, dass zwischen Rechnungen und Rechnungen doch immer noch ein Unterschied sei.“
Czako hatte dem Fräulein von Schmargendorf den Arm gereicht; Woldemar, weil der Mittelgang zu schmal war, folgte wenige Schritte hinter den beiden und trat nur immer da, wo der Weg sich erweiterte, vorübergehend an ihre Seite.
„Wie glücklich ich bin, Herr Hauptmann“, sagte die Schmargendorf, „Ihre Partnerin zu sein, jetzt schon hier und dann später bei Tisch.“
Czako verneigte sich.
„Und merkwürdig“, fuhr sie fort, „dass gerade das Regiment Alexander immer so vergnügte Herren hat; einen Namensvetter von Ihnen, oder vielleicht war es auch Ihr älterer Herr Bruder, den hahʼ ich noch von einer Einquartierung in der Prignitz her ganz deutlich in Erinnerung, trotzdem es schon an die zwanzig Jahre ist oder mehr. Denn ich war damals noch blutjung und tanzte mit Ihrem Herrn Vetter einen richtigen Radowa, der um jene Zeit noch in Mode war, aber schon nicht mehr so recht. Und ich hab’ auch noch den Namenszug und einen kleinen Vers von ihm in meinem Album. ,Jegor von Baczko, Secondelieutenant im Regiment Alexander.‘ Ja, Herr von Baczko, so kommt man wieder zusammen. Oder wenigstens mit einem Herrn gleichen Namens.“
Czako schwieg und nickte nur, weil er Richtigstellungen überhaupt nicht liebte; Woldemar aber, der jedes Wort gehört und in bezug auf solche Dinge kleinlicher als sein Freund, der Hauptmann, dachte, wollte durchaus Remedur schaffen und bat, das Fräulein darauf aufmerksam machen zu dürfen, dass der Herr, der den Vorzug habe, sie zu führen, nicht ein Herr von Baczko, sondern ein Herr von Czako sei.
Die kleine Rundliche geriet in eine momentane Versetzenheit, Czako selbst aber kam ihr mit grosser Courtoisie zu Hilfe.
„Lieber Stechlin“, begann er, „ich beschwöre Sie um sechsundsechzig Schock sächsische Schuhzwecken, kommen Sie doch nicht mit solchen Kleinigkeiten, die man jetzt, glaub’ ich, Velleitäten nennt. Wenigstens habe ich das Wort immer so übersetzt. Czako, Baczko, Baczko, Czako — wie kann man davon soviel Aufhebens machen. Name, wie Sie wissen, ist Schall und Rauch, siehe Goethe, und Sie werden sich doch nicht in Widerspruch mit dem bringen wollen. Dazu reicht es denn doch am Ende nicht aus.“
„Hihi.“
„Ausserdem ein Mann wie Sie, der es trotz seines Liberalisttius fertigbringt, immer seinen Adel bis wenigstens dritten Kreuzzug zurückzuführen, ein Mann wie Sie sollte mir doch diese kleine Verwechslung ehrlich gönnen. Denn dieser mir in den Schoss gefallene ,Baczkoʻ. . . Gott sei Dank, dass auch unsereinem noch was in den Schoss fallen kann . . .“
„Hihi.“
„Denn dieser mir in den Schoss gefallene Baczko ist doch einfach eine Rang- und Standeserhöhung, ein richtiges Avancement. Die Baczkos reichen mindestens bis Hus oder Zizka, und wenn es vielleicht Ungarn sind, bis auf die Hunyadis zurück, während der erste wirkliche Tschako noch keine zweihundert Jahre alt ist. Und von diesem ersten wirklichen Tschako stammen wir doch natürlich ab. Erwägen Sie, bevor es nicht einen wirklichen Tschako gab, also einen steifen grauen Filzhut mit Leder oder Blech beschlagen, eher kann es auch keinen ,von Czako‘ gegeben haben; der Adel schreibt sich immer von solchen Dingen seiner Umgebung oder seines Metiers oder seiner Beschäftigung her. Wenn ich wirklich noch mal Lust verspüren sollte, mich standesgemäss zu verheiraten, so scheitre ich vielleicht an der Jugendlichkeit meines Adels und werde mich dann dieser Stunde wehmütig freundlich erinnern, die mich, wenn auch nur durch eine Namensverwechslung, auf einen kurzen Augenblick zu erhöhen trachtete.“
Woldemar, seiner Philisterei sich bewusst werdend, zog sich wieder zurück, während die Schmargendorf treuherzig sagte: „Sie glauben also wirklich, Herr von . . . Herr Hauptmann . . ., dass Sie von einem Tschako herstammen?“
„Soweit solch merkwürdiges