Chefarzt Dr. Norden Paket 1 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
Lippen versickerte. »Was machen Sie denn für Sachen?«
Jakob seufzte. Je näher der Termin rückte, umso schlechter fühlte er sich. »Am Anfang war ich froh, dass es kein Tumor ist. Aber jetzt bekomme ich es doch mit der Angst zu tun.«
»Das müssen Sie nicht«, versicherte Daniel und klappte die Akte wieder zu. »Mit Dr. Weigand, dem Neurologen Merizani und unserer engagierten Frau Dr. Petzold haben Sie herausragende Kollegen um sich geschart.«
Jakob schnitt eine Grimasse.
»Nur das Beste ist eben gut genug.«
»Das ist die richtige Einstellung.« Daniel griff nach dem kleinen Becher und der Tablette, die Elena auf dem Nachttisch bereit gestellt hatte. Beides reichte er dem Pfleger. »Und jetzt sollten Sie sich noch ein wenig ausruhen. Die Operation wird kein Spaziergang.«
Jakob schluckte die Pille und spülte mit Wasser nach. Sinnend starrte er auf den Becher in seiner Hand, ehe er zu Dr. Norden aufblickte.
»Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben und hergekommen sind«, sagte er leise. »Ich weiß, wie viel Sie um die Ohren haben. Da ist es schon eine Auszeichnung für einen kleinen Pfleger wie mich …«
»Jetzt machen Sie aber mal einen Punkt! Ohne Menschen wie Sie würde das ganze System hier nicht funktionieren. Jeder Kollege, ob Pfleger, Schwester oder Arzt, ja, sogar das Reinigungspersonal, ist überlebenswichtig für die Klinik. Jeder Einzelne trägt seinen Teil zum Erfolg des Ganzen bei. Deshalb sind Sie genauso wichtig wie ein Herzspezialist«, erklärte Dr. Norden leidenschaftlich. Er griff nach Jakobs Hand und drückte sie. »Das sollten Sie nie vergessen. Und jetzt bringen Sie diesen Eingriff hinter sich, damit Sie uns bald wieder mit ganzer Kraft zur Verfügung stehen.«
»Das mache ich.« Jakobs Stimme war heiser. Er legte sich im Bett zurück und sah Dr. Norden nach, wie er zur Tür ging.
Daniel war schon zur Tür hinaus, als er den Kopf noch einmal ins Zimmer steckte.
»Übrigens werden Doppelschichten in Zukunft nicht mehr vorkommen. Darum kümmere ich mich persönlich«, versprach er noch, ehe er endgültig ging.
*
Das Chaos war unbeschreiblich. Im ganzen Wohnzimmer glitzerte und funkelte es wie an Weihnachten. Das Licht der Sonne brach sich in den großen und kleinen Scherben. Dazwischen lagen zwei bunte Holzkugeln. Draußen vor der Terrassentür stand Klein-Paulchen. Mit großen Augen und zitternder Unterlippe starrte er auf das, was vom Wohnzimmerfenster übrig geblieben war.
»Das war ich nicht«, erklärte er mit piepsiger Stimme.
Doch das interessierte im Augenblick niemanden.
»Tu ein Mal das, was man dir sagt, und rühr dich nicht vom Fleck«, bat Fee. »Nur ein einziges Mal.«
Joshua überlegte nicht lange und machte sich auf den Weg.
»Aber ich will zu meiner Mama.«
»Glaubst du nicht, dass deine Mama dich fürchterlich schimpfen wird?«, fragte Dési. Sie wusste, was ihr Freund vorhatte, und wollte ihm Zeit verschaffen.
Entschieden schüttelte Paul den Kopf.
»Meine Mama schimpft mich nie.«
»Das erklärt so einiges«, raunte Fee ihrer Tochter zu und beobachtete Joshua dabei, wie er durch den Garten schlich. Wie ein Löwe an seine Beute pirschte er sich an den Jungen heran.
Paul hatte ganze Arbeit geleistet. Nicht nur im Wohnzimmer, sondern auch auf der Terrasse lag zerbrochenes Glas. Es grenzte an ein Wunder, dass ihn keine umherfliegenden Splitter getroffen hatten. Doch selbst jetzt war die Gefahr noch nicht gebannt. Ein wackeliger Kinderschritt, ein Sturz, und die Katastrophe wäre perfekt.
Damit Paul das Knirschen hinter sich nicht hörte, stimmte Dési ein Kinderlied an. Sie stieß ihre Mutter in die Seite. Fee verstand und setzte mit ein. Paul starrte die beiden Frauen an. Es war ihm anzusehen, dass er an ihrem Verstand zweifelte. Diese günstige Gelegenheit ergriff Joshua. Er setzte zu einem beherzten Sprung an, packte den Jungen und riss ihn in seine Arme. Bei der Landung geriet er in Schieflage und schwankte wie eine Tanne im Wind.
»O mein Gott!« Fee hielt die Luft an. Bruchteile von Sekunden dehnten sich in die Länge wie Kaugummi. Endlich fand Joshua das Gleichgewicht wieder. Er brachte Paul in Sicherheit und stellte ihn auf die Wiese. Strahlend lächelnd drehte er sich um und empfing den Applaus seines Publikums.
»Bravo! Bravissimo!«, riefen Mutter und Tochter durcheinander.
»Zur Feier des Tages schicke ich euch beide jetzt in die Eisdiele«, erklärte Fee ein paar Minuten später im Garten und drückte Dési einen Geldschein in die Hand.
»Und was ist mit dir?«
»Einer muss ja die Scherben aufräumen.«
»Dann bleibe ich auch hier«, beschloss Dési ohne Zögern.
»Und wir zwei Hübschen holen Eis und sehen den Frauen dann bei der Arbeit zu. Was hältst du davon?«, machte Joshua dem Jungen einen Vorschlag.
Ein paar Minuten später hielt er einen Besen in der Hand und kehrte die Scherben auf der Terrasse auf, während Dési mit Paul Richtung Eisdiele spazierte.
*
Dr. Daniel Norden saß am Schreibtisch und ließ seinen Blick über die Kollegen wandern, die er zu dieser Besprechung eingeladen hatte.
»Wie sich sicherlich inzwischen herumgesprochen hat, haben wir eine prominente Patientin mit einer erheblichen Verletzung im Haus. Frau Wiesenstein hat sich bei einem Verkehrsunfall eine offene Unterschenkelfraktur zugezogen. Es handelt sich also um einen anspruchsvollen Eingriff.«
»Ein Traum!« Der Orthopäde Bernhard Kohler meinte es ernst.
Daniel lächelte ihm zu.
»Schön, dass Sie derselben Ansicht sind wie die Herrschaften von der schreibenden Zunft. Für sie ist der Unfall ein gefundenes Fressen. Der Fall wird durch die Presse gehen.« Dr. Norden wurde wieder ernst. »Umso wichtiger ist es, dass die Operation reibungslos verläuft.« Er lehnte sich vor und legte die Fingerspitzen aneinander. »Nach reiflicher Überlegung habe ich mich dazu entschlossen, neben Ihnen, Kollege Kohler, Frau Lekutat um Unterstützung zu bitten.«
Adrian Wiesenstein schoss hoch.
»Wieso? Ich dachte, es wäre mir gelungen …«
»Ich habe mir die Sache reiflich überlegt«, fiel Daniel Norden ihm mit strenger Stimme ins Wort. »Glücklicherweise kann ich über eine ansehnliche Schar ausgezeichneter Chirurgen verfügen. In Anbetracht Ihrer unstreitbaren emotionalen Bindung zu Ihrer Ex-Frau ist mir dieses Risiko zu hoch. Außerdem verfügt Frau Lekutat«, er nickte der Kollegin zu, »über ein ansehnliches Wissen auf dem Gebiet der Osteosynthese. Daher möchte ich ihr diese Aufgabe anvertrauen.
»Wirklich schade, dass Sie die falschen Lehrgänge besucht haben.« Die Chirurgin lächelte ihrem Kollegen zu. »Knochenchirurgie ist ein sehr interessantes Feld. Übrigens noch ein Thema, das wir heute Abend besprechen können.«
In diesem Moment wäre Adrian am liebsten über den Tisch gesprungen. Allein seine gute Erziehung hielt ihn davon ab. Dr. Norden dagegen ignorierte diese Bemerkung wohlweislich.
»Ein weiterer Grund für meine Entscheidung ist die Tatsache, dass bei diesem Eingriff – wie das immer der Fall ist – etwas schief gehen kann. Unter keinen Umständen möchte ich mich fragen lassen, warum ich den Eingriff nicht in die Hände eines Spezialisten gelegt habe.« Er schickte einen vielsagenden Blick in die Runde. »Gibt es sonst noch Fragen, Wünsche, Anregungen?«
Schwester Elena hob die Hand und stellte eine Frage zu den eingeplanten Operationsschwestern. Nach ein paar weiteren Wortmeldungen löste sich die Versammlung auf.
»Das ist eine wahnsinnig spannende Sache!« Auf dem Rückweg in die Abteilung war Christine richtig aufgeregt. »An Ihrer Stelle würde ich mich auch ärgern.« Sie klopfte Adrian auf die Schulter. »Aber das Trostpflaster wartet schon