Chefarzt Dr. Norden Paket 1 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
In knappen Worten erklärte Adrian, was passiert war. »Mich will Paola nicht sehen. Aber ich denke, es wäre eine gute Idee, wenn sich Joshua bei ihr blicken ließe, um sich mit ihr auszusprechen.« Er machte eine kleine Pause. »Zwischen den beiden hat lange genug Eiszeit geherrscht«, fuhr er heiser fort.
Désis Herz wurde weich wie Watte.
»Machen Sie sich keine Sorgen, Herr Wiesenstein. Joshua weiß genau, wo er hingehört«, erklärte sie feierlich und versprach, Joshua die Botschaft auszurichten.
Der hing noch immer wie ein Vogel mit gebrochenen Schwingen im Sofa.
»Wenn du Kinder willst, bin ich auf jeden Fall der falsche Mann«, erklärte er mit geschlossenen Augen. »Was wollte Papa?«
Dési lachte leise.
»Keine Panik. Die Papa-Nummer hat noch Zeit. Zuerst einmal musst du ein guter Sohn sein und dich um deine Mum kümmern. Sie liegt mit einem gebrochenen Bein in der Klinik. Aber keine Sorge, es ist alles okay.«
Schlagartig kam wieder Leben in Joshua.
»Meine Eltern sind auch nicht viel besser als Kinder«, sagte er kopfschüttelnd zu Fee, als er sich zum Aufbruch rüstete. »Ständig muss man aufpassen, dass sie keine Dummheiten machen.« Er umarmte sie kurz.
Dési begleitete ihn zur Tür.
»Soll ich mitkommen?«, fragte sie.
Joshua legte die Arme um ihre Schultern. Sein Blick streichelte ihr Gesicht.
»Nein, das muss ich allein erledigen«, sagte er leise. »Aber ich bin wahnsinnig froh, dass es dich noch in meinem Leben gibt und du in Gedanken bei mir bist.« Er küsste sie, ehe er sich im schwindenden Tageslicht aufs Fahrrad schwang, um in die Klinik zu fahren.
*
Bevor sich Dr. Daniel Norden an diesem Abend auf den Nachhauseweg machte, sah er noch einmal bei seiner Nachbarin Anna Wolter vorbei.
Sie saß aufrecht im Bett, der Fernseher lief. Wann immer draußen Schritte zur hören waren, huschte ihr Blick zur Tür. Den ganzen Nachmittag waren sie nur an ihrer Tür vorbeigeeilt. Doch diesmal erfüllte sich ihre Hoffnung.
»Herr Dr. Norden, endlich!«
Daniel lachte.
»Das ist ja mal eine schöne Begrüßung!«, freute er sich und setzte sich auf die Bettkante.
»Nicht so bescheiden!«, neckte Anna ihn. »Ich bin sicher, Ihre Patienten liegen Ihnen zu Füßen.«
»Weit gefehlt.« Schnell schob Daniel den Gedanken an Paola Wiesenstein weg. »Aber Ihre Herzlichkeit entschädigt mich für vieles. Geht es Ihnen so gut, wie Sie aussehen?«
Annas Wangen färbten sich zartrosa.
»Leider nicht«, gestand sie. »Ich wüsste zu gern, was aus meiner Freundin Petra geworden ist. Sie hat mich heute besucht. Wegen ihrer Übelkeit wollte sie sich von einem Arzt untersuchen lassen und danach zurückkommen. Seitdem habe ich nichts mehr von ihr gesehen. Telefonisch kann ich sie auch nicht erreichen. Dabei habe ich extra den Anschluss anmelden lassen.« Sie deutete auf das Telefon auf dem Nachtkästchen. »Wissen Sie vielleicht, was aus ihr geworden ist?«
An diesem Tag hatte Daniel den Namen Petra nur in einem Zusammenhang gehört.
»Meinen Sie zufällig Petra Lekutat, die Mutter unserer Chirurgin?«
Anna Wolters Miene erhellte sich.
»Genau die! Was ist mit ihr?«
Daniel Norden dachte kurz darüber nach, wie viel er verraten durfte, ohne sein Schweigegelübde zu brechen.
»Frau Lekutat wurde operiert.« Anna schlug die Hand vor den Mund, und Daniel fuhr schnell fort. »Keine Sorge! Soweit ich weiß, ist sie inzwischen aus der Narkose erwacht. Es geht ihr den Umständen entsprechend gut.«
»Meine Güte. Was für ein Tag!« Anna schüttelte den Kopf. »Ein Glück, dass man vorher nicht weiß, was einen alles erwartet.«
»Das können Sie laut sagen.« Wohlweislich verschwieg Daniel die neueste Heldentat von Paul. Anna Wolters würde früh genug erfahren, was der kleine Räuber wieder angestellt hatte.
»Wie geht es übrigens meinem Enkel?« Anna schien seine Gedanken lesen zu können. »Ich hoffe, er hat Ihrer Frau und Dési nicht zu viel Arbeit gemacht.«
»Alles bestens. Machen Sie sich keine Sorgen«, versicherte er. »Im Übrigen denke ich, es wäre das Beste, wenn Sie noch ein paar Tage in der Klinik blieben. In dieser Verfassung werden Sie mit dem Bengel auf keinen Fall fertig.«
»Ein großes Wort gelassen ausgesprochen.« Anna Wolter zwinkerte ihm zu. »Ich gebe zu, dass mich diese Sorge auch umtreibt. Petra fällt ja jetzt als Hilfe aus. Auf der anderen Seite will ich Ihnen und Ihrer Familie nicht zur Last fallen.«
»Keine Sorge.« Daniel nickte ihr aufmunternd zu und erhob sich. Allmählich wurde es Zeit, nach Hause zu gehen. »Gemeinsam werden wir das Kind schon schaukeln.«
In Anna Wolters Augen glitzerte es verdächtig, als er sich von ihr verabschiedete.
»Das nennt man wohl Glück im Unglück, einen Engel wie Sie zu kennen«, sagte sie heiser und wischte schnell die Träne fort, die über ihre Wange lief.
*
Schon auf dem Weg zu seiner Mutter hörte Joshua Paolas Stimme.
»›Je höher du wirst aufwärts gehn, dein Blick wird immer allgemeiner‹«, rezitierte sie eine Zeile aus ihrer Rolle aus einem Schauspiel von Shakespeare.
Joshua war vor der Tür angekommen.
Er grub die Fingernägel in die Handfläche. Sein Herz hämmerte in seiner Brust.
Endlich gab er sich einen Ruck und trat ein. Paola bemerkte ihn nicht. Mit geschlossenen Augen saß sie halb aufrecht im Bett und vollführte große Gesten. Ihre Stimme klang dramatisch.
»›Stets einen größeren Teil wirst du vom Ganzen sehn …‹«
»Mama!«
Paola schien die Welt um sich vergessen zu haben.
»›Doch alles Einzelne wird immer kleiner …‹«
»Hallo, Mama!«, wiederholte Joshua energisch.
Endlich öffnete Paola die Augen. Sie sah ihn an, als hätte sie ihn nie zuvor gesehen. Es dauerte einen Moment, bis sie aus anderen Sphären zurückgekehrt war.
»Joshua?« Im ersten Moment huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Bis sie sich daran erinnerte, dass sie wütend auf ihn war. »Was willst du?« Demonstrativ griff sie nach ihrem Schminkbeutel auf dem Nachtkästchen. Sie nahm Puderdose und Quaste heraus und vertiefte sich in ihr Spiegelbild.
Joshua stand noch immer in der Tür. Hatte er es nötig, sich so behandeln zu lassen? Schließlich beschloss er, Gnade vor Recht ergehen zu lassen.
»Wie geht es dir?«
Paola stutzte.
»Sehr gut. Danke der Nachfrage«, erwiderte sie leichthin. »Die Operation ist gut verlaufen. Jetzt muss ich ungefähr vier Wochen auf Krücken gehen. Danach folgt das Muskelaufbautraining. Das dauert etwa zehn bis zwölf Wochen. Wenn ich darauf achte, das Bein nicht zu sehr zu belasten, darf ich in dieser Zeit wieder auf die Bühne.« Sie winkte lächelnd ab. »Also alles halb so wild.«
»Das freut mich.«
»Willst du dich nicht setzen? Dein Gezappel macht mich ganz nervös.« Paola klappte die Puderdose zu und packte sie wieder weg.
»Klar.« Joshua sah sich um und holte einen Stuhl vom Tisch in der Ecke.
»Ich glaube, wir sollten uns mal unterhalten.«
Paolas Miene wurde abweisend.
»Ich wüsste nicht, worüber.«
»Mensch, Mama.